
Das Laufen in der City birgt so manche (schöne) Überraschung.
Pro: Das soziale Erlebnis
Von András Szigetvari
Saftige Wiesen, mächtige Bäume, frische Luft. Keine Frage, die Natur lockt mit ihren Reizen. Aber wer regelmäßig laufen geht, weiß, dass Joggen im Grünen vor allem eines ist: langweilig. Wer etwas erleben will, bleibt in der Stadt.
Nur das Laufen in der City ermöglicht sportliche Weiterentwicklung. Während die einzigen Herausforderer im Wald Eichhörnchen in Todesangst sind, ist die Stadt eine einzige Wettkampfarena: Anfänger können gegen Fiaker antreten, Fortgeschrittene den Sprint gegen D-Wagen und Bus wagen. Wer joggt, lernt seine Stadt zudem immer wieder neu kennen, kann kleine Gassen und verwinkelte Wege erkunden.
Am wichtigsten ist aber das soziale Erlebnis. Dem Läufer im Wald begegnet außer besagten Eichhörnchen kaum jemand. In der Stadt hingegen kommen einem fortwährend Radfahrer, Hundebesitzer und Läufer entgegen. Klar sind da ein paar echte Soziopathen darunter, aber sie runden den Lauf erst richtig ab und machen aus dem Joggen ein soziales Spektakel, das kein Fernsehprogramm ersetzen könnte.
Kontra: Kälte im Herzen
Von Christian Schachinger
Die Autofahrer tragen immer die Schuld, die Radfahrer sind gewissenlose Rowdys. Straßenbahnfahrer sind asozial und wählen kryptofaschistische Parteien. Hundebesitzer haben ihre Viecher nicht unter Kontrolle.
Es liegt eine Verachtung im Blick von Joggern, wenn sie drei Meter vor einem ohne jede Rücksicht auf Verluste die Spur queren, die nicht nur ihrem eigenen Leben gilt. Vielleicht mag es ja auch an der unbarmherzig hämmernden Musik in den Ohrstöpseln liegen, die den Laufrhythmus bestimmen soll. Möglicherweise ist es die Kälte, die von den Füßen her hinauf zum Herzen kriecht. Sicher nagt auch die Tatsache am Selbstbild, dass man läuft, aber eines nicht weiß: Wohin laufe ich denn eigentlich - und was mache ich dort?!
So wie die Hunde und die Radfahrer und die Straßenbahnfahrer (außer den netten) haben Jogger in der Stadt absolut nichts zu suchen. Die Stadt gehört mir und meinem Auto! Blöd nur, dass in Wien hunderttausende andere Leute wohnen, die genauso denken wie ich. (Rondo, DER STANDARD, 22.3.2013)