Bild nicht mehr verfügbar.

Herr und Frau Anonymous müssen auch auf der Whistleblower-Seite die Maske nicht abnehmen.

Foto: dapd/Sang Tan

Wien - "Vernadern" gehörte bisher nicht zum Wortschatz von Kenan Tur. Dass es dasselbe wie anschwärzen oder denunzieren bedeutet, hat der Berliner Wirtschaftsinformatiker in Wien gelernt, wo er am Mittwoch das neueste Produkt seiner Firma Business Keeper AG präsentierte: die Whistleblower-Webseite für die zentrale Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsssachen und Korruption (WKStA). Ab sofort kann dort jeder online auf vermutete Wirtschaftsverbrechen und Korruption aufmerksam machen, ohne seine Identität preiszugeben.

Justizministerin Beatrix Karl (VP) und WKStA-Leiterin Ilse-Maria Vrabl-Sanda bezeichnen das System als "weiteren Schritt in der Strafverfolgung von Heimlichkeitsverbrechen". Jeweils drei Oberstaatsanwälte aus dem Team der Korruptionsfahnder werden künftig zusätzlich zu ihrer Tätigkeit brauchbare Informationen von haltlosen Unterstellungen trennen und entsprechende Ermittlungen anstellen.

Das Besondere: Über das BKMS-System (Business Keeper Monitoring System) können Hinweisgeber und Staatsanwälte miteinander kommunizieren. Und zwar über eine anonyme Post-Box, die die jeweiligen Whistleblower anlegen müssen und für den sie einen Zugriffscode erhalten. Wer will, kann sich natürlich auch mit vollem Namen anmelden. Doch die Zusicherung der Anonymität auf Wunsch ist oberstes Gebot. Der Meldeprozess auf externen Servern wird über einen direkten Link auf der Justizhomepage in Gang gesetzt. Eine Rückverfolgung der IP-Adresse ist laut Kenan Tur, dessen Meldesysteme schon bei deutschen Kriminalämtern und beim Fußballweltverband FIFA laufen, nicht möglich.

Verräterische Attachements

Zur Wahrung der Anonymität müssen allerdings folgende Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden: Keine Daten angeben, die Rückschlüsse auf die Identität des Hinweisgebers zulassen; keine Attachements wie Fotos oder PDF-Dokumente mitschicken, weil diese verräterische Metadaten enthalten; keine Intranetverbindungen im Büro nutzen, weil dort angesteuerte Seiten protokolliert werden.

Vrabl-Sanda betont, dass "wir in erster Linie zu Sachbeweisen kommen und nicht Identitäten offenlegen wollen". Die Strafverfolgung eines möglicherweise involvierten Zeugen, der beim Whistleblowen einen Fehler bei der Absicherung der Anonymität gemacht, kann sie aber nicht ausschließen. Andererseits können Hinweisgeber, wenn sie später selbst unter Verdacht geraten, den Status eines Kronzeugen erhalten (siehe Wissen).

Die Kosten für das neue Tool gegen Korruption, Finanzverbrechen, Sozialbetrug und Geldwäscherei wollte Karl nicht beziffern. Auf Nachfrage des STANDARD hieß es, dass die Summe unter der Ausschreibungsgrenze liege - und die betrug 100.000 Euro.

Mit überproportionaler Vernaderung ist laut Tur nicht zu rechnen. Im deutschen Bundesland Baden-Württemberg seien bereits 20 bis 30 Prozent aller Korruptionsermittlungen online initiiert. (Michael Simoner, DER STANDARD, 21.3.2103)