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Die Figur des Zombies ist eine US-amerikanische Erfindung, die durch die Berichte des Weltreisenden William Buehler Seabrook ihren Weg in das "Land der unbegrenzten Möglichkeiten" fand.

Foto: EPA/OLIVER WEIKEN

Seit Oktober 2011 suchen die wandelnden Untoten in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen die US-amerikanischen TV-Bildschirme heim. Mit rund fünf Millionen Zusehern pro Folge bescherte "The Walking Dead" dem Sender AMC ein Quotenhoch der Superlative. Der Start der zweiten Staffel erzielte mit durchschnittlich 7,3 Millionen Zuschauern sogar den absoluten Einschaltrekord in der Geschichte des US-Kabelfernsehens. Aber auch in Deutschland erfreut sich die Splatter-Serie großer Beliebtheit: Etwa eine Million Anhänger verfolgen hier wöchentlich den postapokalyptischen Überlebenskampf von Hilfssheriff Rick Grimes und seiner Gefolgschaft gegen Heerscharen von "Walkern", wie die Zombies in der Serie genannt werden.

Der Plot, basierend auf einer Comic-Reihe von Robert Kirkman und Tony Moore, bietet auf den ersten Blick kaum Novitäten: Protagonist Rick Grimes erwacht eines Tages in einem verwüstetet und menschenleeren Krankenhaus. Die Lebenden sind geflüchtet, suchten Schutz vor einem nicht näher präzisierten Virus, das die Zivilgesellschaft zu mordenden, blutrünstigen Menschenfressern mutieren lässt. Was neu ist: Niemand ist vor dem geheimnisvollen Erreger sicher, denn alle tragen ihn bereits in sich. So lautet zumindest die These, die während der zweiten Staffel exploriert wird.

Äußere und innere Feinde

In den 1950er Jahren dominierte noch die Angst vor Erregern und Ansteckung. Impfungen, das Sauberhalten des Hauses, der Kleidung, des Körpers und der Wunden standen im Zentrum des gesundheitspolitischen Interesses. "Die Bedrohung der Gesundheit kam von 'außerhalb' des Körpers. Es galt daher, das Eindringen von Keimen in das Körperinnere zu verhindern", sagt die Politologin Eva Kreisky von der Universität Wien.

Nach den 50er Jahren wurde die Abwehr "innerhalb" des Körpers zum Thema, wodurch es galt neue Sicherheitsvorrichtungen in den Körpern zu etablieren. Ein alltagstauglicher Indikator dafür ist etwa die Vielzahl an "Functional Food"-Produkten beziehungsweise probiotischen Lebensmitteln, die von "innen heraus wirken" und einen positiven Effekt auf das Immunsystem versprechen.

"Die neuen Bilder von idealen Körpern laufen auf neue Versionen alter Machtsysteme hinaus, in denen einige von uns Immunsysteme haben, die fit genug sind, um Masseninfektion zu überstehen, während andere zum Untergang verurteilt sind", analysiert Eva Kreisky. Genau dieses Sujet bedient auch "The Walking Dead" und spiegelt damit eine zentrale Facette des neoliberalen Körperdiskurses wider, in dem eine permanente Optimierung und Adaptierung der physischen Konstitution als notwendige Voraussetzung für das Überleben postuliert wird.

Ein fixer Bestandteil des modernen Zombie-Genres, das mit George A. Romeros "Night of the Living Dead" seinen Ausgang nimmt, ist die anonyme und diffuse Bedrohung durch etwas, das aus dem Weltraum kommt oder auf der Vorstellung eines entfesselten Wissenschaftsverständnis basiert, das systematisch seine Grenzen ignoriert. "Quasi eine moderne Metapher für eine Hightech-Medizin ohne jegliche moralisch-ethische Parameter", wie es die Wiener Kultur- und Sozialanthropologin Ulrike Davis-Sulikowski ausdrückt.

Besonders deutlich wird das in britischen Zombie-Filmen wie "28 Days Later", in dem ein im Labor gezüchtetes "Rage-Virus" versehentlich durch Tierschützer freigesetzt wird. Großbritannien hat schließlich die liberalste Gesetzgebung im Umgang mit Genforschung und Reproduktionsmedizin, deren primäre Antriebsfeder auf eine rein pragmatische Neugier beschränkt zu sein scheint. Es scheint daher nicht zufällig, dass sich die Infizierten in der Version von Regisseur Danny Boyle nicht mehr durch ihr typisches Wanken und Taumeln fortbewegen und ihre Macht vor allem durch ihr massenhaftes Auftreten entfalten, sondern auch mit Kraft und Schnelligkeit ausgestattet sind.

