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Nicht nur im Kultfilm "Der Exorzist", sondern auch in fast allen Kulturen und Religion wurden Teufelsaustreibungen zur Therapie psychischer Erkrankungen durchgeführt.

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Gesicht und Arme zucken unkontrolliert, der ganze Körper krampft, es kommt zu einem "Gewitter im Kopf": Obwohl die Epilepsie mittlerweile gut erforscht ist, haftet ihr noch immer etwas Unheimliches an. Zahlreiche Mythen ranken sich um die neurologische und andere psychiatrische Erkrankungen, die früher als "Besessenheit" bezeichnet wurden.

Fremde Mächte und böse Geister

"Bereits im alten Babylon existierte der Glaube, dass fremde Mächte vom Körper Besitz ergreifen können", sagt Nadine Metzger vom Institut für Geschichte und Ethik der Medizin in Erlangen. Damals wurden fast alle Krankheiten mit bösen Geistern und Dämonen erklärt. Die Therapie beschränkte sich für gewöhnlich darauf, mit dem Geist zu verhandeln und ihn zum Verlassen des befallenen Menschen zu bewegen.

Aber auch in der griechisch-römischen Antike existierte das Krankheitsbild "Besessenheit", wenngleich nur wenige historische Quellen darüber berichten. Die meisten Autoren, auch Cicero und Platon, lehnen Dämonen und böse Geister als Aberglaube ab. "Dass solche Phänomene überhaupt diskutiert wurden, legt aber den Schluss nahe, dass zumindest viele einfache Menschen daran geglaubt haben", so Metzger.

Im Mittelalter schließlich herrschte die Meinung vor, dass Epileptiker von Dämonen oder gar vom Teufel besessen seien und nur durch Exorzismus wieder geheilt werden können. Bei einer solchen Teufelsaustreibung, durchgeführt nach dem "Rituale Romanum", tritt ein Priester in Verbindung mit dem bösen Geist und bewegt ihn dazu, den Körper des Befallenen wieder zu verlassen.

In allen Religionen

In allen großen Religionen haben Besessenheit und Exorzismus eine lange Tradition. Die jüdische Kabbala berichtet vom Dybbuk, der Seele eines verstorbenen Menschen, die in Form eines bösen Geists wiederkehrt, um verbliebene Angelegenheiten auf der Erde zu erledigen. Zu diesem Zweck bevölkert sie den Organismus eines noch lebenden Menschen, aus dem sie nur durch eine Zeremonie mit Musik, Gebeten und Gesang von elf jüdischen Geistlichen wieder vertrieben werden kann.

In der islamischen Mythologie gibt es Dschinns, bösartige Naturgeister, die den menschlichen Körper bevölkern und dort Krankheit, Schmerzen und zerstörerische Gedanken verursachen. Durch das Zitieren bestimmter Koranstellen soll der Besessene den Dschinn in seinem Inneren wieder vertreiben können. Auch im Hinduismus existieren Geister, die durch Gebete, rituelle Feuer und Opfergaben an die Götter ausgetrieben werden können.

"Vergleichbare Phänomene gibt es in fast allen Religionen und Völkern, nur die kulturelle Bewertung kann sehr unterschiedlich sein", sagt Metzger. In manchen Naturvölkern seien solche Geister durchaus positiv besetzt und würden gezielt von Schamanen aufgenommen, um spirituelle Macht und Heilkraft zu erlangen. In den meisten Religionen und Kulturkreisen werden Dämonen jedoch als Bedrohung gesehen.

Keine Erkrankung

In der jüngeren Geschichte erlangte das Teufelaustreiben durch den amerikanischen Psychothriller "Der Exorzist" (1973) große Bekanntheit, aber auch durch den Fall der Anneliese Michel, die 1976 infolge mehrmaliger exorzistischer Behandlungen an ihrer extremen Unternährung starb. Die deutsche Studentin geißelte sich während spontaner Anfälle selbst, fügte sich Brandwunden zu und verweigerte in ihren letzten Monaten jegliche Nahrungsaufnahme. Bei ihr wurde eine Epilepsie vermutet, zu einer eindeutigen Diagnose kam es nie.

Auch die Schizophrenie, das Borderline-Syndrom und der Autismus wurden und werden mit Besessenheit in Verbindung gebracht. Die WHO listet "Besessenheit" zwar nicht als Erkrankung auf, definiert Trance- oder Besessenheitszustände aber als psychische Störungen, bei denen ein "zeitweiliger Verlust der persönlichen Identität und der vollständigen Wahrnehmung der Umgebung auftritt".

Voraussetzung für einen solchen Zustand ist, dass der Betroffene ihn nicht absichtlich herbeigeführt hat, etwa durch den Konsum psychoaktiver Drogen oder im Rahmen eines religiösen Rituals. Schizophrenie und Paranoia zählen laut WHO ebenfalls nicht zu den Besessenheitszuständen, wenngleich deren Symptome jenen von "Besessenen" durchaus ähneln. Auch Tourettesyndrom, Hysterie und die dissoziative Identitätsstörung (DIS, vormals multiple Persönlichkeitsstörung) haben sehr ähnliche Symptome, sind aber allesamt eigenständige Krankheitsbilder.

Mehrere Persönlichkeiten

Patienten mit DIS etwa weisen zwei oder mehr unterschiedliche Persönlichkeiten auf, die abwechselnd die Kontrolle über Geist und Körper übernehmen. Erinnerung und Selbstwahrnehmung sind dabei getrübt oder sogar zeitweise ausgeschaltet. Die Störung entsteht als körpereigener Schutzmechanismus nach traumatischen Erlebnissen im Kindesalter. Die Traumata werden durch das Herausbilden einer oder mehrere neuer Persönlichkeiten ins Unterbewusste verdrängt, aus dem sie aber immer wieder ausbrechen, um sich in spontanen Anfällen zu manifestieren.

So berichtet NFL-Footballstar Herschel Walker in seinem Buch, dass er neben starken Gefühlsschwankungen auch immer Schwierigkeiten hatte, mit Freunden oder Familienmitgliedern eine innige Beziehung aufzubauen. Um mit seiner Einsamkeit umzugehen, entwickelte er ein Alter Ego, das keinen Schmerz verspürte und seine Aggressionen jederzeit ausleben konnte. Rasch kamen andere Persönlichkeiten dazu, die ihm halfen, mit seinem sportlichen Erfolg und seiner Berühmtheit zu leben. Obwohl Walker fast sein ganzes Leben lang damit zu kämpfen hatte, wurde seine DIS erst spät im Erwachsenenalter diagnostiziert.

Von der Schizophrenie ist eine DIS schwer zu differenzieren. Typisch ist der traumatische Hintergrund, der bei der Schizophrenie üblicherweise nicht vorliegt. Beide Erkrankungen sind unheilbar, medikamentös und psychotherapeutisch jedoch gut in den Griff zu bekommen - idealerweise aber nicht vom Teufelsaustreiber, sondern vom Facharzt. (Florian Bayer, derStandard.at, 25.4.2013)