Die Gretchenfrage für Unternehmen wird in der Krise immer lauter gestellt: Nun sag, wie hast du's mit der Ethik? Herrschte noch vor wenigen Jahren die Ansicht des liberalen Ökonomen Milton Friedman vor, dass "die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen es ist, die Gewinne auszuweiten", engagieren sich immer mehr Unternehmen in sozialen oder ökologischen Belangen. Corporate Social Responsibility (CSR) heißt diese neue Verantwortung.
Doch es gibt noch reichlich Aufholbedarf beim sozialen Engagement von Unternehmen, mahnen Akademiker und Forscher. Markus Scholz, Professor für Corporate Governance und Wirtschaftsethik an der FH Wien, etwa fordert deutlich mehr Fokus auf die Erfolgsmessung von CSR-Maßnahmen. In einer aktuellen Studie hat er die Verantwortlichen in heimischen Firmen zu ihrem sozialen Engagement befragt, vom mittelständischen Unternehmen bis zum multinationalen Konzern.
Zwar lässt sich dabei durchwegs feststellen, dass soziale Aspekte in den Vordergrund treten. Aber "alle mussten passen, wenn es darum ging, wie sie den Erfolg von CSR messen. Die Leute fragen sich zu wenig, wohin die Maßnahmen führen." Ein Beispiel: Wenn ein Unternehmen etwa in ein Bildungsprojekt in Afrika investiert, müsste es fünf oder zehn Jahre später analysieren, ob es mit der Maßnahme zur Alphabetisierung beigetragen hat, und Daten von der Schulabbrecher-Quote bis zu den Abschlüssen der Sekundarstufe sammeln. Doch die wenigsten Unternehmen tun das auch.
Auch gebe es eine deutliche Diskrepanz zwischen den stringenten Erfolgsparametern beim gewinnorientierten Investieren (wie etwa die Eigenkapitalrendite) und den CSR-Aktivitäten, so Scholz. Daher müsse sich die Branche professionalisieren. Dafür beschäftigen sich die akademischen Wirtschaftsethiker mit einer anderen Frage intensiv. Bringt soziales Engagement den Unternehmen selbst etwas?
Knapp 250 wissenschaftliche Studien weltweit haben sich mit dieser Frage auseinandergesetzt. Auch wenn ein Vergleich der Studien aufgrund von verschiedenen Messgrößen und -verfahren schwierig sei, wie Scholz betont, lässt sich eine Grundaussage treffen: Es gibt einen positiven Zusammenhang. Unternehmen, die Gutes tun, dürfen sich auch über größeren wirtschaftlichen Erfolg freuen.
Auf eigene Stärken besinnen
Das ist auch die Grundaussage des Konzepts des "Shared Value", des geteilten oder gemeinsamen Werts. Der bekannte Management-Theoretiker Michael Porter argumentiert mit diesem Konzept, dass Unternehmen sozial und finanziell erfolgreich sein können. Der Ansatz von Porter ist schnell umrissen: Unternehmen sollen sich ihrer eigenen Stärken besinnen und nicht nach dem Gießkannenprinzip in soziale Projekte investieren. Das bedeutet an einem konkreten Beispiel: Der Computerkonzern Apple etwa sollte nicht in Schulprojekte in Afrika investieren, sondern lieber Schulen mit Laptops versorgen. "Die Idee ist, dass die Unternehmen ihre Wettbewerbsvorteile auch für CSR nutzen sollen", sagt Scholz.
Denn davon, so Porters These, hätten alle etwas. Die Schulkinder, die Gesellschaft, selbst das Unternehmen, dass sich möglicherweise langfristig treue Kunden mit der Aktion sichert. Bei global tätigen Unternehmen hat sich dieser Ansatz schon durchgesetzt, vom Lebensmittelkonzern Nestlé bis zum IT-Giganten Micro- soft schreiben sich Firmen den Shared Value auf die Fahne. Doch unter akademischen Wirtschaftsethikern ist dieser Ansatz umstritten. Denn Porter macht CSR nur zu einem von vielen Faktoren einer Unternehmensstrategie.
Das soziale Engagement wird daher kaum verinnerlicht und entsteht oft nur durch Druck von außen. Am Beispiel Apples: Seit 2008 steht der Konzern wegen der Arbeitsbedingungen beim asiatischen Zulieferer Foxconn in der Kritik. Eine Reihe von Schmähpreisen hat der Konzern von NGOs " verliehen" bekommen. Doch erst nach Jahren hat Apple reagiert. "Die Konsumenten sind zwar viel anspruchsvoller als noch vor zehn Jahren. Aber sie werden immer über unvollständige Informationen verfügen", sagt Scholz. "Die gesamte Verantwortung auf die Kunden abzuwälzen funktioniert nicht. So perfekt sind die Märkte nicht."
Daher müssten andere Institutionen zu neuen Regeln für Wirtschaftsethik drängen. Die EU-Kommission etwa fordert in ihrer aktuellen CSR-Politik, dass Unternehmen und Verbände stärker an Selbstregulierung und verbindlichen Regeln arbeiten. Scholz, der bis Ende April als Gastwissenschafter an der Wharton Business School an der Universität von Pennsylvania ist, erwartet sich aber in den USA den nächsten "großen Wurf" für CSR.
Joshua Margolis, ein renommierter Professor für Betriebswirtschaft an der Harvard Business School, wird in einem Buch Ende des Jahres der CSR-Forschung einen neuen Schub verpassen. Er verlangt, dass Unternehmen nicht nur darauf schielen sollen, ob sich CSR auszahlt. Vielmehr sollten sie sich im Klaren sein, welche Rolle sie in der Gesellschaft spielen.
Die Gretchenfrage wird daher wichtiger: Denn angesichts der Staatsschuldenkrise, etwa in Europa, entstehen neue Lücken in der Versorgung der Gesellschaft mit wichtigen Dienstleistungen. Ob Unternehmen diese Lücken füllen wollen und können, wird sich erst weisen. (Lukas Sustala, DER STANDARD, 03.04.2013)