Andreas Dittert

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Romanshorn/Wien - "Ich hab keinen Kraftraum und keine Laufbahn mehr sehen können." Also hat sich Andreas "Andy" Dittert (45), abgesehen von einigen ORF-Kommentaren, im Sport eher rar gemacht, seit er als Handballer zurücktrat. 2004 ist das gewesen, im Nationalteam war schon vier Jahre vorher Schluss. Da hatte sich mit Ditterts 203. Länderspiel quasi ein Kreis geschlossen, der Gegner hieß Ungarn - wie 1986, als Dittert zum ersten Mal für Österreich angetreten war.

An die Premiere erinnert er sich fast besser als an den Abschied. Sie stieg in Pecs, der 19-jährige Dittert warf vier Tore, Ungarn siegte 28:18. Der Debütant saß fix und fertig auf der Bank, verbarg seinen Kopf unter dem Handtuch. Mitspieler gratulierten ihm zu den vier Goals. "Ich hab halt unbedingt gewinnen wollen", sagt Dittert, und er fügt hinzu: " Das war das West-Wien-Gen."

Bei West Wien oder auch UWW ging nicht nur Ditterts Karriere los. U steht für Union, schwarze Abteilung also. Umso bemerkenswerter war der Aufstieg, den die Hietzinger da hinlegten. Mitte bis Ende der 80er hatte sich dort eine Partie junger Handballer gefunden, die unter Andys Vater Harry Dittert von ziemlich weit unten bis ganz nach oben marschierten. Woraufhin Harry Dittert, der 1966 bei der letzten Feldhandball-WM mit Österreich Bronze geholt hatte, freiwillig abdankte. "Ich hab als Trainer gewusst, was ich kann", sagt er. "Aber vor allem hab ich gewusst, was ich nicht kann." Das konnte dann Vinko Kandija, nämlich West Wien an die europäische Spitze führen.

Das deutsche Intermezzo

Bei den größten UWW-Erfolgen, den Champions-League-Heimsiegen gegen Wallau-Massenheim und den späteren Europacup-Sieger Santander, war Andy Dittert nicht mehr an Bord. Da hatte er, nach zwei Jahren in Stockerau, den Sprung in die echte Professionalität geschafft, den Sprung ins Ausland. Die erste Station war Düsseldorf, die zweite Station war Niederwürzbach, da wie dort blieb er drei Jahre, da wie dort war er Pokal-Finalist.

Als Dittert, dessen Mutter Deutsche war, nach Düsseldorf ging, dachte er zunächst daran, doppelter Staatsbürger zu werden, um keinen Legionärsplatz zu beanspruchen. Die doppelte Staatsbürgerschaft spielte es aber nicht, also bekam Dittert kurzfristig einen deutschen Pass, auf dass er spielen konnte. "Damals ging das Gerücht, dass das Bosman-Urteil bald gefällt werden sollte, darauf hab ich gehofft." Dittert spielte in Düsseldorf so gut, dass er gefragt wurde, ob er nicht auch für Deutschland spielen wolle. "Das kam nicht infrage, ich war ja Österreicher mit Leib und Seele." Zum Leib und zur Seele gesellte sich 1996 wieder ein Pass, der Fußballer Bosman hatte auch den Handballern Europas das Recht auf freie Wahl des Arbeitsplatzes eingeräumt. Und nach einer Pause von drei Jahren spielte Dittert wieder für Österreich.

Die Pause konnte nichts daran ändern, dass Dittert zum Rekordtorschützen Österreichs aufstieg, den Titel wird ihm sobald niemand streitig machen, in 203 Länderspielen hat er 1089 Tore erzielt. Bei der Länderspielanzahl machen ihm nur Ewald Humenberger (246) und Patrick Fölser (213) etwas vor, punkto Goals liegt er unangefochten vor dem aktuellen Teamkapitän Viktor Szilagyi (767) an der Spitze.

