Alfred Grinschgl

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15 Jahre nach Privatradiostart: ORF dominiert den Markt

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Nach den ersten 15 Jahren Privatradio in Österreich am 1. April dominiert weiterhin der ORF den Markt. Alfred Grinschgl half dem Gebührenfunk: Er startete die Antenne Steiermark - dank einer Gesetzeslücke - früher. Harald Fidler fragte den heutigen Rundfunkregulierer.

STANDARD: Hat sich der ORF eigentlich je bei Ihnen bedankt, dass Sie ihm mit der vorweg gestarteten Antenne Steiermark gerade noch rechtzeitig gezeigt haben, wie schlecht er auf Privatradio vorbereitet ist?

Grinschgl: Bedankt hat er sich nie bei mir, allerdings hatten wir gerade in der Anfangszeit ein "partnerschaftliches" Verhältnis. Gerhard Zeiler fragte mich damals, wann ich ihn ins Steirereck einladen würde, wo wir von der Antenne unsere erste Präsentation hatten. Der steirische ORF-Landesintendant Kurt Bergmann schickte mir einen ORF-Richtfunkspiegel, weil unserer zu spät eingelangt war ...

STANDARD: Sie konnten 1995 früher starten als die übrigen Sender und haben das damalige Ö3 1995 mit der Antenne Steiermark aus dem Stand überholt. War der Frühstart aus der Sicht des Gesamtmarkts ein Fehler? Mit der regional begrenzten Erfahrung (und ordentlich Verzögerung durch die Politik) konnte sich der ORF ja gut auf den nationalen Privatradiostart am 1. April 1998 vorbereiten.

Grinschgl: Wahrscheinlich haben Sie Recht, dass der Frühstart aus Sicht des Radio-Gesamtmarktes ein Fehler war. Einerseits kann man im Rückblick festhalten, dass die "Antenne Steiermark" auch heute zu den erfolgreichsten Privatradios in Österreich zählt, was zumindest teilweise auf das Konto dieses Frühstarts geht. Andererseits muss ich auch festhalten, dass Ö3 bald darauf begann, österreichweit Plakatserien zu starten, die ja bis heute anhalten. Mehr als 15 Jahre eine Serie nach der nächsten, das hält ja kaum ein Unternehmen aus. Marketing und damit Geld sind ein wichtiger Faktor. Und dieser längerfristige, nachhaltige Auftritt hat ja auch dazu geführt, dass die steirische Antenne nicht länger als 18 Monate 50 Prozent mehr Reichweite als Ö3 in der Steiermark hatte.

STANDARD: 15 Jahre nach dem Privatradiostart haben die ORF-Radios einen europaweit hervorstechenden Marktanteil von 74 Prozent, in der Werbezielgruppe von 66 Prozent. Kann man da von einem Markt sprechen?

Grinschgl: Das ist schon richtig, aber ich würde die Dynamik dahinter etwas genauer betrachten: Alle ORF-Radios in Summe haben vom zweiten Halbjahr 2011 zum zweiten Halbjahr 2012 weniger Marktanteile, sie haben den Marktanteil von 68 auf 66 Prozent reduziert, während die Privaten dazugewonnen haben, nämlich von 30 auf 32 Prozent. Wenn ich die letzten zehn Jahre heranziehe, dann haben sich in der Zielgruppe der 14- bis 49-jährigen Hörer die Unterschiede in den Marktanteilen (Radiotest, Montag - Sonntag) zwischen dem höchst erfolgreichen ORF-Programm Ö3 und den gesamten Privatradios von 31 Prozent (2003) auf 10 Prozent doch deutlich reduziert. Auch hier gilt einmal mehr: Die Entwicklungen dauern oft viel länger als wir annehmen, aber sie finden statt. Ich würde aus der Sicht des ORF diese Entwicklung ganz genau beobachten und allenfalls Konsequenzen daraus ziehen.

STANDARD: Sie sind seit 2001 Geschäftsführer der Rundfunk- und Telekomregulierung RTR, zuständig etwa für die Förderung von Inhalten privater Radios und Fernsehsender im - weit gefassten - Dienst der Allgemeinheit. Wie definieren Sie Ihre Aufgabe als RTR-Chef - als Entwickler eines privaten Rundfunkmarktes?

Grinschgl: Übersetzt aus jenen gesetzlichen Bestimmungen, die auf mich beziehungsweise auf die RTR-GmbH insgesamt zutreffen, sehe ich mich als Vertreter des Wettbewerbs, der Vielfalt, nämlich der unabhängigen Vielfalt. Dies gilt für den dualen Rundfunkmarkt ebenso wie für die unabhängigen Fernsehproduzenten, die den TV-Anstalten Fernsehfilme anbieten können. Außerdem sind wir ja auch die Geschäftsstelle einer unabhängigen KommAustria, die auch in konvergenter Form für die (teilweise) gleichen gesetzlichen Bestimmungen für den ORF wie für die privaten Rundfunkveranstalter verantwortlich ist und zu entscheiden hat.

STANDARD: ORF-Chef Alexander Wrabetz hat Sie schon öffentlich als Drahtzieher der Beschwerde der Privatsender ausgemacht, wonach das ORF-Programm nicht dem Gesetz entspreche. Weil die RTR regelmäßig Vergleichsstudien zwischen Privatprogrammen und Gebührenprogrammen in Auftrag gibt. Was ist die Intention dieser Studien?

