
In der technologischen Vision des "Internet der Dinge" hängen nicht nur die Menschen im Internet, sondern auch Sofa, Koffer und Stuhl sind online.
Ein Auto warnt ein anderes vor Glatteis, das Hemd vereinbart mit der Waschmaschine das passende Programm, Büroklammern leuchten am gesuchten Aktenstoß auf. Natürlich meldet sich der Schlüssel, bevor er vergessen wird, oder die Milch, wenn sie sauer ist – die technologische Vision von einem "Internet der Dinge" verspricht, dass sich selbst alltäglichste Probleme wie von selbst lösen, indem die Gegenstände unseres Alltags untereinander vernetzt sind.
Ähnlich radikal, wie das Internet geografische Distanzen teilweise schrumpfen ließ, soll das Internet der Dinge die Gesellschaft grundlegend verändern. Statt ins Internet zu "gehen", werde sukzessive jeder und alles permanent online sein, meint Manfred Tscheligi, Professor für Mensch-Computer-Interaktion und Usability an der Uni Salzburg. Die Idee ist nicht neu, das Ausmaß ihrer Realisierung schon, was entsprechende gesellschaftspolitische und juristische Fragen aufwirft.
1989 sprach der Informatiker Mark Weiser von sogenannten ubiquitären Technologien, die derart "in den Alltag eingeflochten sein werden, dass man sie nicht mehr als solche wahrnimmt". Eine Vision, die "durch die Miniaturisierung der Technologie und der gleichzeitigen explosionsartigen Ausbreitung des Internets möglich" wird, sagt Alois Ferscha, Vorstand des Instituts für Pervasive Computing an der Johannes-Kepler-Universität Linz. Teilweise ist das Internet der Dinge in großem Maßstab bereits realisiert.
In Dubai sind 60.000 Gebäude miteinander vernetzt und stimmen etwa ihre Klimaanlagen und Aufzüge aufeinander ab. Die Stadt ist damit das, was man im Fachjargon eine "Smart City" nennt, eine Stadt, in der nicht nur die Menschen im Internet hängen, sondern auch ihre Häuser, Verkehrsmittel, Alltagsgegenstände.
Die aus diesen gesammelten Daten generierte Wolke an Informationen muss jedoch erst analysiert werden. Denn das eine ist die technologische Herausforderung, alle Objekte mit Software abzubilden und Daten über Standort oder Verhalten zu sammeln, das andere bleibt die Frage, zu wessen Nutzen dies geschieht.
Mensch hinter der Maschine
Um Belanglosigkeiten von Relevantem zu unterscheiden, brauche es ein entsprechendes Cloud Computing, sagt Schahram Dustdar vom Institut für Informationssysteme der Technischen Universität Wien. Dieses soll die Information maschinell filtern und zusammenführen.
Wenn Informationen von Maschinen erhoben und automatisch verarbeitet werden, braucht es da den Menschen überhaupt noch? Zumindest beim Projekt in Dubai sitzen im "Control Room" hinter den Bildschirmen schließlich doch noch Menschen. "Star Trek, quasi", meint Dustdar. Er arbeitet im Projekt von "Pacific Controls" zur Vernetzung von Dubais Wolkenkratzern an der Software, die zwischen den Sensoren und dem Kontrollzentrum vermittelt. An dem Projekt reizt ihn im großen Stil das umzusetzen, was sonst aus finanziellen oder politischen Gründen oft Prototyp oder Pilotversuch bleibt. "Die große Umwälzung" durch Cloud Computing sieht er allerdings auch als Zukunftsszenario für Europa.
Doch während in der Entwicklung des Internets der Dinge ausgereizt werde, was technisch möglich ist, meint Tscheligi, blieben Smart Objects für die Öffentlichkeit weitgehend eine abstrakte Idee, die weder einen guten noch einen schlechten Ruf habe.
"Man kann sich noch nicht vorstellen, dass die Büroklammern auf meinem Schreibtisch bald irgendetwas tun könnten, außer da einfach nur herumzuliegen", erklärt der Usability-Forscher. Es werde kleinstmögliche " Aufstecklösungen" geben, erklärt Ferscha, die jedes Objekt in ein " Internetding" verwandeln können.
