Cannes/Wien - Wo Anfang Mai Filmgrößen aus aller Welt für Glanz und Glamour sorgen, regieren bis Donnerstag die Geschäftsinteressen der Fernsehbranche: Bis Donnerstag hält Europas größte Händlermesse MIP-TV an der Croisette Hof. In vier Tagen besuchen mehr als 11.000 Händler aus mehr als hundert Ländern die rund 600 Messestände von Sendern und Produzenten, um Programme en gros zu kaufen und zu verkaufen. Und weil sich die Branche nicht nur in einer ökonomischen, sondern mehr noch in einer Strukturkrise befindet, könnten die Verkaufsgespräche in dieser Woche eine Spur eisiger geführt werden.

Konkurrenz mit dem Web

Denn das herkömmliche Fernsehen steht mit der rasant voranschreitenden Digitalisierung unter Druck. Internetplattformen wie Netflix, Youtube und Amazon drängen auf den Contentmarkt. Die Verwertungskette dreht sich um, wie die millionenschwere Parlamentsthrillerserie "House of Cards" zeigt. Netflix produzierte, sie startete zuerst im Web, erst danach im TV. Inzwischen stehen die Plattformen bei den Produzenten Schlange, um original produziertes Programm zu ordern.

Insofern geht die Geduld für Experimente bei den Sendern gegen null. Die besten Chancen auf Verkauf haben Fictionprogramme, die schon einmal irgendwo erfolgreich waren. Nicht nur, um sie anderswo auszustrahlen, sondern um die Serie im eigenen Land mit eigener Ausstattung zu adaptieren. Man könnte es auch Ideenschwäche nennen. Besonders intensiv betreibt das seit geraumer Zeit das US-Fernsehen. Showtime heimst massenhaft Preise für "Homeland" ein. Die Agentenserie war im Original israelisch. Dänemarks Kommissarin Lund ermittelt auf AMC in "The Killing". Weitere Adaptionen von dänischen Serien sind geplant: Die Krimiserie "The Bridge" und der Politmehrteiler "Borgen" stehen auf den Listen der US-Fernsehmanager.

Die fieberhafte Suche nach dem unschlagbaren Quotengiganten eröffnet neuerdings Chancen für Länder, die bis jetzt zu absatzschwachen TV-Warenlieferanten zählten. In der Türkei fesselte etwa die Thrillerserie "The End". Ein Mann stürzt bei einem Flugzeugabsturz ab, seine Frau erfährt erst nach seinem Tod von einem gut gehüteten Geheimnis. Mittlerweile ist "The End" ein internationaler Erfolg, der sich mehr als 35 Mal verkaufte. Aus Spanien kommt "Grand Hotel", eine historische Hotelserie, die als dem britischen Quotengigant "Downton Abbey" ebenbürtig gehandelt wird.

Die größte Not besteht inzwischen im Showgeschäft, wo seit Jahren adaptiert wird. Die Begeisterung für Casting lässt im 13. Jahr deutlich nach. Sogar der Gigant "American Idol" schwächelt.

Schwächelnde Talente

In Höchstzeiten beklatschten rund 30 Millionen die Nachwuchssänger, jetzt sackt die Quote auf elf Millionen ab. "The Voice" zieht noch Zuschauermassen an. Eine Talenteshow, mit der auch der ORF liebäugelt, die aber bis dato zu teuer für den Gebührenfunk war. Spanien sorgt für Aufsehen mit "Don't Say It, Bring it!", berichtet der Hollywood Reporter. Das ist eine Spieleshow, die eine britische Agentur weltweit vertreibt. "Your Face Sounds Familiar" sicherte sich schon der US-Sender ABC. Dänemark ist erfolgreich mit "Ghetto Riders", das Immigranten in ein sinnstiftendes Radteam steckt. International beachtet wird Stefan Raabs Polittalkshow "Absolute Mehrheit", in der sich Politiker Publikumsvotings stellen. (Doris Priesching, DER STANDARD, 9.4.2013)