Grinschgl: Zunächst einmal bin ich weder ein "Drahtzieher" noch habe ich überhaupt etwas mit der Beschwerde des VÖP gegen die TV-Programme des ORF nach dem Stichwort der "Angemessenheit" nach dem ORF-Gesetz (Information, Kultur, Unterhaltung und Sport) zu tun. Allerdings mag schon sein, dass die Präsentationen, die im Auftrag der RTR-GmbH Herr Dr. Jens Woelke bereits viermal in den letzten Jahren darlegte, den VÖP dazu provozierte. Unser Ziel lag bereits vor Jahren darin, zu zeigen, wie hoch die Info- und die Unterhaltungsteile in den Fernsehprogrammen generell vorkommen. ORF 2 ist ein klares öffentlich-rechtliches Programmangebot, ATV und Puls 4 haben natürlich deutlich weniger Info-Teile als ORF 2. Ja, und über die geringen Info-Anteile im Programm ORF 1 war ich persönlich erstaunt. So denke ich mir seit Jahren, dass das, was wir unter public value subsumieren, insbesondere im öffentlich-rechtlichen Rundfunk vorkommt, aber nicht zu 100 Prozent vorkommen muss, und dass andererseits auch private Stationen "public value" ihren Konsumenten anbieten. Wobei ich hier außerdem meine, dass public value heute etwas anderes ist als etwa vor 30 Jahren.

STANDARD: Sie versuchen gerade gemeinsam mit ORF-Hörfunkdirektor Karl Amon einen gemeinsamen Radiopreis für öffentlich-rechtliche und private Sender ins Leben zu rufen, Vorbild ist offenbar der deutsche Radiopreis? Was ist die Intention, wozu brauchen wir den Preis?

Grinschgl: Es geht hier für den ORF wie für die privaten Stationen um die gemeinsame Marke des Radios.  Radio ist zwar ein "Tagesbegleiter" geworden, gleichzeitig ist es eine Mediengattung, die täglich mehr als 80 Prozent der gesamten Bevölkerung konsumieren. Jedenfalls gibt es täglich mehr Radiohörer als etwa Leser von Tageszeitungen oder Konsumenten von Fernsehsendungen. Der deutsche Grimme-Preis ist ein Vorbild für uns. Der Preis ist insoferne notwendig, um klar aufzuzeigen, dass auch im Hörfunk tolle und  interessante Sendungen über Wirtschaft, Literatur, kulturelle Ereignisse sowie auch bereichernde regionale Moderationen vorkommen können - also eben auch "public value"!

STANDARD: Die Medienbehörde vergibt gerade die Lizenzen für den nächsten Standard von digitalem Antennenfernsehen - ist es wirklich sinnvoll, Antenne für sechs Prozent der Haushalte zu betreiben? In Deutschland überlegen große Privatsender, die Antennenübertragung ganz einzustellen.

Grinschgl: Sechs Prozent klingt wirklich nach sehr wenig: Auf der anderen Seite, sechs Prozent der Haushalte sind doch ca. 200.000 Haushalte in ganz Österreich. Außerdem: Kabelfernsehen gibt es nur in den Städten, so gesehen gäbe es nur SAT-TV in den ländlicheren Gebieten. Freilich kann IPTV etwa von A1 auch ländlichere Gebiete versorgen. Schließlich wissen wir nicht genau, wieviele Seher auf ihren Zweit- und Dritt-Geräten zu den sechs Prozent der Haushalte, die über ihre Hauptgeräte Fernsehen terrestrisch konsumieren, dazu kommen. So und schließlich ist das Angebot von bis zu 40 Fernsehprogrammen über "Simpli TV" (das neue Angebot der ORS in der terrestrischen Verbreitung) gegenüber den derzeit acht bundesweiten Angeboten ein dramatischer Zugewinn. So gesehen sollten wir die nächsten fünf Jahre einmal zuwarten. Wenn "Simpli TV" nicht zu einer deutlichen Zunahme des Anteils der terrestrischen Seher führt, dann könnten wir auch über die Möglichkeit einer Abschaltung des terrestrischen TV-Angebots  vor realem Hintergrund sprechen.

STANDARD: Beim Digitalradio hält sich Österreich noch zurück, Deutschland hat 2012 begonnen - warum die noble Zurückhaltung?

Grinschgl: Ich sehe da keine noble Zurückhaltung. Zumindest haben wir in den letzten zehn Jahren (oder länger?) einen Beitrag geleistet, dass weder die Republik Österreich noch die Radiosender viele Millionen zum Fenster hinausgeworfen haben. Wer ein Digitalradio wirklich haben will, kann dies mit entsprechenden Partnern selbstverständlich auch in Österreich durchziehen. Wir haben genügend Frequenzen dafür reserviert, auch gesetzlich ist Vorsorge getroffen. Im Übrigen sehe ich in Deutschland keinen wirklich großen Erfolg. Immerhin wurde ja mit der Aufschaltung von DAB+ am 1. August 2011 bereits zum zweiten Mal Digitalradio gestartet.

STANDARD: Der Interessenverband für DAB+ arbeitet auf einen Testlauf in Wien noch in diesem Jahr hin - wie sehen Sie die Chancen?

Grinschgl: Ich sprach kürzlich mit Vertretern dieser Gruppe. Die entscheidende Frage ist auch für diese Interessensgruppe, ob der ORF mitmacht  oder eben nicht. Wir werden sehen.

STANDARD: Was würden Sie sich als Radiopionier und langjähriger Kenner des Marktes für die nächsten 15 Jahre Radio/Rundfunk wünschen?

Grinschgl: Ich wünsche mir, dass der Wettbewerb zwischen den Hörfunk-Betreibern, also auch der duale Rundfunk, noch mehr inhaltliche Unterschiede den Hörern täglich erlebbar macht, eben deutlich mehr als lauter A/C-Formate, und dass der Hörfunk alle Plattformen, auf denen er sich verbreiten kann, nutzt. (Harald Fidler, DER STANDARD, 26.3.2013)