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Endothelzellen sorgen dafür, dass Stoffe nicht ungestört passieren können.

Foto: Reuters/Chris Helgren

Feinmaschig und mit einer Gesamtlänge von 600 Kilometern durchziehen Blutgefäße das Gehirn. Sie sind dicht ummantelt mit Endothelzellen, wodurch verhindert wird, dass Stoffe ungestört passieren. Diese wirkungsvolle Barriere, die das zentrale Nervensystem vom restlichen Organismus abschottet, nennt sich Blut-Hirn-Schranke. Sie hält Krankheitserreger und andere Fremdstoffe fern und schafft ein konstantes chemisches Umfeld für das Gehirn. Dass Nährstoffe trotzdem zu den grauen Zellen gelangen und Abfallprodukte aktiv ausgeschleust werden, dafür sorgen Transporteiweiße.

Es ist eine ausgeklügelte Barriere, die jedoch nicht ganz fehlerfrei funktioniert. Einige Zellen und Stoffe gelangen trotz aller Bemühungen ungehindert ins Gehirn. Dazu gehören nicht nur Alkohol und Nikotin, sondern auch Viren wie das HI-Virus und degenerierte Zellen, die im Gehirn Metastasen bilden.

Erschwerte Therapie

In der Medizin ist dieses Filtrationssystem nicht zuletzt deshalb von großer Bedeutung. Denn während unerwünschte Zellen zum Teil ungehindert die Blut-Hirn-Schranke überwinden, scheitern indes viele Medikamente an dieser natürlichen Schranke. Zytostatika beispielsweise - Substanzen, die das Zellwachstum oder die Zellteilung hemmen - schaffen zwar den Weg hinein, werden aber aktiv wieder heraustransportiert, sobald sie die Endothelzellen passiert haben. Die Therapie von Hirntumoren erschwert sich dadurch erheblich.

Ein ähnliches Problem gibt es bei der Behandlung einer HIV-Infektion. Das HI-Virus kann eine Enzephalitis, also eine Entzündung des Hirngewebes auslösen, das für Arzneimittel unerreichbar ist. Und auch bei 30 bis 40 Prozent der Epileptiker bleiben Medikamente wirkungslos, weil sie nicht in das Gehirn vordringen.

Erfolgreich umgehen

Die Blut-Hirn-Schranke kann aber auch erfolgreich umschifft werden. Schlaganfallpatienten etwa werden mit Ultraschall behandelt - eine Methode, die das System punktuell durchlässig macht. Und auch bei der Therapie der Parkinson-Krankheit kann die natürliche Barriere erfolgreich ausgetrickst werden, indem eine Vorstufe des fehlenden Dopamins in das Gehirn eingeschleust wird.

Kurzfristige Durchlässigkeit lässt sich mit hoch dosierten Zuckerlösungen erreichen. Das ist allerdings mit einem großen Risiko behaftet, weil auch Schadstoffe ungehindert in die grauen Zellen gelangen. "Das wird daher in der Krebsbehandlung nur verwendet, wenn keine anderen Therapien mehr zur Verfügung stehen", sagt Gert Fricker vom Institut für Pharmazie und Molekulare Biotechnologie an der Universität Heidelberg.

Pharmaindustrie zögert

Die Forschung rund um die Blut-Hirn-Schranke birgt jedenfalls großes Potenzial. Ihren Mechanismus zu erforschen ist nicht nur für eine erfolgreiche Behandlung von Bedeutung, sondern spielt auch in Hinblick auf die Ursache einer Erkrankung wie Alzheimer eine Rolle. Arbeiten die Transporteiweiße fehlerhaft, bilden sich die für diese Krankheit typischen Plaques im Gehirn. "Das macht Hoffnung auf neue Wege in der Alzheimertherapie", sagt Fricker.

Ein aufstrebender Ast in der Wissenschaft ist die Nanoforschung: Nanopartikel oder Fettkügelchen werden als Trägersysteme mit Wirkstoffen beladen und schmuggeln diese in das Gehirn. In Tierversuchen konnten damit schon einige Erfolge erzielt werden - Studien am Menschen gibt es allerdings noch keine. "Viele Tierversuche, die die Überbrückung der Blut-Hirn-Schranke zum Ziel haben, funktionieren einwandfrei und stehen schon in den Startlöchern für experimentelle Humanstudien", erklärt Fricker.

Die Pharmaindustrie macht den Forschern hier aber oft einen Strich durch die Rechnung. Immerhin sind experimentelle Versuche zur Blut-Hirn-Schranke riskant. "Es gibt viele Firmen, die sich außerdem aus dem Bereich verabschiedet haben, weil die Forschung zur Bluthirnschranke sich finanziell nicht immer rechnet", ergänzt Fricker. (Sophie Niedenzu, derStandard.at, 27.3.2013)