
Antoine Roegiers "Die Sieben Todsünden".
Wien - Die Bildwelten von Pieter Bruegel d. Ä. sind wie ein einziger Organismus, ihre einzelnen Szenen funktionieren wie Gliedmaßen im großen Ganzen. So seziert der 1980 in Braine-l'Alleud in der belgischen Provinz Brabant geborene Künstler Antoine Roegiers die Darstellungen seines 450 Jahre älteren niederländischen Kollegen. Noch dazu wo Pieter Bruegel seine Heimatregion als Kulisse für die Bilder des ländlich-bäuerlichen Lebens verwendet hatte.
Mit Füßen und Beinen, die sich langsam zu rumpflosen, insektengleichen Kopffüßlern auswachsen, beginnen auch seine filmischen Animationen auf Basis von Bruegels Sieben Todsünden (1556/ 1557). In allen Variationen führt uns Bruegel Geiz, Trägheit, Völlerei, Neid, Zorn, Hochmut und Wollust vor; Szenen und fantastische Schauplätze, die Roegiers' kreatürliche Protagonisten nun wie Pilger durchwandern.
Er fasst Bruegels Bilder wie einen Film auf und ersetzt das Abtasten der Bildtafel durch narrative Episoden, deren endzeitliche Stimmung Musik von Antoine Marroncle sogar noch verstärkt. Aber nicht nur das: Antoine Roegiers fügt auch alle Bildkulissen - von allem Wimmeln der Wesenheiten befreit - zusammen, formt daraus die großformatige Zeichnung Landschaft der sieben Todsünden, so als ob man auf seiner Wanderschaft unglücklicherweise in das sündige Land geraten könnte.
Ein herrlicher Spaß, der flankiert wird von Hieronymus Boschs Der Baummensch (um 1500- 1510), einem verholzten Riesen, in dessen hohlem Buckel eine ganze Familie haust. Oder Bruegels herrlicher Allegorie Die großen Fische fressen die kleinen (1556), in der Fischer mit gigantischen Messern die Fische aus dem Bauch des gefräßigen Monsters herausschneiden.
Best of Kernkompetenz
Roegiers' Installation ist ein Paradebeispiel für die beliebten Gegenwartsinterventionen bei Alten Meistern. Ein wenig stiehlt die Installation den Originalen von Bosch, Bruegel, Rubens, Rembrandt und anderen Meisterwerken der Albertina aber schon die Show. Zum Glück sind die Screens recht klein, und so kommen die 170 anderen Werke niederländischer Meister in der mit kräftigen Rot-, Blau- und Grüntönen akzentuierten Basteihalle doch noch zu ihrem Recht.
Denn auch die Zeichnungen - quasi die Urgewalt der Grafischen Sammlung Albertina - versetzen in Staunen. Denn man sieht (etwas verwirrend gegen den Uhrzeigersinn gehängt) "nicht nur ein Best-of der Sammlung, sondern ein Best-of der niederländischen Zeichenkunst überhaupt", fasst Kurator Christof Metzger diesen Fokus auf die Kernkompetenz der Albertina zusammen. Im Gegensatz zur famosen Ausstellung Das Zeitalter Rembrandts im Jahr 2009 ist der Blick dieses Mal zwar nicht allein auf das sogenannte Goldene Zeitalter - also das 17. Jahrhundert - beschränkt. Etwa die Hälfte der Ausstellung aber widmet sich der Blütezeit in der niederländischen und flämischen Kunst, die in der Gegenreformation und den damit verbundenen neuen Ausstattungsaufgaben ihren größten Antrieb fand.
So gibt es freilich auch die eine oder andere Überschneidung im Kapitel zur Landschaftsmalerei, die für die nachfolgenden Generationen maßgeblich sein sollte, und zu den in Teilen durchaus unterhaltsamen niederländischen Genrebildern - gerne wahlweise im Wirtshaus oder im Bordell: etwa in den zauberhaften Waldlandschaften von Gillis von Coninxloo III., der aus Flandern in die Niederlande emigriert war. Seine Federzeichnungen von Waldstücken führen nicht nur einen eigenen Bildtypus vor, sondern beweisen, dass sich die Landschaft um 1600 als eigenes Sujet etabliert hatte. Nun ist es die Figurenszene, die sich ihr unterordnet.
Ein Wiedersehen gibt es auch mit Arbeiten des Dordrechter Malers Aelbert Cuyp, nicht aber mit seiner goldfarben leuchtenden Kuh, die er um 1650 wie eine Heroin ins Bild gesetzt hatte. 2009 war dieses majestätische Vieh quasi das Empfangskomitee zur Niederlande-Ausstellung.
Womöglich ist jedoch Peter Paul Rubens' Ochse (um 1618), der den Besucher in der aktuellen Ausstellung aus sanftmütigen Augen anblickt, eigentlich das noch viel edlere Tier.
Das sei deshalb erwähnt, weil Rindsviecher einen nicht oft ins Schwärmen bringen. Auch ein anderes Tier lohnt die Aufmerksamkeit: Roeland Savery, Künstler am Hof Rudolfs II., malte einen Elefanten, der gequält vom Stich einer Libelle die juckende Haut an einem Baum reibt. Im Barock sah man den Dickhäuter eigentlich als Sinnbild für den über allen Erhabenen, dem nichts etwas anhaben kann. Bei Savery treibt den Mächtigen allerdings ein kleiner Feind in den Wahnsinn. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD, 14.3.2013)