Obsessive Körperlichkeit

Generell ist das Zombie-Sujet von einer obsessiven Auseinandersetzung mit der Körperlichkeit geprägt. "Alles was Körper bedeutet - also Lebendigkeit, Gesundheit, Ansteckung, Krankheit und Tod - all diese Themen, die immer und gleichzeitig vorhanden sind, können als böser Kommentar auf ein völlig fehlgeleitetes und naives Vertrauen in die Wissenschaft gelesen werden", so Ulrike Davis-Sulikowski.

Nicht umsonst fällt das Geburtsjahr des modernen Zombiefilms in das Jahr 1968 - einer Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs. In "Night of the Living Dead" beschränkt sich die Postapokalypse noch auf den Mikrokosmos in einem Wohnhaus. Einziger Überlebender des Zombieangriffs ist hier ein Afro-Amerikaner - für die Kultur- und Sozialanthropologin ein bewusst gesetztes ironisches Element durch George A. Romero, "da der farbige Protagonist letztendlich von Ordnungskräften umgebracht wird, weil sie ihn für einen wandelnden Untoten halten". Mit diesem dramaturgischen Kunstgriff liefert der Regisseur zudem einen subtilen Verweis auf die Ursprünge des Zombie-Mythos.

Haiti und Voodoo

"Zombies sind eine ureigene amerikanische Erfindung, die mit der Angst vor Haiti, das zwischen 1915 und 1934 von den USA besetzt war - und auch stellvertretend für Teile Afrikas steht - zusammenhängt. Es handelt sich dabei um eine komplexe Umsetzung von etwas, was man schlicht 'das schlechte Gewissen der Unterdrücker' nennen könnte", erklärt Ulrike Davis- Sulikowski. Demnach kann die Figur des Zombies als "kolonialer Export" des amerikanischen Schriftstellers, Malers, Okkultisten und Weltreisenden William Buehler Seabrook gelesen werden, der sich in den 1920er Jahren längere Zeit in Haiti aufhielt.

Der Globetrotter mit Hang zum Obskuren schildert in seinen Reiseberichten die Beobachtung von dahinwankenden Arbeitskolonen kreolischer Farmarbeiter, denen er auf der Landstraße begegnet und die ihn mit leeren Blicken anstarren. Bei seinen Recherchen stößt Seabrook auf die Voodoo-Kultur, die durch den Sklavenhandel nach Haiti gelangte. "Dabei handelt es sich um einen riesigen religiösen Komplex aus der Westküste Afrikas, der etwa 4.000 bis 5.000 Jahre alt sein dürfte", so Ulrike Davis-Sulikowski. In der Fon-Sprache - der Lingua franca Westafrikas - bezeichnet "Zombi" den Rachegeist eines ermordeten Menschen. Indem der Leichnam mit dem Kopf nach unten begraben wird, erhält der Tote wieder Energie, so dass er seinen Mörder verfolgen kann.

Disziplinierung durch "Zombifizierung"

"In Haiti erhält das Ganze schließlich einen Körper, wobei es sich hier um eine eigenständige Kreation der dort ansässigen Bevölkerung handelt", so die Kultur- und Sozialanthropologin. Was Seabrook schließlich als "Zombies" titulierte, ist das Resultat einer in der Voodoo-Religion anerkannten Praxis der sozialen Disziplinierung. "Menschen, die sich asozial verhielten, konnten mittels Tribunal temporär von der Gesellschaft ausgeschlossen werden, indem sie von einem Priester - dem sogenannten Bokor - in einen Zustand des Scheintods versetzt, beerdigt und dann wieder ausgegraben wurden", erklärt die Expertin. Das dabei verabreichte Pulver ist eine Mischung aus Knochenmehl, Krötensekreten und dem Nervengift Tetrodotoxin eines Kugelfischs. In der richtigen Dosis eingesetzt, führt es zum Scheintod oder zumindest zur radikalen "Sedierung" der sozial Geächteten.

"Bis zu zwei, drei Jahre kann diese 'Zombifizierung' andauern, wobei jeder Bokor am Tag der Toten einen Menschen freigeben muss. Schließlich werden diese zutiefst traumatisierten Menschen schlicht und einfach auf Wegkreuzungen abgestellt, wo sie dann von den Angehörigen abgeholt werden können", sagt Davis-Sulikowski.

Ob Seabrook tatsächlich diese "Zombies" gesehen hatte oder einfach nur Zeuge der menschenverachtenden Arbeits- und Lebensbedingungen kreolischer Landarbeiter wurde, bleibt ungeklärt. In weiterer Folge galt der Reisebericht als Vorlage für den ersten Film "White Zombie" aus dem Jahr 1932. Ulrike Davis-Sulikowski dazu: "Während hier noch der direkte Bezug zu Haiti vorhanden ist und die Furcht des weißen Mannes vor den Unterdrückten zum Ausdruck gebracht wird, haben wir es in 'The Walking Dead' mit einer weitaus umfassenderen Angst zu tun: der Angst vor uns selbst." (Günther Brandstetter, derStandard.at, 21.3.3013)