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"Es ist immer wieder erstaunlich, für wie viele medizinische Maßnahmen wir eigentlich keinen wissenschaftlichen Nachweis haben, dass der Patient wirklich davon profitiert", kritisiert Andreas Sönnichsen vom Institut für Allgemeinmedizin der Universität Witten/Herdecke die gängige Krankenhauspraxis.

Foto: AP/JENS MEYER

Witten - Vor kleineren Operationen werden in vielen Krankenhäusern häufig unnötige Untersuchungen durchgeführt, die keinen Nutzen für den Patienten bringen. Das ist das Ergebnis der Studie PROP (präoperative Diagnostik), die nun mit dem David-Sackett-Preis ausgezeichnet wurde.

"Es ist immer wieder erstaunlich, für wie viele medizinische Maßnahmen wir eigentlich keinen wissenschaftlichen Nachweis haben, dass der Patient wirklich davon profitiert. In unserem Fall ging es um Routine-Untersuchungen vor kleineren Operationen aus den Gebieten Orthopädie, Hals-Nasen-Ohren oder Allgemeinchirurgie", erklärt Andreas Sönnichsen vom Institut für Allgemeinmedizin der Universität Witten/Herdecke und Leiter einer 12-köpfigen Arbeitsgruppe aus den drei Ländern Österreich, Deutschland und Italien, die vom Deutschen Netzwerk Evidenzbasierte Medizin (DNEbM) ausgezeichnet wurde.

"Kein Nutzen und zumeist viel zu umfangreich"

An der Studie nahmen rund 1.500 Patienten teil. Bei zwei von drei Patienten (66 Prozent), also insgesamt rund 1.000, hätte nach Ansicht des Experten eine körperliche Untersuchung und medizinische Befragung vollkommen ausgereicht. Dennoch wurden 3.380 weitergehende Tests durchgeführt wie großes Blutbild, Leberwerte, Gerinnungsparameter, Elektrolyte, EKG oder Thorax Röntgen. "In einem nahezu evidenz-freien Raum wird unstrukturiert allerlei Routine-Diagnostik vor solchen Eingriffen durchgeführt, die aber keinen Nutzen bringt und zumeist viel zu umfangreich ist - ganz zu schweigen davon, dass viele Untersuchungen vorher schon mal gemacht wurden und so unnötige Kosten entstehen", so das Resümee von Sönnichsen.

Selbst die auf diese Weise meist zufällig entdeckten Befunde hätten keinen Einfluss auf den Ablauf der Operation oder ihren Heilungserfolg, stellt die Arbeitsgruppe in einer weitergehenden Analyse der Daten fest. Die Wissenschaftler schlussfolgern daraus, dass bei Patienten ohne entsprechende Hinweise aus dem Arztgespräch oder besondere Risikofaktoren und Vorerkrankungen die Untersuchung vor einfachen Operationen auf die sorgfältige Anamneseerhebung und körperliche Untersuchung reduziert werden kann.

Elektronische Entscheidungshilfe

Zusätzlich entwickelten und programmierten die Forscher eine elektronische Entscheidungshilfe namens PROP, die online am Computer zur Verfügung steht. Der behandelnde Arzt gibt anamnestische Daten und Untersuchungsdaten, Operationsschwere, Alter sowie das Geschlecht des Patienten ein und das Programm schlägt die präoperativen Untersuchungen vor. PROP wurde 2009 sowohl für Salzburger Krankenhäuser als auch im niedergelassenen Bereich durch Schulungen von Klinikärzten und Allgemeinmedizinern eingeführt.

Die Auswirkungen des Einsatzes von PROP wurden in einer nicht-randomisierten Vergleichsstudie evaluiert. Für die sechs untersuchten Parameter Blutbild, Elektrolyte, Gerinnung, EKG, Röntgen-Thorax und Leberwerte zeigte sich eine klinisch relevante und signifikante Verbesserung der Adhärenz zu den PROP zugrunde liegenden Empfehlungen. Der Vorher-Nachher-Vergleich zeigte: 3,4 unnötige Tests pro Patient vor Einführung des PROP und 0,6 nach Implementierung der Software. Vorher hatten 98 Prozent der Patienten mindestens einen unnötigen Test erhalten, nachher waren es 32 Prozent, betonen die Wissenschaftler. (red, derStandard.at, 20.3.2013)