Es war wahrscheinlich keine gute Idee, beim ersten Beschluss über die Zwangsabgabe auf Bankguthaben in Zypern auch die kleinsten Sparer mit einzubeziehen. Aber die Reaktion der zypriotischen Bevölkerung war noch verfehlter: Die Empörung über das Abkommen war nach vielen Medienberichten vor allem vom Gefühl gespeist, dass die kleinen Leute keine Schuld an der Misere des kleinen Inselstaates trügen. Dies sei die Verantwortung von anderen: der Banker, der Politiker, der ausländischen Investoren, der Eurozone, der Deutschen.

Die Zyprioten stehen mit dieser Einstellung nicht allein da. "Wir zahlen nicht für eure Krise", ist seit Jahren das Schlagwort der Menschen, die in ganz Europa auf die Straße gehen, um gegen Sparmaßnahmen und Belastungen zu protestieren. Die Überzeugung, andere seien schuld, und man werde nun unberechtigterweise zur Kasse gebeten, treibt die Menschen in Spanien, Griechenland, Portugal, und Italien zu all jenen Zornreaktionen, die Krisenmanagement und Regieren so schwer machen.

Und auch in Deutschland und Österreich ist die Überzeugung, böse Banker und Spekulanten seien Schuld an allem und müssten nun bestraft werden, nicht nur in den Gewerkschaften und den Linksparteien weit verbreitet.

Gerade aber das Beispiel Zypern zeigt, wie absurd diese Einstellung ist. Der 900.000-Einwohner-Staat hat sich schon vor Jahren einem Wirtschaftsmodell verschrieben, das auf die Stärke des eigenen Bankenplatzes beruht. Das wurde ihnen nicht von fremden Eliten - britischen Bankern oder russischen Investoren - aufgezwungen, sondern war eine eigenständige politische Entscheidung, die kurzfristig viel brachte.

Profitiert davon hat die gesamte zypriotische Gesellschaft, also fast alle Bewohner. Manche mehr, manche weniger, aber alle etwas. Der Wirtschaftsboom des vergangenen Jahrzehnts beruhte in Zypern auf der Attraktivität des Finanzsektors, viel mehr als noch in Irland oder Großbritannien. Das brachte Einkommenszuwächse und Arbeitsplätze. Und selbst die kleinen Sparer genossen höhere Zinsen als anderswo in der Eurozone.

Deshalb wäre es angebracht, dass ein breiter Teil der Bevölkerung zu den finanziellen Aufräumarbeiten einen Beitrag leistet. Eine Debatte darüber wäre schon im Vorfeld gut gewesen, die empörte Reaktion auf der Straße und im Parlament aber ist verfehlt und gefährdet die Zukunft des Landes.

Doch die Zyprioten sind damit nicht allein. Auch anderswo fehlt das Bewusstsein, dass die Entwicklungen, die zur Finanzkrise geführt haben, nicht von fremden Eliten - weder von Außerirdischen noch von Wall-Street-Bankern - herbeigeführt wurden, sondern von der eigenen Bürgergesellschaft, von den gewählten Mandataren und den Wirtschaftstreibenden, die mitten aus dem Volk kommen. Deshalb tragen auch alle ein wenig Verantwortung. Das ist das Wesen demokratischer Gemeinwesen.

Millionen von Iren und Spaniern profitierten vom Bauboom, der die dortigen Banken ruinierte. Die italienische Misere ist tief in der politischen Kultur des Landes verankert. Die Politiker, die Beppe Grillo nun verjagen will, sind typische Vertreter der italienischen Gesellschaft.

In Griechenland ist die weit verteilte Verantwortung noch offensichtlicher: Fast jeder Grieche hat entweder Steuern hinterzogen, im aufgeblähten Staatssektor Jobs gesucht oder die politische Kultur unterstützt, die in die Katastrophe führte. Nicht alle haben gleich viel profitiert, aber niemand kann sich komplett herausnehmen. Je mehr sie es versuchen, desto schwieriger wird der Weg aus der Krise.

Und das gilt auch für Österreich. Bei uns trägt die Bankenkrise, die den Staat nun Milliarden kostet, zwei Namen: der Volksbankensektor mit ÖVAG und Kommunalkredit sowie die Hypo Alpe Adria.

Die Volksbanken waren das, was der Name sagt, ein Genossenschaftsmodell, wo kleine, zu groß gewordene Bankbeamte und nicht fremde Spekulanten die Entscheidungen trafen. Diese Leute sind ein Abbild unserer Gesellschaft, sie kommen mitten aus dem Leben.

Und bei der Hypo waren es Jörg Haider und seine Leute, die die rücksichtslose Expansion vorantrieben. Haider wurde über Jahre von den Kärnten - und vielen anderen Österreichern - gewählt, gewählt und wieder gewählt. Auch für ihn tragen weite Teile der österreichischen Bevölkerung Verantwortung.

Deshalb müssen wir alle zahlen,  sei es über höhere Steuern, geringere Staatsausgaben oder wie im Fall von Zypern eine Abgabe der Bankkunden. Denn wenn wir es verweigern, wie jetzt die Zyprioten offenbar glauben, aus Selbstgerechtigkeit und Stolz tun zu müssen, dann wird die Rechnung am Ende noch viel höher sein. (Eric Frey, derStandard.at, 20.3.2013)