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Am sogenannten Schüßler-Tag werden Kunden in der Apotheke beraten.

Foto: APA/Stiplovsek Dietmar

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Schüßler-Salze werden meist in Tablettenform verkauft.

Zu den am weitesten verbreiteten alternativmedizinischen Präparaten in Österreich zählen die Schüßler-Salze. Glaubt man den Beschreibungen, helfen sie bei so vielfältigen Wehwehchen wie Hautproblemen und Appetitlosigkeit. Aber auch bei ernsthaften Krankheiten wie Borreliose, Grauem Star und sogar Krebs. Für die Wirkung der Salze gibt es keinen einzigen wissenschaftlichen Beleg, ganz im Gegenteil.

Beliebter denn je

Vor 130 Jahren entwickelte der deutsche Arzt Wilhelm Schüßler (1821-1898) eine alternative Heilmethode basierend auf der Annahme, dass Krankheiten durch den Mangel bestimmter Mineralien im Körper ausgelöst werden. Dieses Defizit soll laut Schüßler mittels Tabletten oder Salben, in denen die jeweiligen Mineralsalze nach Art der Homöopathie "potenziert" enthalten sind, ausgeglichen werden.

Schüßler hat die zahllosen "Grundstoffe“ der Homöopathie auf seine Mineralsalze reduziert, wurde aber bald von niemandem mehr ernst genommen - auch nicht von Homoöpathieverfechtern. Erst als im Dritten Reich die "Neue Deutsche Heilkunde" im Gegensatz zur "verjudeten Schulmedizin" propagiert wurde gelang seiner Lehre der Durchbruch. Heute sind seine Salze, die in vielen heimischen Apotheken und unzähligen Online-Shops erhältlich, beliebter denn je und längst nicht mehr nur in der alternativmedizinischen Szene bekannt.

Antlitzanalyse

Laut Schüßler lässt sich mithilfe der "Antlitzanalyse", bei der das Gesicht auf bestimmte Merkmale wie Färbungen, Glanz und Faltenbildung untersucht wird, herausfinden, an welchen Mineralstoffen es in den Körperzellen mangelt. Obwohl es auch hierfür keinerlei wissenschaftliche Grundlage gibt, wird die Antlitzanalyse nach wie vor von vielen Heilpraktikern, aber auch von so manchem Apotheker noch angewandt. "Die Antlitzanalyse taugt nicht als diagnostisches Verfahren - sie  widerspricht anatomischen und medizinischen Erkenntnissen", sagt Pharmazeut und Buchautor ("Der Pillendreh") Edmund Berndt.

Zu den 12 ursprünglichen Schüßler-Salzen zählen etwa Kieselsäure, Calciumfluorid und Eisenphosphat. Später wurden 15 ergänzende Schüßler-Salze hinzugefügt, darunter auch Zinkchlorid und Goldsalze, die bei hoher Dosierung schädlich für den Körper sein können. Die Mengen in den Tabletten sind allerdings ohnehin so niedrig, dass keinerlei negativen Wirkungen zu befürchten sind - allerdings auch keine therapeutischen.

"Es gibt keine Wirkung, höchstens den Placeboeffekt. Wie denn auch, es ist ja kein Wirkstoff enthalten", sagt Krista Federspiel, Medizinjournalistin und Mitglied des Wissenschaftsrats der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP). Laut Pharmazeut Berndt gebe es lediglich fragwürdige Studien und einzelne Fallberichte mit beschränkter Aussagekraft, jedoch keinen seriösen Beweis für die Wirksamkeit der Salze.

Extreme Verdünnung

Durch das "Potenzieren", das auch bei anderen homöopathischen Mitteln häufig zum Einsatz kommt, werden die Inhaltsstoffe so extrem verdünnt, dass der Ausgangsstoff nur mehr in Spuren oder auch gar nicht mehr nachweisbar ist. Nach Ansicht der Homöopathen werden auf diese Weise die unerwünschten Nebenwirkungen minimiert und die gewünschten Effekte überhaupt erst ermöglicht. Zahlreiche wissenschaftliche Studien lassen keine Zweifel offen, dass bei diesen extremen Verdünnungen keine pharmakologische Wirkung zu erwarten ist.

"Die meisten Leute wissen nicht, wie hoch die Verdünnung ist und was das überhaupt bedeutet", sagt Federspiel. Bei einer D3-Potenzierung (also einer Verdünnung von 1:10^3, also 1:1000) sind ja noch Spuren des Mineralsalzes enthalten, aber ab einer D23-Potenzierung (Verdünnung 1:10^23) ist kein einziges Molekül der Grundsubstanz mehr vorhanden. Die üblichen D30-Homöopathika könnten also gar keine Wirksamkeit haben, weil nicht einmal mehr Spurenelemente eines Salzes darin enthalten sind, so Federspiel. "Daran ändert auch die Einnahme wahnhaft großer Mengen von täglich 50 Tabletten und mehr nichts", ergänzt Berndt.