Die dabei generierte Cloud beschreibt Dustdar als transparent, "in dem Sinne, dass ich nicht mehr weiß, wo meine Daten sind, und es mir auch egal ist, es funktioniert wie eine Utility, wie Strom, wie Wasser". Gerade dadurch stellen sich Fragen der Privatsphäre und der Kontrolle.
Ferscha, der in verschiedenen EU-Gremien die Zukunft des Internets der Dinge diskutiert, mahnt, dabei nichts dem Zufall zu überlassen, sondern zu fragen, was wir von diesem technologischen Paradigma wollen und was nicht. "Ethik muss schon im Design angelegt sein." Beim Smartphone, dem meistverbreiteten Smart Object, sei das verabsäumt worden.
Die Maxime laute: Produziert wird, was gekauft wird. Ferscha kritisiert: Der Konsument wisse oft viel zu wenig über die Beschaffenheit der Technologie und darüber, wie diese in seine Privatsphäre eingreife. Dass so viele Daten – etwa eines Mobiltelefons oder einer Kreditkarte – an eine physische Person geknüpft sein müssen, sieht der Wissenschafter nicht ein. "Es gibt hier ein unfaires Gefälle zwischen Wissenden und Nichtwissenden", er spricht von einem "Missverhältnis" zwischen dem, was die Industrie verkaufen will, was die Forscher entwickeln könnten und dem, was gesellschaftspolitisch erwünscht ist.
Moralität der Dinge
Wenn die Rede davon ist, dass Dinge etwas "verhandeln", ist die sprachliche Analogie zu menschlichem Verhalten bewusst gewählt. Der Computerwissenschafter Ferscha will das Internet der Dinge sozial gestalten. Unter den vernetzten Haushaltsgeräten solle es ähnlich zugehen wie in Kleingruppen von Menschen.
Die Algorithmen der Smart Objects sollen sich an Mechanismen wie Spiel, Kooperation, Wettbewerb, Prestige und Reputation orientieren. Auch im Internet der Dinge, betont Ferscha, wird es Viren und digitale Störenfriede geben, die Dinge werden sich aufeinander verlassen können müssen.
Diese Diskurse, in denen der Mensch als Teil eines technologisierten Systems gesehen wird, sind Ausgangspunkt für grundlegendere ethische Überlegungen.
Denn Smart Objects übernehmen nicht bloße, routinisierte Alltagshandlungen, sondern auch moralische Entscheidungen und Verantwortung, meint der niederländische Technikphilosoph Peter-Paul Verbeek von der Universität Twente. Es entstehe Bedarf, die "Moralität der Dinge" zu verstehen, um die gesellschaftlichen Konsequenzen, die das Internet der Dinge nach sich zieht, abschätzen und beeinflussen zu können. (Louise Beltzung, Julia Grillmayr, Tanja Traxler , DER STANDARD, 20.03.2013)
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Wissen: Vernetzter Alltag
Die Idee vom Computer als stummen Gegenüber wird immer mehr obsolet. Technologien, die eigenständig Daten erheben und auswerten, verändern den Alltag grundlegend und damit auch technologische Konzepte, die in die Alltagssprache dringen.
1989 prägte der Informatiker Mark Weiser die Vision des Ubiquitous Computing, die eine Allgegenwart von Informationstechnologie beschreibt. In den USA setzte sich der radikalere Begriff Pervasive Computing durch: Computer sollen nicht nur überall sein, sondern auch überall drinnen sein.
Das europäische Pendant dazu ist Ambient Intelligence, das einige Jahre einen prominenten Platz in den EU-Forschungsrahmenprogrammen einnahm. Der Begriff, der ursprünglich vom Unternehmen Philips geprägt wurde, entwarf die Vision einer Umgebung, die völlig von intelligenten Technologien durchdrungen ist.
Die zentrale Frage, die das Internet der Dinge aufwirft, ist, was wäre, wenn jedes Ding eine IP-Adresse hätte. Schätzungen zufolge sollen bis 2020 100 Milliarden Objekte mit dem Internet verbunden sein, derzeit sind es geschätzte 20 Milliarden. Die untereinander vernetzten Gegenstände werden als Smart Objects bezeichnet.
Durch die enorme Menge an Informationen, die durch Dinge ins Internet gestellt werden, fällt Big Data an – das schafft Probleme in der Datenverarbeitung und ebenso beim Datenschutz. (grill, lou, trat)