Die Innsbrucker Polarforscherin Birgit Sattler hat dieses Foto im Gletschereis der Arktis in 30 Metern Tiefe aufgenommen.

Foto: Sattler

Der Nordpol ist im Gespräch. Zuletzt hat er sich mit Wetterkapriolen in Mitteleuropa bemerkbar gemacht. Doch nicht nur wegen des Klimawandels, auch aufgrund von Bodenschätzen erregen die Polarregionen wirtschaftliches wie politisches Interesse. Doch sosehr das Gebiet Beachtung findet, so wenig die Wissenschafter, die sich damit beschäftigen.

Zumindest in Österreich, finden die hier tätigen Polarforscher. Um das zu ändern, wurde diese Woche das Österreichische Polarforschungsinstitut offiziell gegründet. Der inoffizielle Zusammenschluss von 14 Forschungsgruppen fand schon Anfang des Jahres statt, gemeinsam will man sich mehr Sichtbarkeit verschaffen. "Um in der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden, braucht es eine kritische Masse", sagt Andreas Richter. Der Professor für Physiologie und Ökologie der Pflanzen an der Uni Wien wurde für zwei Jahre zum Leiter des neuen Instituts gewählt.

Die österreichischen Polarforscher folgen mit ihrer Initiative einem internationalen Trend. In vielen Ländern positioniert sich die Community in einer Art Dachorganisation als Großforschungsinstitut. Das Alfred-Wegener-Institut koordiniert etwa die deutsche Polarforschung und verwaltet gemeinsame Infrastruktur.

Obwohl den heimischen Polarforschern in der Öffentlichkeit kaum Aufmerksamkeit zukommt, sind sie international durchaus anerkannt, was sich etwa an zahlreichen Publikationen in renommierten Zeitschriften wie "Nature" oder "Science" zeigt. Gerade die heimische Öffentlichkeit bräuchte es aber, um Forschungsstationen, Schiffe oder Hubschrauber zu finanzieren - alles notwendige Bedingungen für die Polarforschung.

Das neue Österreichische Polarinstitut ist zunächst ein virtuelles Institut ohne eigene Räumlichkeiten und hat keine eigenständige Finanzierung. Die beteiligten Fakultäten stellen Geld bereit, um eine halbe Stelle für eine Sekretärin und Auslandsreisen zu finanzieren. Geplant ist, dass die Polarforschungsprojekte, die zum Großteil über Drittmittel finanziert werden, auch weiterhin über Unis und außeruniversitäre Einrichtungen abgewickelt werden. Das neue Institut soll vor allem Infrastruktur und Expertisen bündeln und eine Struktur schaffen, mit der auch größere Projekte eingeworben werden können.

Was die Polarregion für die Forscher eines mitteleuropäischen Landes wie Österreich interessant macht, dafür hat Richter mehrere Argumente. Obwohl die Arktis ein einzigartiges Gebiet ist, gibt es etwa Ähnlichkeiten zwischen arktischen und alpinen Pflanzen, weil sie dort wie da extremen Witterungsbedingungen ausgesetzt sind. Zudem haben die Polarregionen globalen Einfluss auf das Klima und Stoffwechselprozesse.

Paradoxe Klimaentwicklung

Zufolge einer These deutscher Polarforscher hat die Klimaerwärmung den langen Winter dieses Jahres in Europa verursacht. Was auf den ersten Blick paradox klingt, begründen die Forscher folgendermaßen: Durch den globalen Temperaturanstieg schmilzt das arktische Eis. Da das Eis die Sonnenstrahlung stärker reflektiert als das offene Meer, hat das diesjährige Rekordeistief den Luftdruckunterschied zwischen Arktis und Mittelmeer vermindert. Folglich haben Mitteleuropa in den letzten Wochen statt warmer Mittelmeerluft eisige Strömungen aus Skandinavien und Russland erreicht.

Klimatische Effekte der Arktis in unseren Breiten werden sogar noch zunehmen, meint Richter. Dadurch, dass in den Polargebieten doppelt so viel Kohlenstoff gebunden ist wie sonst in der Atmosphäre, könnte das Abschmelzen des arktischen Eises die Klimaerwärmung sogar noch beschleunigen. Durch das Abtauen entsteht Kohlendioxid, das als einer der Hauptverantwortlichen der Temperaturerhöhung gilt. "Die Polarforschung kann daher kein Gebiet sein, das nur von einem Land abgedeckt wird, es gibt eine globale Verantwortung", sagt Richter.

Zwar sind Polarexpeditionen längst nicht mehr so spektakulär wie in der Pionierzeit der Polarforschung. Doch auch die heutige Polarforschung kommt nicht ohne Expeditionen aus. Selbst mit modernen Technologien sind Reisen in die Polarregion immer noch "ein Abenteuer", sagt Richter. Er verbringt meist ein bis zwei Monate im Jahr in der nördlichsten Region der Erde.

"Es ist ein eigenes Gefühl, wenn man von einem Hubschrauber abgesetzt wird, der erst in zwei Wochen wieder kommt, und die nächsten hundert Kilometer gibt es keine Menschenseele", erzählt er. Nachtrag: "Manchmal kann das guttun, einen Monat ohne Mail und Telefon kann ich empfehlen." Die Abgeschiedenheit kann auch Unbehagen auslösen, "etwa wenn ich daran denke, ich könnte mir ein Bein brechen".

Schon als Jugendlicher war Richter von Sibirien fasziniert, obwohl er damals noch nicht ahnte, "welche Bedeutung dem Gebiet einmal zukommen wird". (Tanja Traxler, DER STANDARD, 10.4.2013)