Bild nicht mehr verfügbar.
Studenten demonstrieren in Spanien - derzeit unrühmliche Spitze in Sachen Jugendarbeitslosigkeit.
Die Leidtragenden der Wirtschaftskrise sind vor allem die Jungen. Viele finden keinen Job und das über einen immer längeren Zeitraum. Von der Jugendarbeitslosigkeit waren im Februar heurigen Jahres 5,7 Millionen junge Menschen in der EU betroffen. Grob gesprochen ist rund ein Viertel der Jugend ohne Job. Der Negativrekord ist kein Ausrutscher, sondern liegt im Trend: Die Arbeitslosigkeit nahm seit dem Frühjahr 2011 stetig zu. Jugendliche sind davon überproportional betroffen.
Vor allem in den Krisenländern Europas wächst eine verlorene Generation heran. In Griechenland und Spanien ist laut Europäischer Statistikbehörde mit 57,6 Prozent beziehungsweise 55,6 Prozent mehr als jeder zweite junge Mensch arbeitslos. In Italien liegt die Quote bei 36,6 Prozent. Die niedrigste Rate weist Deutschland mit 7,7 Prozent aus, gefolgt von Österreich mit 8,9 Prozent. Doch auch in den Vorzeigeländern gibt es auf dem Arbeitsmarkt jede Menge Probleme: Der Anteil der atypisch Beschäftigten, die nur Teilzeit oder in unsicheren Beschäftigungsverhältnissen arbeiten, wächst. Schlecht bezahlte Leiharbeiter, befristete Verträge und Dauerpraktikanten sind nicht selten - und das betrifft junge Erwachsene besonders stark.
Soziales Problem
In Zeiten wie diesen haben dennoch viele keine Wahl, denn es gilt: Kein Job bedeutet nicht nur keine Arbeit. "Der Trend birgt ein ernsthaftes Risiko, nämlich dass junge Menschen auf dem Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft allgemein den Anschluss verlieren", warnt die EU-Kommission im März und prognostiziert, dass sich die soziale Krise in Europa verschlimmert. Eine Gefahr, die auch die UNO-Behörde ILO sieht.
Auch Ökonom Ekkehard Ernst zeichnet im deutschen Handelsblatt ein düsteres Bild: "Wer in den Krisenländern heute arbeitslos ist, für den wird es auch innerhalb der kommenden fünf Jahre schwierig, eine feste Stelle zu finden", sagt der Arbeitsmarkt-Experte bei der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), einer Sonderorganisation der Vereinten Nationen mit Sitz in Genf. Die Prognose der ILO lautet daher: "Die Jugendarbeitslosigkeit wird in Spanien auch 2017 noch bei mehr als 50 Prozent liegen, in Italien und Griechenland bei über 30 Prozent."
Krise als Teil der Wahrheit
Jugend ohne Job: Wer dafür die Ursachen sucht, landet schnell bei der Krise. Die Sparpolitik zur Bekämpfung der Schuldenkrise in der EU hat nach Ansicht der EU-Kommission weitreichende Folgen für die Situation an den Arbeitsmärkten und in Privathaushalten. "Die soziale Krise in Europa verschlimmert sich weiter", erklärte Arbeits- und Sozialkommissar Laszlo Andor im März. Und während der Anteil Arbeitsloser im Alter von 15 bis 24 Jahren in den meisten Ländern bis zur Finanzkrise 2008 nur geringfügig schwankte, verzeichnen seither etwa Griechenland und Spanien einen signifikanten Anstieg.
Spanien kämpft schon seit dem Jahr 2007 mit einem extrem hohen Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit von 18,2 auf 41,6 Prozent im Jahr 2010. In Polen ist die Jugendarbeitslosigkeit zwischen 2005 und 2008 stark zurückgegangen - von 36,9 auf 17,3 Prozent. Seit 2008 steigt sie wieder. In Frankreich hat sich die Quote seit 2010 verdoppelt. Slowenien, Slowakei, Portugal, Ungarn tendieren ebenfalls Richtung 40 Prozent. Neben der wirtschaftlichen Entwicklung sind die Bildungssysteme ausschlaggebend für die Beschäftigung der Jungen: Österreich und Deutschland schneiden im europäischen Vergleich wegen des dualen Ausbildungssystems (parallele Ausbildung in Betrieb und Berufsschule, Lehre, Anm.) gut ab, die Jugendlichen gehen hier länger zur Schule oder auf die Uni oder sie landen in einem außerbetrieblichen, staatlich finanzierten Ausbildungsprogramm.
In Spanien liegt der Hund im Boom begraben
In Spanien liegt der Hund auch im Immobilienboom begraben. In den Jahren 1996 bis 2007 spielte das Baugewerbe eine Schlüsselrolle für die wirtschaftliche Entwicklung. Viele Jugendliche verließen die Schule und die Universität, um auf den zahlreichen Baustellen schnelles Geld zu verdienen. Der Bauboom endete bekanntlich 2008: Während 2006 noch rund 222.000 Neubaugenehmigungen vom Staat erteilt worden waren, waren es 2008 lediglich 74.000. In der Folge verloren 1,7 Millionen junge Menschen zwischen 16 und 35 Jahren ihre Arbeit. Die Jugendlichen, die die Schule abgebrochen hatten, fanden kaum neue Jobs.
Die Krise ist allerdings ohnedies nur ein Teil der Wahrheit. Je nach politischer Orientierung fallen die Erklärungsmuster unterschiedlich aus. Nach Erkenntnis einer Studie der deutschen gewerkschaftsnahen Friedrich Ebert-Stiftung verstärkt die Krise zwar die Jugendarbeitslosigkeit, ihre strukturelle Ursache ist sie nicht. Immer mehr jungen Menschen in der EU gelinge der reibungslose Übergang von der Schule in eine unbefristete, regulär bezahlte Beschäftigung schon seit Jahren nicht mehr.
