Unter katholischen Ordensleuten kursiert ein alter Witz: Welcher Orden ist denn nun der gottgefälligste? Der Franziskaner streicht das Bekenntnis zur Armut heraus. Der Benediktiner preist den Fleiß seiner Brüder. Da fällt dem Jesuiten nur noch eines ein: "Aber in der Demut sind wir allen überlegen!"

Der Witz hat einen ernsten Kern. Die Jesuiten waren und sind nicht allseits beliebt in der katholischen Kirche. Mitunter haben sich Mitglieder der "Gesellschaft Jesu" so verhalten, als bedeutete das Ordensmotto "Omnia Ad Maiorem Dei Gloriam" (Alles zur größeren Ehre Gottes), dass der Zweck die Mittel heiligt. Ordensgründer Ignatius von Loyola sagte: "Ich werde glauben, dass Weiß Schwarz ist, wenn es die Kirche so definiert."

Der Italoargentinier Jorge Mario Bergoglio ist der erste Jesuit auf dem Stuhl Petri. Seine gelebte Bescheidenheit als Erzbischof von Buenos Aires wie auch sein erster Auftritt als Papst machen klar, dass Demut für ihn nichts mit Koketterie zu tun hat. Die Namenswahl nach Franz von Assisi ist Programmansage zugunsten einer Kirche der Armen, Benachteiligten. Diese Kirche versteht Franziskus, wie er in seiner kurzen Ansprache sagte, als eine gemeinsame von Klerus und Volk. Und als eine mit Universalitätsanspruch: "Beten wir für die ganze Welt, damit ein großes Miteinander herrsche."

Dieses "große Miteinander" verträgt sich freilich schlecht mit Bergoglios konservativ-dogmatischer Haltung in Fragen des Glaubens und der Sexualmoral. Damit ist schon das erste große Spannungsfeld im neuen Pontifikat umrissen. Eingebunden in das jesuitische Netzwerk, eines der besten innerhalb der Kirche, wird Bergoglio auch als Papst über die Verhältnisse außerhalb der VatikanMauern weit besser informiert sein als sein Vorgänger Ratzinger (der sich ohnehin in der stillen Theologenstube wohler fühlte). Aber was wird Franziskus aus dieser Vernetzung machen? Wird er den jesuitischen Missionsauftrag im engen oder in einem weiter gefassten katholischen Verständnis umzusetzen versuchen?

Laut italienischen Medien soll seine Wahl nicht nur ein globales Signal sein, sondern vor allem auch der von Evangelikalen bedrängten Kirche in Lateinamerika Rückenwind geben. Hier kommt ein weiterer Spannungsfaktor hinzu: Bergoglios unklare Haltung als Jesuiten-Provinzial zur argentinischen Militärdiktatur. Sie steht gewissermaßen symbolisch für das zwiespältige Verhältnis der katholischen Kirche zu autoritären Machthabern nicht nur in Lateinamerika.

Was die Machtverhältnisse innerhalb der Kirche betrifft, so war die Szene auf der Loggia des Petersdoms von tiefem Symbolgehalt: ein Papst der Demut und Bescheidenheit in schlichtem Weiß, eingerahmt von Kardinälen der römischen Kurie in leuchtendem Purpur. Da klang es wie ein Hilferuf an die Menschenmenge unten auf dem Petersplatz, als Bergoglio den "Weg der Brüderlichkeit, der Liebe, des gegenseitigen Vertrauens" beschwor. Er kennt den vatikanischen Machtapparat auch von innen und weiß, dass ein Einzelner machtlos gegen ihn ist.

Aber wie stark das Echo auf seinen Ruf nach außen ausfällt, das liegt nun ganz an ihm. Chancen als Reformer wird Franziskus nur haben, wenn er statt der ruhigen Sammlung, auf die sein Vorgänger Benedikt setzte, schöpferische Unruhe erlaubt. Und Weiß Weiß sein lässt, auch wenn ein Dogma es für Schwarz erklären würde. (Josef Kirchengast, DER STANDARD, 15.3.2013)