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Menschen, die unter Hypertrichose litten, wurden in den Sideshows und Abnormitätenschauen häufig als "Hunde"-, "Affen"- oder "Löwen-Menschen" präsentiert.

Foto: APA/WIEN MUSEUM

Riesen, Zwerge, bärtige Frauen, das "Mädchen vom Mars", "Weiße Mohren", Tiger-, Affen-, Vogel- oder Hundemenschen - so lauteten die Hauptattraktionen der Abnormitätenschauen und Sideshows auf den Jahrmärkten ab Mitte des 19. bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts. "Diese Veröffentlichung des 'anderen Körpers' ist eng mit Industrialisierung, Großstadt und Massenkultur verknüpft", erklärt die Kulturwissenschaftlerin Birgit Stammberger von der Leuphana-Universität Lüneburg. Schließlich brachte die Etablierung von Massenproduktionsweisen eine Normierung des Körpers hervor, die mit den maschinellen Arbeitsabläufen in Einklang zu stehen hatte.

"Freaks" dienten aber nicht ausschließlich der Unterhaltung des gemeinen Volkes, sondern verwiesen zudem auf den endgültigen Durchbruch der naturwissenschaftlichen Denkweise dieser Zeit. "Mit der Zurschaustellung fremder Körper wurden ja auch von den Impresarien - den Managern der Sideshows - Geschichten erzählt. Geschichten von fremden Kulturen, von minderwertigen Menschen und von Rassenanthropologien, wobei in den Erzählungen immer auch eine Referenz auf die Wissenschaft erfolgte", so Stammberger. Das heißt: Die Anthropologen, Ethnologen und Mediziner des 19. Jahrhunderts bildeten nicht zuletzt die Legitimationsgrundlage für diese eigentümliche Befriedigung menschlicher Schaulust.

Systematisierung des deformierten Körpers

Durch den Kolonialismus profitierte die Naturwissenschaft von der Produktion zahlreicher Berichte über unbekannte Länder und Kontinente und ließ mannigfaltig teratologische Werke entstehen, die sich mit der Erforschung angeborener Deformationen beschäftigen. Dabei war nicht der Einzelfall von Interesse, sondern "diese Unbestimmtheit des außergewöhnlichen Körpers musste in Systematiken überführt werden", sagt die Kulturwissenschaftlerin. So kommen im 19. Jahrhundert medizinische und anatomische Sammlungen physischer Abnormitäten auf, die nicht zuletzt durch ihren "anschaulichen Charakter" eine Analogie zu den Jahrmarkt-Shows darstellten.

Das neu entwickelte Klassifikationssystem folgte besonders der "Missing Link"-Theorie, die nach fehlenden Verbindungsgliedern zwischen Tier und Mensch suchte. Somit erscheint es plausibel, dass für die Bezeichnung von Missbildungen häufig auf Begrifflichkeiten aus dem Tierreich zurück gegriffen wurde. So betitelte etwa der US-amerikanische Schausteller Phineas Taylor Barnum einen arm- und beinlos geborenen Mann aus Guyana als "menschliche Raupe".

Menschen, die an Hypertrichose litten, wurden hingegen als "Hunde"-, "Affen"- und "Löwen-Menschen" präsentiert. Für das Krankheitsbild des Teilalbinismus - eine angeborene Störung in der Biosynthese der Melanine, die durch eine partiell unterschiedliche Färbung der Haut gekennzeichnet ist - wurde der Begriff "Panter"- oder "Tigermensch" verwendet.

Pangenesislehre und Epigenese

Im Umgang mit Monstrositäten und deren moralischer Bewertung lässt sich nicht zuletzt die diskursive Hegemonie und die damit im Zusammenhang stehenden Repräsentanten der Wissensproduktion und Verbreitung ablesen. 

In der Antike wurde als mögliche Ursache von Missbildungen entweder ein Überangebot oder Defizit an Körpersäften verantwortlich gemacht. Nach der Pangenesistheorie lag die Ursache für ein missgestaltetes Kind entweder im Samenüberschuss oder -mangel, der sich in überzähligen oder fehlenden Gliedmaßen äußerte. Neben der Pangenesislehre galt die Epigenese als weiterer Ansatz, um physische Abnormitäten zu erklären: Demnach befindet sich die Eizelle in einer Art "Nullzustand“, deren Struktur sich erst im Laufe der Zeit herausbildet.

Im Zuge der Christianisierung wurden körperliche Deformationen jedoch zunehmend als göttliche Antwort auf die Unmoral des Menschen gedeutet.

Der versehrte Körper

Eine klare Zäsur stellte schließlich die Aufklärung dar, indem sie "das wirkmächtige Narrativ des wissenschaftlichen Fortschritts in Szene setzte, mit dem der fehlgebildete Körper erklärt und zum Gegenstand des Wissens gemacht wurde", ist Birgit Stammberger überzeugt.

Das Verschwinden der Abnormitätenschauen fällt nicht zufällig mit der Zeit des Ersten Weltkriegs zusammen: "Der deformierte Körper war nun in erster Linie das Ergebnis militärischer Handlungen, wodurch sich das politische Interesse darauf verlagerte, den versehrten Körper wieder her- und nicht auszustellen", so die Kulturwissenschaftlerin.

Nach Ansicht der Expertin sind die Freakshows keineswegs eine abgeschlossene Geschichte des 19. Jahrhunderts: "Gegenwärtig kommt es in der Populär- und Medienkultur zu einer Wiederinszenierung des Monströsen durch die Schönheitschirurgie. Michael Jackson ist ein gutes Beispiel dafür, dass die chirurgische Bearbeitung des Körpers etwas Monströses erzeugt. Allerdings mit dem Unterschied, dass ich nicht so geboren werde, sondern mich selber dazu machen kann." (Günther Brandstetter, derStandard.at, 2.4.2013)