Endlos in der Warteschleife
"Statt schnell und nachhaltig auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, verlieren in ganz Europa Jugendliche wertvolle Jahre in einem unbefriedigenden Hin und Her zwischen Ausbildung, Arbeitslosigkeit und prekären Jobs, das ihnen keine verlässliche Lebens- und Karriereplanung erlaubt", so die Studienautoren. Und: "Es ist ein Massenphänomen. Statt einer festen Arbeitsstelle finden viele 15- bis 24-Jährige auf den zunehmend deregulierten Arbeitsmärkten der EU nur unsichere Teilzeit- oder Aushilfsjobs oder befristete Stellen. Sie sind damit die Ersten, die bei konjunkturellen Schwankungen ihre Beschäftigung verlieren."
Das Gegenteil kann allerdings auch ein Problem sein. Siehe Frankreich: Fast jeder vierte Franzose unter 25 ist ohne Job. Dafür haben es jene, die schon lange in Beschäftigung sind, vermutlich auf immer und ewig gut. Unternehmen können und dürfen die Arbeitsverträge der Angestellten nicht antasten, dafür drehen sie umso kräftiger an den Stellschrauben außerhalb dieser gesicherten Arbeitsverhältnisse: Das Risiko arbeitslos zu sein, ist für die Jungen fast dreimal so hoch wie für die 25- bis 49-Jährigen. In Italien ist indes jeder Zweite unter 30 ohne Arbeit. Wie fast überall, ist ein Bündel an Ursachen dafür verantwortlich. Ein Grund ist unter anderem auch Mario Montis Sparprogramm: Noch nie investierte Italien so wenig in Bildung und Ausbildung wie heute.
Langfristig ist das ein gravierendes Problem: In jungen Jahren nicht in den Arbeitsmarkt integriert zu werden, wiegt psychologisch noch schwerer als Arbeitslosigkeit im Erwachsenenalter, heißt es in der Studie der Friedrich Ebert-Stiftung. Das Gefühl der Betroffenen: "Mein Leben fängt nicht an." Was die Lage der joblosen Jugendlichen in Spanien betrifft, so machen die Studienautoren "prekäre Beschäftigung" als Wurzel allen Übels aus: Vor allem hier sei der Anteil an jungen Menschen, die auf der Suche nach einer sicheren Arbeit viele Leerrunden hinlegen, groß. Sie halten sich mit langen, unbezahlten Praktika, Schwarzarbeit, Scheinselbstständigkeit und schlecht bezahlten Stellen weit unter ihrer Qualifikation über Wasser. Hoch war dort schon vor der Krise der Anteil an befristeten Arbeitsverhältnissen. Und es waren gerade diese, die die Arbeitgeber in der Krise abbauten oder nicht verlängerten. 57 Prozent der Stellen, die Beschäftigte zwischen 16 und 24 Jahren seit 2008 verloren, hatte eine Befristung. Zu Beginn lag die Zahl der befristeten Beschäftigungen sogar bei 80 Prozent.
Keine Arbeitsplätze, keine Jobs
Über einen anderen Teil der Wahrheit schreibt Juliane Sarnes von FutureLab Europe. Das Projekt hat sich vorgenommen, besonders engagierten jungen Europäern eine Stimme in der Debatte über Europas Zukunft zu geben. In einem Blog-Beitrag heißt es: "In den meisten Fällen liegt es nicht an mangelnder Qualifikation, wenn junge Menschen heute in Europa keine Arbeit finden. Griechische und spanische Jugendliche sind nicht von sozialem Ausschluss und Armut bedroht, weil sie sich in der Schule nicht genug angestrengt haben oder ihre Ausbildung ungenügend war. Sie sind arbeitslos, weil es einen unglaublichen Mangel an Arbeitsplätzen gibt – überall in Europa." Ihr Fazit: "Im Kern eines jeden Maßnahmenkatalogs zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit muss die Schaffung von Arbeitsplätzen stehen."
Das Problem wurde auch in der Politik erkannt. Österreichs Ausbildungsgarantie gilt den EU-Granden als nachahmenswert. Jeden Jugendlichen, der hierzulande auf dem regulären Arbeitsmarkt keinen Job findet, nimmt der Staat unter seine Fittiche. Spätestens nach dreimonatiger, erfolgloser Suche, gibt es einen Ausbildungsplatz in einem staatlich finanzierten Lehrbetrieb. Kosten pro Jahr: 130 Millionen Euro. Soviel Geld will nicht jede Regierung in harschen Zeiten in die Hand nehmen. Einfache Modelle gibt es aber ohnedies nicht, auch nicht mit viel Geld. Alte strukturelle Probleme lösen, in Zeiten wo sich neue auftürmen und gleichzeitig innovative Strömungen aufspüren und fördern: Das scheint für die meisten Länder ein unbewältigbarer Spagat.
Konsistente Rezepte, zugeschnitten auf die jeweils ganz spezifische Ländersituation, stehen deswegen - trotz zahlreicher Lippenbekenntnisse - weitgehend aus. Die Folgen sind umso stringenter. "Als Folge der Arbeitslosigkeit kehren immer mehr Menschen einfach dem Arbeitsmarkt den Rücken und setzen sich der sozialen Ausgrenzung aus", sagt etwa EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy. Das gelte bereits für 13 Prozent der 15- bis 24-Jährigen. "Das ist ein menschliches Drama und eine soziale Notsituation." (Regina Bruckner, derStandard.at, 8.4.2013)