
Auch Nonnen haben kleine Geheimnisse. Hier ein Porträt der Oberin im Kloster Bruneck.
So ganz dem Weltlichen entrückt waren wohl nicht alle jener adeligen Damen, die sich in früheren Jahrhunderten für ein Leben als Nonne entschieden. Da wurde emsig an den Karrieren von Verwandten gebastelt, die neuesten Society News aus der Wiener Hofgesellschaft weitergeleitet und bei honorigen Todesfällen über die potenziellen Erben spekuliert. Es sind keine unerhörten Enthüllungen über das Leben und Treiben hinter Klostermauern, die in den Briefen der Ordensfrauen an ihre Angehörigen stehen. Und dennoch sind diese in die Gegenwart herübergeretteten Korrespondenzen aus dem 17. und 18. Jahrhundert Kleinode der Alltags- und Mentalitätsgeschichte.
Wie haben diese Frauen gelebt und gedacht? Wie hat sich ihre soziale Herkunft auf das Klosterleben ausgewirkt? Vieles davon kann man aus ihren Briefen erfahren - allerdings nur in gefilterter Form. Denn jeder Brief, den eine Nonne schickte oder empfing, musste der Oberin vorgelegt werden, und über klosterinterne Angelegenheiten zu schreiben war tabu. " Natürlich hatte ich anfangs gehofft, über diese Briefe alle möglichen Klostergeheimnisse aufzudecken", schmunzelt Christine Schneider vom Institut für Geschichte der Uni Wien. Dies hat sich zwar nicht erfüllt, aber "überrascht hat es mich trotzdem, was ich erfuhr".
Rund 180 Briefe, die adelige Nonnen zwischen 1690 und 1730 verfassten, hat die Historikerin bislang in einem vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekt in Kloster-, Familien- und Landesarchiven ausgegraben und analysiert. "Mit diesen Nonnenbriefen soll eine neue Quellengattung erschlossen werden, die sowohl für die Erforschung des Klosterlebens als auch von adeligen Familienbeziehungen Impulse liefern kann", sagt Schneider.
Austausch mit Hofdamen
Eine der emsigsten Briefschreiberinnen war die Augustiner Chorfrau Isabella von Thürheim (1663-1723), von der noch an die 130 Briefe erhalten sind. Da sie in einem noblen Kloster in Wien lebte und rege Kontakte zu diversen Hofdamen pflegte, war sie über die Vorgänge in der hohen Gesellschaft bedeutend besser informiert als ihre oberösterreichische Verwandtschaft. Diese versorgte Isabella in ihren Briefen regelmäßig mit Neuigkeiten aus der Residenzstadt inklusive des aktuellen Society-Tratsches und -Klatsches.
"Sie wusste beispielsweise über freie Stellen am Hof Bescheid und hat sich auch erfolgreich darum bemüht, ihre jüngste Halbschwester und ihre Lieblingsnichte als Hofdamen unterzubringen", weiß Christine Schneider aus der umfangreichen Korrespondenz der Chorfrau. Für ihren Bruder Otto Carl, einen Domherrn in Olmütz, fand die ambitionierte Nonne heraus, an wen er sich am Wiener Hof wenden musste, um ein Benefizium, also regelmäßige Unterhaltszahlungen, zu bekommen. Woher ausgerechnet sie, die dem weltlichen Leben entsagt hatte, das so genau wusste? "In Isabellas Kloster herrschte offenbar ein reges Kommen und Gehen von Hofdamen, die auch gezielt als Informationsdrehscheiben agierten", sagt die Historikerin.
Obwohl die Nonnen ihre Besucher und Besucherinnen nur in Anwesenheit von Mitschwestern in einem speziellen Sprechzimmer, dem Parlatorium, empfangen durften und Gespräche über weltliche Themen und Klosterangelegenheiten eigentlich verboten waren, dürften die Unterhaltungen oft alles andere als religiöser Natur gewesen sein. Da es sich bei Isabellas "Aufsichtsperson" um eine mütterliche Freundin handelte, die früher Hofdame war, hatte diese vermutlich eher die Funktion einer Unterhändlerin mit der Außenwelt.
Handel mit Luxusgütern
Eigentlich war es den Nonnen auch verboten, ohne Erlaubnis der Oberin ein weltliches "Geschäft" auf sich zu nehmen. So war es wohl ihren zähen familiären Bindungen geschuldet, dass die Wiener Ursuline Maria Margaritha Gräfin Eibiswald ihren Verwandten in der fernen steirischen Provinz sogar aus dem Kloster heraus die unterschiedlichsten Luxusgüter besorgte: "Entgegen der Intention aller Ordensregeln blieben adelige Nonnen ihrem Selbstverständnis nach auch im geistlichen Stand Mitglieder ihrer adeligen Herkunftsfamilie", betont Schneider. So scheute Maria Margaritha auch keine Mühen, um feines Leinen, Safran und Spargel in Wien günstig zu erwerben und sicher an ihre Familie zu verschicken.
Wie in allen totalen Institutionen herrschten auch in den Klöstern nicht nur Zensur und Kontrolle, sondern auch eine beträchtliche Ungleichheit unter den Nonnen. Wodurch wiederum das Ausmaß der Überwachung zu einer " verhandelbaren" Größe wurde. So durften etwa "normale" Besucher nur im Parlatorium empfangen werden, während Angehörige des Hofes mit einer Dispens des Bischofs bis in die Zimmer der Nonnen gelangen konnten.
Neben der Herkunft war es vor allem die finanzielle Potenz einer Nonne bzw. ihrer Familie, die ihre soziale Position und Tätigkeiten im Kloster bestimmte. "Wenn Nonnen eine große Mitgift ins Kloster einbrachten, konnten sie einen Teil der anfallenden Zinsen als jährliches Taschengeld behalten", erklärt Schneider. Damit ließen sich auch im Kloster bessere Kleider und so mancher andere kleine Luxus finanzieren. Dementsprechend unterschiedlich gestaltete sich das Klosterleben von Chor- und Laienschwestern.
Während sich die meist adeligen Chorfrauen vor allem geistigen Tätigkeiten widmeten, waren die Laienschwestern gemeinsam mit den Dienstboten für die körperlich anstrengenden Arbeiten in Haus und Garten zuständig. Leider gibt es von diesen damals oft noch analphabetischen Nonnen aus den unteren sozialen Schichten keine Briefe. Sie würden wahrscheinlich ein anderes Bild von Klosterleben vermitteln. (Doris Griesser, DER STANDARD, 03.04.2013)