In Niederwürzbach hatte Dittert seine spätere Frau Nicole kennengelernt, auch sie spielte Handball. Als Andy 1999 nach St. Gallen übersiedelte, übersiedelte auch Nicole. Er wurde Schweizer Meister und zweimal Schweizer Cupsieger, schloss nebenbei ein Fernstudium zum diplomierten Sportmanager ab, sie bekam in St. Gallen bei der Helvetia Versicherung " einen Superjob". Und also blieben die Ditterts in der Schweiz, in Romanshorn am Bodensee. Sohn Tim, der bald zur Welt kommen sollte, hatte sowieso nichts dagegen. Andy fand bei MBT eine Stelle, MBT steht für " Masai Bare-foot Technology" und produzierte spezielle Schuhe mit einer speziellen Sohle.

Dittert blieb der Marke acht Jahre lang treu, dann meldete die Marke Insolvenz an, und er wechselte zu Joya, ebenfalls Hersteller eines " Schuhs mit einer Funktion für den ganzen Körper". Die Schuhsohlen sind besonders weich, das soll sich positiv auf den ganzen Bewegungsapparat auswirken. Dittert ist davon überzeugt und überzeugt davon, auch andere überzeugen zu können. "Das ist meine Berufung - vor Menschen stehen, mit ihnen reden, sie für etwas begeistern." Er wirkt als Head of Training sowie Key Account Manager. "Ich weiß, wovon ich rede, der Körper war schließlich immer mein Kapital."

Dass er Kapital aus dem Handball geschlagen hat, hat laut Dittert nicht nur damit zu tun, dass auch sein Vater Handballer war. "Ich bin, das wissen die wenigsten, jahrelang in Niederösterreich auch Skirennen gefahren." Mit Thomas Sykora ist er befreundet, dessen Vater hat in Tulln seinerzeit Handball gespielt, Ditterts Vater ist Sykoras Vaters Trainer gewesen, die Buben saßen auf der Tribüne und sahen zu. "Auf der Piste ist mir der Thomas dann irgendwann um vier Sekunden davongefahren."

Die Heim-WM-Furore

Dittert kam ins Handballer-Gymnasium Astgasse, er kam mit 16 Jahren in die UWW-Erste, stieg ein Jahr später in die Staatsliga B auf, ein weiteres Jahr später in die Staatsliga A. Wurde im linken Rückraum zur fixen Größe im Nationalteam, das bei der Heim-B-WM 1992 für Furore sorgte und als WM-Zweiter hinter Norwegen aufstieg. Vor der A-WM 1993 in Schweden hielt Dittert den sechsten Platz für möglich, Österreich stieg als 14. wieder ab.

"Und privat ist auch einiges passiert." Es hat ein wenig gedauert, bis Andy Dittert darauf zu reden kommt. Vor vier Jahren standen Nicole und er vor der Scheidung, sie lebten eine Zeit lang getrennt, rauften sich nicht, sondern redeten sich wieder zusammen. Er sagt, dass er sich grundlegend geändert habe, vor allem dank vieler Gespräche mit Jörg Walcher, dem (evangelischen) Sportkaplan, der zuletzt den ÖSV-Nordischen bei der WM im Fleimstal zur Seite stand.

Der gebürtige Schladminger Walcher ist mit der ehemaligen Schweizer Wasserspringerin Jacqueline Schneider verheiratet, auch er lebt im Kanton Thurgau, ganz in Ditterts Nähe. Dieser hat sich Walcher und Gott zugewandt. "Ich habe ihn gesucht und gefunden", sagt Dittert (über Gott). Früher sei er "cholerisch und egozentrisch" gewesen. "Ich hab im Mittelpunkt stehen müssen, es war fast zwanghaft. Jetzt steht Gott im Mittelpunkt." Dittert ist "leidenschaftlicher Bibelleser".

Was Andy Dittert jetzt wichtig ist? "Mit Menschen ein positives Verhältnis zu haben." Das gilt insbesondere für seine Frau und den mittlerweile zehnjährigen Sohn, der für Romanshorn nicht Handball, sondern Fußball spielt. Das gilt aber dennoch für die Romanshorner Handballer, die Dittert seit einigen Monaten betreut. Dreimal die Woche wird trainiert, am Wochenende wird Meisterschaft gespielt, dritte Klasse, das Ziel ist die Zweitklassigkeit. Dittert kann sich vorstellen, irgendwann auch in oder für Österreich tätig zu sein. "Handball reizt mich wieder", sagt er. Im Kraftraum oder auf der Laufbahn steht ja nicht unbedingt der Trainer im Mittelpunkt. (Fritz Neumann, DER STANDARD 24.3.2013)