Gewaltiges kommerzielles Interesse

Doch warum sind die Mittel trotzdem so erfolgreich? "Der Verkaufserfolg liegt im Image. Alternative, komplementäre und ganzheitliche Mittel gelten als natürlich, sanft und nebenwirkungsfrei, wohingegen konventionelle Arzneimittel als chemisch und giftig abgewertet werden", sagt Berndt. Dazu käme ein geschicktes "disease mongering" durch die Werbung, mit dem vermeintliche Beschwerden, Unpässlichkeiten und Ängste aufgegriffen und zu behandlungswürdigen Krankheiten hochstilisiert werden, die sich eben ganz einfach mittels Schüßler-Salzen heilen ließen.

Nicht zuletzt spielt aber auch die hohe Verbreitung in fast allen Apotheken eine Rolle. Diese sind verpflichtet, alternativmedizinische Produkte im Angebot zu führen. "Es ist nicht mehr in der Macht der Apotheken, ihr Sortiment selbst festzulegen. Die Auswahl der Medikamente ist primär über die Rezeptpflicht durch die ärztliche Verschreibung und den Versicherungen vorgegeben", sagt Berndt, der auch selbst eine Apotheke betreibt. Auch bei rezeptfreien und nicht-registrierten Arzneimitteln hätten die Apotheken ihm zufolge nicht mehr viele Gestaltungsmöglichkeiten: "Der Apotheker ist Erfüllungsgehilfe und Sklave der Werbung." Für Berndt besteht kein Zweifel, dass das Apothekenangebot weit in die Esoterik hineinreicht und die verantwortlichen Stellen darin keine Minderung der Glaubwürdigkeit der öffentlichen Apotheke sehen.

Anschein eines echten Medikaments

"Spricht man die Apotheker darauf an, sagen sie: 'Die Leute wollen das.' Dahinter steckt eine ganze Industrie und natürlich gewaltiges kommerzielles Interesse", ergänzt Federspiel. Obwohl diese Therapie allem widerspricht, was in der Ausbildung gelehrt wurde, müssen die Apotheker die Schüßler-Salze dennoch verkaufen. So auch Berndt, der zwar keine Schüßler-Salze empfiehlt, diese bei einer ärztlichen Verordnung allerdings auch nicht hinterfragen darf: "Fragt ein Patient, wie und in welcher Indikation das 'wirkt', verweise ich auf den Arzt zurück. Es ist verboten, ärztliche Rezepte zu kommentieren."

Berndt zufolge würden Schüßler-Salze allerdings ohnehin nur selten mit ärztlichem Rezept nachgefragt. Viel mehr Interessenten würden von Inseraten inspiriert, in denen Beschwerdebilder so schwammig vorgegeben sind, dass jeder ihm passende Beschwerden zur Selbstbehandlung herauslesen kann - gleich einem Horoskop, wo jeder Eigenschaften, die auf ihn zutreffen, herauslesen kann.

Hinzu kommt, dass die Schüßler-Salze und viele andere "gesunde Produkte" im Kundenraum neben echten Medikamenten platziert werden und ihnen der Anschein gegeben wird, ein ebensolches zu sein. Der Käufer könne schlussendlich nicht mehr so leicht unterscheiden, ob es sich um ein richtiges Medikament handelt oder nicht. "Ich glaube nicht, dass Schüßler Salze oder Homöopathie so erfolgreich wären, wenn sie nicht in der Apotheke verkauft würden, sondern in Drogerien und Supermärkten - hier fehlt der heilende Ruf", sagt Berndt.

Ihm zufolge gibt es keinerlei Initiativen der Apothekerkammer, die sich mit der Problematik erwiesenermaßen unwirksamer Mittel befassen. "Erlaubt ist alles, was nicht ausdrücklich nach der Apothekenbetriebsordnung verboten ist. Daher dürfen auch Heilsteine, Energieamulette und eben Schüßler-Salze verkauft werden", so Berndt.

Nicht immer harmlos

Obwohl Schüßler-Salze keine Wirksamkeit haben, sind sie nicht immer harmlos: Unterbleibt die Therapie aufgrund einer Selbstbehandlung mit Schüßler-Salzen kann es zu schwerwiegenden gesundheitlichen Schäden kommen - laut Anhängern der Mineralstoff-Therapie dürfen die Salze etwa nicht mit Antibiotika kombiniert werden.

"Es kann durchaus problematische Folgen haben, wenn jemand auf ein notwendiges Antibiotikum verzichtet, und stattdessen zu den wirkungslosen Mineralien greift", so die Medizinjournalistin Federspiel, die eindringlich von der Einnahme von Schüßler-Salzen abrät. Und auch die deutsche Stiftung Warentest kam bereits 2005 zum vernichtenden Urteil: "Biochemie nach Schüßler ist zur Behandlung von Krankheiten nicht geeignet." (Florian Bayer, derStandard.at, 19.4.2013)