Bild nicht mehr verfügbar.
Abrüsten im Vatikan. Franziskus trägt ein Kreuz aus Eisen. Benedikt nahm stets ein Goldenes, gerne auch mit Edelsteinen besetzt. Bei den Gewändern trug der Vorgänger traditionellen Prunk zur Schau.
Vatikanisten haben immer gleich eine Analyse parat. Zum Beispiel, dass der neue Papst nun mit der Kurie aufräumen wird. Gibt es ein Indiz, dass sie mit ihren Einschätzungen treffsicherer sind als vor dem Konklave bei der Identifizierung des künftigen Papstes?
Churchwatch wagt keine Prophetie, sondern versucht, Pluspunkte und Patzer aufzulisten.
Die Pluspunkte: Mit Zeichen und Gesten hat der neue Oberhirte starke Akzente gesetzt.
Nomen est Omen: Wohl kein anderer Name hätte ein stärkeres innerkirchliches Kontrastprogramm zu dem bieten können, was das Papstamt geschichtlich darstellt. Franziskus, der Bettelmönch, soll nun Namenspatron jenes Mannes sein, dem die zwielichtige Vatikanbank direkt unterstellt ist. Man darf gespannt sein, ob das Auswirkungen hat. Auffällig ist auch, dass er sich bei seinem ersten Auftritt lediglich als "Bischof von Rom" bezeichnete und bisher alles vermied, womit er seinen Jurisdiktionsprimat unterstrichen hätte. Ob es tatsächlich zu einem Rückbau vom absolutistischen Alleinherrscher zu einem - wie Franziskus es formulierte - "Vorsitz in der Liebe" kommen kann, wird sich weisen.
Kleider machen Leute: Franziskus hat nicht nur auf die rotsamtene Mozetta (das fürstliche Cape) verzichtet, sondern vor allem auf das goldene Brust-Kreuz, das sich Benedikt auch gerne in edelsteinbesetzter Variante umhängen ließ. Franziskus trägt sein altes aus Eisen. Wie lange werden da neben Ihm die Kardinäle noch in Gold funkeln können? Die ohnehin etwas lächerlichen knallroten Schuhe sind passé. Bei seiner ersten Ansprache vor den Kardinälen musste Benedikts Thronsessel gegen einen schlichteren getauscht werden. Zur Ausfahrt wählte er einen einfachen Mittelklassewagen. Ein weltweites bischöfliches Limousinen-Abrüsten wäre die logische Folge.
Franziskus hat zweifelsfrei Charisma, geht auf die Menschen zu, spricht gerne frei und wählte das Thema Barmherzigkeit für seinen ersten Angelus vom Fenster seines Arbeitszimmers. Den Journalisten spendete er seinen Segen aus Respekt vor anwesenden Agnostikern nur im Stillen. Die Medien sind voll von Anekdoten, wie Franziskus mit schlichtem Auftreten verblüfft. Er scheint als hätte der Papst aus dem Süden in wenigen Stunden mehr Pluspunkte gesammelt, als Benedikt während seines gesamten Pontifikats. Ja, als hätte das Medientalent Johannes Paul II. einen Nach-Nachfolger bekommen, der noch besser auf der Kommunikations-Klaviatur musiziert.
Die Patzer:
Als verpasste Chance muss hingegen sein erster Gottesdienst mit den Kardinälen eingestuft werden. So sympathisch es ist, dass er seine Predigt frei hielt, so wenig hatte er Inhaltliches zu bieten.
Benedikt XVI. nutzte diesen Anlass zu einem ersten programmatischen Auftritt, wenngleich seine Ankündigung, für die Ökumene zu arbeiten, in seinem Pontifikat folgenlos blieb. Die erste Franziskus-Predigt kam qualitativ über einen Schulanfangs-Gottesdienst nicht hinaus. Ist den Kardinälen nicht mehr zuzumuten? Etwas eigenartig und unvermittelt flocht er auch ein Teufels-Zitat ein, das noch dazu von einem Weltuntergangsliteraten stammt. (Achtung: Mit dem Zitieren Dritter hat schon Benedikt XVI. keine guten Erfahrungen gemacht.)
