Szenische Verdichtung durch Maskierung: "The Prodigal Son" in der Kammeroper.

Foto: Armin Bardel

Wien - Im Leben, diesem mehr oder weniger geschützten Emotionenhandel, wechseln Gewinn und Verlust wie Ebbe und Flut. Mitunter kommt es vor, dass einem unvermittelt geliebte Menschen abhandenkommen. Manchmal kommen sie zurück, manchmal nicht.

Um zwei verlorene Söhne geht es in Benjamin Brittens Kirchenparabeln, die von der Neuen Oper Wien in der Kammeroper (im Rahme des Osterklang-Festivals) präsentiert werden. In Curlew River sucht eine Mutter ihren seit langem vermissten Sohn. Sie findet nur sein Grab, und eine Vision von dem reinen Knaben verhilft ihrem Geist wieder zu Ruhe. The Prodigal Son erzählt das biblische Gleichnis vom verlorenen Sohn, der nach einem Intensivtrip durch ein dreifaltiges Sündenpanorama vom Vater mit offenen, verzeihenden Armen wieder in den Schoß der Familie aufgenommen wird.

In den 1960er-Jahren hat Britten die zwei etwa einstündigen, karg instrumentierten Werke geschaffen. Wenige Bläser, wenige Streicher, Schlagwerk und Orgel reißen in knappen Strichen Stimmungen an. Inspiriert durch den Besuch eines traditionellen No-Stücks in Japan, schafft Britten in Curlew River ein stimmungsvolles west-östliches Zwischenreich der Klänge. Christof Cremer, der famose Ausstatter dieser Produktion, spiegelt dies bei der Hauptfigur im Übereinander westeuropäischer und japanischer Trauerkleidung wider.

Regisseur Carlos Wagner lässt Alexander Kaimbacher, den furiosen Darsteller und Interpreten der wahnsinnigen Mutter, zudem die bizarr-exaltierte Gestik des japanischen Theaters vollführen. Im Frack, mit hochgekrempelten Hosenbeinen und Zylindern mit Schnäbeln sitzt der Chor (Wiener Kammerchor) als zuckende Möwenschar am Ufer eines schönen blauen Flusses. Ein weißes, dreieckiges Segel gesetzt, pendelt eine Fähre hin und her zwischen den Ufern, zwischen Ost und West. "Sagt mir, lebt die Liebe noch, hier in dieser Welt?"

Wunderschöne, klare, intensive Bilder auch bei The Prodigal Son: Vor einer Schwarz-Weiß-Szenerie vergrößern Masken die Eindrücklichkeit der Protagonisten und verwandeln den Chor auf verblüffend vergnügliche Weise zu Statthaltern der Sünde. "Act out your desires": Was heute als Anleitung zur Selbstverwirklichung gilt, ist beim biblischen Britten eine Einflüsterung des Teufels. Der junge Sohn hört auf Letzteren und wagt das Unerhörte, wagt Alkohol, Geschlechtsakt und Glücksspiel und landet in der Gosse.

Peter Edelmann, Sebastian Huppmann und Gernot Heinrich bieten als Solisten neben dem herausragenden Alexander Kaimbacher intensive, konzentrierte, überzeugende Gesangs- und Schauspielleistungen, Walter Kobéra und dem amadeus ensemble wien gelingt Ähnliches auf musikalischem Gebiet. Eine erstklassige Produktion. In jedem Fall ein Gewinn. (Stefan Ender, DER STANDARD, 27.3.2013)