"Wenn man eine Oper gut kennt, kann man sie in ein paar Minuten überblicken." Der Cellist und Dirigent Thomas Platzgummer.

Foto: Daniel Ender

Wien – Lange Jahre war er vor allem als Cellist tätig – unter anderem im Brucknerorchester Linz, an der Oper Graz, in Barockensem bles oder Neue-Musik-Formationen. Doch dann kam irgendwann der Wunsch nach anderem und mehr. Aber wann Thomas Platzgummer zum ersten Mal den Drang verspürte, selbst Dirigent zu werden, dessen kann sich der gebürtige Vorarlberger gar nicht mehr wirklich entsinnen. 

 Sehr wohl erinnert er sich freilich daran, wie sich der Impuls in ihm regte, Interpretationen von Grund auf durchzudenken: "Als Cellist war es für mich oft ein Pro blem, dass es mich nicht mehr interessiert hat, ein Stück zu üben, sobald ich das Gefühl hatte, zu durchschauen, wie seine Proportionen sind und worauf es bei ihm ankommt. Als Instrumentalist muss man leider oft viel länger üben als bis zu diesem Punkt."

Die Beobachtung, dass es immer wieder Cellisten gibt, die von Orchestermusikern zu Ensembleleitern mutieren, quittiert er mit Ironie: "Vielleicht haben die einfach zu wenig zu tun im Orchester. Nein, im Ernst: Es ist mir eigentlich immer vor allem darum gegangen, etwas zu gestalten – nicht wegen Machtspielchen, sondern um ein größtmögliches Verständnis zu erzielen – und darum, ein Maximum herauszuholen."

Vielseitigkeit und Extreme 

Im Gegensatz zu einem anderen Cellisten, der eines Tages ans Dirigentenpult wechselte und bei dem Platzgummer Unterricht nahm, kann er aber keinen Augenblick namhaft machen, an dem er beschloss, seinen angestammten Platz zu verlassen: "Es gab bei mir keinen Moment wie bei Nikolaus Harnoncourt, der sich als Orchestermusiker an einem bestimmten Punkt entschlossen hat, nicht  länger Dirigenten zu folgen, mit denen er nicht einverstanden war. Bei mir hat sich eines aus dem anderen ergeben." Kalkuliert wirkt Platzgummers bisherige Karriere tatsächlich nicht: Zeitgenössische Klänge liegen ihm ebenso wie Alte Musik, Opern ebenso wie Oratorien. Mit viel Begeisterung wirkte er als Dirigent und Cellist beim Orgien-Mysterien-Theater von Hermann Nitsch mit: "Wir mussten etwa in 35 Minuten ein Glissando von einem Ton zum nächsten machen: eine extreme Erfahrung, die ich nicht missen möchte." 

Und wenn er unlängst mit viel Verve Verdis La Traviata in Bregenz dirigierte, so bereitet er nun gerade ein gänzlich anderes Projekt vor: die Markus-Passion von Johann Sebastian Bach, die ausschließlich auf Basis von Rekonstruktionen existiert, zumal nur ein Textbuch überliefert ist. "Wir wissen aber, welche Arien und Chornummern Bach aus anderen Werken verwendet hat. Rudolf Leopold hat aufgrund neuer Erkenntnisse eine eigene Fassung erarbeitet, nachdem ein zweites Textbuch einer weiteren Aufführung aufgetaucht ist, was uns neue Möglichkeiten bietet. Es ist aber praktisch jede Note von Bach."

Traum vom großen Ganzen

Alte Musik war für Platzgummer von jeher ein beson deres Anliegen. Da gab  es Zeiten, in denen er  in selbstmitbegründeten Ensembles mit hohem Aufwand arbeitete: "Das war eine enorme Spielwiese für mich. Kein Ensemble würde heute mehr so viel proben wie wir damals. Aber wir haben ungeheuer viel gelernt." 

Ähnlich ins Zeug legte sich der Musiker bei seiner Mitbegründung der Operettenfestspiele Murau oder der Kammeroper Graz, wobei er stets die Grundlagen des Dirigierens mitreflektiert. 

Platzgummer: "Mich hat eigentlich nie interessiert, wie man etwas technisch umsetzt. Ich habe mir eher die Frage gestellt, wie ich es machen muss, damit es so klingt, wie ich es hören möchte. Man lernt im Unterricht vieles so, wie es am leichtesten machbar ist – das hatte aber ganz oft nichts damit zu tun, wie ich es mir eigentlich vorgestellt hätte." 

Sein interpretatorisches Ziel greift währenddessen eher zum großen Ganzen: "Es ist mir immer sehr wichtig, den Bogen vom kleinsten Motiv bis zum gesamten Werk zu erkennen. Wenn man ein Theaterstück gut kennt, kann man mit einem Satz seinen Inhalt erklären. Dann ist in diesem einen Satz alles drin. Wenn ich eine Oper gut kenne, brauche ich nur ein paar Minuten, um die ganze Oper zu überblicken. Das bleibt für mich die größte Herausforderung." (Daniel Ender, DER STANDARD, 27.3.2013)