Von "elf Tagen Hölle" spricht Serbiens Vizepremier und Verteidigungsminister Aleksandar Vucic. Er meint damit jene Zeit zwischen der siebenten und achten Runde im Dialogprozess mit Prishtina, die am 2. April in Brüssel beginnen soll; eine Zwickmühle, in der sich Serbien in der Kosovo-Frage befindet.

Wenn Vucic über die Verhandlungen spricht, klingt es stark nach einem Faust'schen Dilemma, als ob zwei Seelen in seiner Brust wohnten, die sich voneinander trennen möchten: Die eine strebt in die Zukunft, in die Europäische Union - die andere will im Kosovo verweilen, in der heiligen serbischen Erde, der Wiege des Serbentums. Und beides - das sieht man auch in Belgrad immer deutlicher ein - wird man nicht haben können.

Zugeständnisse Serbiens erwartet

Die Kosovo-Frage ist in Serbien zum nationalen Dilemma geworden. Jahrelang beruhte die serbische Außenpolitik auf der Devise "Kosovo und Europa" - was heißen sollte: für den Kosovo als "untrennbaren" Bestandteil Serbiens kämpfen und gleichzeitig die Hausaufgaben für den EU-Beitritt erfüllen. Zwar fordert Brüssel von Belgrad auch jetzt nicht direkt, den Kosovo anzuerkennen, doch der europäische Integrationsprozess wird vom Westen mit serbischen Zugeständnissen bedingt, die de facto die Unabhängigkeit des Kosovo konsolidieren.

Der aktuelle (und bisher für die Serben härteste) Brocken im Dialog Belgrad - Prishtina: die Auflösung serbischer, von Belgrad finanzierter Parallelinstitutionen im mehrheitlich von Serben bewohnten Nordkosovo. Belgrad will sie durch einen Bund serbischer Gemeinden mit gewissen legislativen und exekutiven Vollmächten ersetzen; Prishtina lehnt das entschieden ab, will lediglich eine Assoziation der Serben im Rahmen der vorhandenen Gemeinden des kosovarischen Systems billigen - eine Art serbischer Nichtregierungsorganisation.

Die Belgrader Staatsspitze beteuert unisono, dass Serbien nicht weiter nachgeben könne. Die serbische Regierung stelle "minimale Ansprüche", erklärt etwa Ministerpräsident Ivica Dacic. Er gibt sich enttäuscht, dass Brüssel und Washington gar keinen Druck auf Prishtina ausüben, " auch nur ein wenig nachzugeben", sondern ausschließlich von Belgrad fordern, das "Inakzeptable" zu akzeptieren. Sollte es im April zu keiner Einigung kommen, kann Serbien in diesem Jahr den erstrebten Beginn der Beitrittsverhandlungen mit der EU vergessen.

Sorge vor Kursänderung

In Belgrad folgt eine Sondersitzung der anderen. Es herrscht die Stimmung eines nationalen Dramas. Politiker warnen, dass Serbien nach einem negativen Ausgang von seinem europäischen Kurs abkommen könnte, man spricht vom Nationalstolz, von Neuwahlen. Belgrader Medien berichten, dass sich Brüssel und Washington an Vizepremier Vucic gewandt hätten, der nächsten Dialogrunde beizuwohnen. Denn eigentlich ist er der starke Mann Serbiens; allein er hätte die notwendige Autorität, um das Dilemma im europäischen Sinne zu lösen. (Andrej Ivanji, DER STANDARD, 29.3.2013)