Die Formel: "Wer nicht zum Herrn (Jesus Christus, Anm.) betet, betet zum Teufel", ist eine saloppe Diskreditierung aller Nichtchristen. Auch scheint der argentinische Papst - zur Freude traditionalistischen Internetplattformen - der Teufel besonders leicht über die Lippen zu kommen, wie es auch in der darauffolgenden Ansprache unter Beweis stellt. Franziskus wird sich zwischen Frohbotschaft und Drohbotschaft entscheiden müssen.
Größtes Starthemmnis des neuen Papstes ist die Frage seiner Rolle zur Zeit der argentinischen Militärdiktatur. Noch nie war ein Papst der Neuzeit unmittelbar nach seiner Wahl mit solchen Kollaborationsvorwürfen konfrontiert. Hier hat die vatikanische Pressestelle (mit Wissen des Papstes?) in der dümmsten der denkbaren Weisen reagiert.
Pressemann Lombardi sprach von einer "Verleumdungskampagne", die er "Elementen der antiklerikalen Linken" zuordnete. Mit solchen pauschalen Gegenschlägen hat man noch nie Kritik aus der Welt geschafft. Besser hätte Lombardi daran getan, wie andere Medien schlicht die Fakten zusammenzutragen. Diese stellen sich, soweit bisher überblickbar, für Franziskus nicht als belastend dar.
Der publizierte Hauptvorwurf bestand darin, er habe zwei Jesuiten-Padres nicht ausreichend geschützt, ja sogar den Verfolgern ausgeliefert. Einer der beiden lebt noch. Er erhebt keinerlei Anschuldigung und wünscht Franziskus alles Gute im Amt. Der argentinischen Friedensnobelpreisträger Adolfo Pérez Esquivel verteidigt die Rolle Jorge Bergoglios ebenso wie der brasilianische Befreiungstheologe Leonardo Boff. Ermittler der nachfolgenden Junta-Prozesse entlasten ihn.
NTV, "Guardian" und Co tragen paradoxerweise mehr zur Rehabilitation Bergoglios bei als das Vatikanische Presseamt. Trotzdem wird es notwendig sein, dass der Papst selbst zu diesen Themen Stellung nimmt, und nicht nur auf frühere Aussagen verweisen lässt. Die Wunden der Diktatur und einer in dieser Phase nicht rühmlichen Kirchengeschichte können nicht durch Schweigen besser heilen.
Ebenso offen ist die Frage, wie die scharfen Formulierungen, die vom damaligen Kardinal Bergoglio zum Thema Homosexualität überliefert werden, mit dem heutigen Papst Franziskus zusammenpassen, der Barmherzigkeit predigt, Respekt vor Andersdenkenden zeigt und so herzlich auf Menschen zugeht.
Zum Thema der Kurienreformen, die mittlerweile mehrere Kardinäle öffentlich einfordern, wird Franziskus jedenfalls sehr bald zeigen müssen, ob er nur ein Mann der Symbole oder auch ein Mann der Taten ist. Vorerst hat er die Kurie in ihrem Amt bestätigt. Das ist nicht unüblich. Unüblich allerdings für jemanden, der bewusst aus dem Protokoll ausschert. Franziskus hat jedoch auch deutlich gemacht, dass er über eine endgültige Ernennung erst nach ausführlichen Gesprächen und Gebeten entscheiden möchte.
Es wird also noch eine geraume Zeit dauern, bis die eigentlichen Spuren dieses Pontifikats sichtbar werden, wie Zeichen und Worte an Taten gemessen werden können. Anders als bei seinem Vorgänger findet sich auch kein umfassendes theologisches Werk, anhand dessen man ihn einordnen könnte.
Jedem "Neuling" soll man, in welchem Job auch immer, nach seiner Amtseinführung zugestehen, dass er eine Zeit der ruhigen Einarbeitung braucht. Für den Churchwatch-Autor hat das den praktischen Nebeneffekt, eine Pause einlegen zu können.
PS: Als abschließende Analyse zum letzten Pontifikat verweise ich auf meinen Gastkommentar "Benedikts Kinderglaube".
PPS: Im Übrigen bin ich der Meinung, dass der neue Papst die Schuld der Päpste und des Vatikans am internationalen Missbrauchsskandal aufklären muss. (Wolfgang Bergmann, derStandard.at, 18.3.2013)