Josef C. Aigner: "Indiskutable Schmähungen."

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Zu eng der Blick, zu arrogant im Urteil über alles, was "wissenschaftlich" nicht erklärbar ist? Biochemikerin Renée Schroeder.

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Die hoch dekorierte Biochemikerin und Wissenschafterin des Jahres 2002, Renée Schroeder, hat dieser Tage in einer ORF-Diskussionssendung ihre Haltung zur Religion mit bemerkenswerten "Argumenten" demonstriert: Der christliche Glaube, wie er sich gegenwärtig darbiete, sagte sie, sei "Quatsch", "Unsinn", "Unwahrheit" - und auf die empörte Nachfrage eines Mitdiskutanten, Psychotherapeuten und Theologen, ob sie damit 1,2 Milliarden Gläubige weltweit beleidigen wolle, bekräftigte sie nochmals: "Ja, Quatsch."

Dass Schroeder im STANDARD-Interview am Wochenende die Formulierung entschuldigend zurückgenommen hat, relativiert die geistige Zumutung dieses TV-Auftritts nur vordergründig: Inhaltlich entscheidend ist und bleibt, dass hier eine Naturwissenschafterin ihren eigenen fachlichen "Wahrheits"- und Wirklichkeitszugang absolut setzt und andere Haltungen und Zugänge, die nicht auf ihrer "Logik" basieren (welche in der Schule angeblich zu kurz käme), einfach als Unsinn diffamiert.

Freud'sche Fehlleistung

"Logik" hat auch keinen, wie Frau Schroeder suggerierte, exklusiven Zusammenhang mit "Bildung", und in dem (gleichen) Alter, in dem die Preisgekrönte und ich uns befinden, sollte man gebildeterweise eher mit Schaudern darüber nachdenken, wie oft auch die "exakten Naturwissenschaften" sich schon geirrt haben und was mit ihnen alles angerichtet werden kann, wenn sie sich als oberste Urteilsinstanz über Wert- und Normensysteme gerieren, die niemals "verifizierbar" oder "messbar" sein können.

Ich bin selbst mit Bestellung der für mich nicht akzeptierbaren Oberhirten Krenn, Küng und Co schon lange aus der Kirche ausgetreten, habe meine Zweifel und vor allem herbe Kritik an mancherlei Zuständen und Entwicklungen in der katholischen Kirche und an bestimmten religiösen Haltungen. Ich kenne aber auch ganz hervorragende Menschen in diesen Bereichen, die Großes zur Humanisierung der Gesellschaft beigetragen haben.

Schmähungen der Religion wie die Schroeder'sche finde ich deshalb ebenso indiskutabel wie etwa Freuds Aussagen dazu, auch wenn ich ihn als einen meiner wichtigsten Lehrer betrachte: Er hatte die Religion einst als "Massenzwangsneurose" bezeichnet. Auffällig ist übrigens in diesem Zusammenhang, dass meines Erachtens kaum eine Schrift Freuds so von Brüchen und Widersprüchen getragen ist wie jene zur Religionskritik, an deren Ende er recht unbeholfen schließlich "die Wissenschaft" als Ersatz für die Religionen der Welt proklamiert - und das als jemand, der seine eigene " Wissenschaft" eben erst gründlich revolutioniert hatte.

Ich denke, man sollte "der Wissenschaft" (welcher eigentlich?) gegenüber dieselbe kritische Reflexivität pflegen, wie sie gegenüber der Religion verlangt wird. Von exklusiven Wahrheitsansprüchen aber, die zudem von vielen Menschen als herabwürdigend empfunden werden, sollten Wissenschafter/-innen besser Abstand nehmen. (Josef Christian Aigner, DER STANDARD, 2.4.2013)