Erich Wolf: "Die Gefahr, entdeckt zu werden, wird von Tag zu Tag größer. Flankiert von drastischen Strafdrohungen kommt es schon zu einer größeren Steuerehrlichkeit."

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derStandard.at: Österreich steht mit seinem Bankgeheimnis wieder einmal recht unschön in der Auslage. Ist es mit dem Finanzplatz Österreich vorbei, wenn es fällt oder bleibt Österreich ein Gestaltungsspielraum?

Erich Wolf: Österreich und Luxemburg sind bekanntlich die einzigen Staaten der Union, wo es nicht den automatischen Datenaustausch gibt. Es kommt auch Druck von der Bankenszene in den USA, der ist vielleicht noch viel stärker als der Druck der EU. In puncto Bankgeheimnis hat Österreich so gut wie keinen Spielraum. Wenn das das Zuckerl für die wohlhabenden privaten Ausländer war, ist dieser Zug wohl abgefahren.

derStandard.at: Im Zuge der Budgetmiseren in vielen Staaten gibt es nicht nur EU-weit Bestrebungen, Steuersünder zu überführen und Steueroasen auszutrocknen. Werden sich einzelne Oasen halten können? Wie viel Spielraum haben einzelne Staaten noch im Steuerwettbewerb?

Wolf: Auf lange Sicht werden wohl die ganzen Steueroasen ausgetrocknet werden. Auch Jersey, Cayman Island, Vanuatu im Südpazifik. Spielraum in einzelnen Staaten besteht allerdings schon noch. Man könnte etwa Menschen, die zum Beispiel in Forschung, Wissenschaft oder im Kunstbereich tätig sind, steuerliche Erleichterungen bieten. Österreich hat zum Beispiel eine Künstler- und Sportlerbesteuerung, die unter Umständen auch günstig ist. Internationale Sportler haben eine sehr gute pauschale Sportlerregelung in Österreich.

derStandard.at: Wenn sich Österreich nun von vielen ausländischen Wohlhabenden verabschieden muss, welche Möglichkeiten hat das Land noch, trotzdem attraktiv zu bleiben?

Wolf: Man wird sich überlegen müssen, was will ich als Staat: Möchte ich den Drogenbaron oder den international bekannten Künstler. Dann kann man gezielt steuerliche Anreize geben oder die bestehenden verstärken. Österreich hat die Möglichkeit neben Künstlern und Sportlern auch Wissenschaftler anzusprechen. Interessant wäre es auch, Wissensmanagement oder auch die Forschungsförderung durch steuerliche Anreize zu fördern.

derStandard.at: Wird das als Kompensation reichen?

Wolf: Österreich hat auch Möglichkeiten, sich als Wirtschaftsstandort, als Holdingstandort für Konzerne zu profilieren. Da gibt es immer noch eine günstige Gruppenbesteuerung. Österreichische Konzerne können zum Beispiel über die Gruppenbesteuerung chinesische Verluste von der österreichischen Steuerbemessungsgrundlage abziehen. Das gibt es nur in sehr wenigen Ländern. Auch der Fremdkapitalzinsenabzug fällt hier ins Gewicht. Das ist sehr attraktiv.

derStandard.at: Großkonzerne stehen aber ohnedies immer im Geruch, den Fiskus zu überlisten.

Wolf: Da muss man sauber differenzieren. Es gibt die ganz legale Gestaltung. Zum Beispiel: Eine Kaffeehauskette hat auf der ganzen Welt Filialen verteilt. Der Lizenzgeber sitzt in einer Steueroase und dort zahlen die Filialen ein. Das ist zulässig, moralisch und ethisch einwandfrei. Man kann sich aber die Frage stellen, ob man nicht auch da Einschränkungen machen kann, weil dem Fiskus dadurch sehr viel Geld verloren geht. Dann gibt es aber auch die Transferpreise.

Denken Sie etwa an die Pharmaindustrie: Da ist es sehr schwierig, Leistungen, die im Ausland an österreichische Konzerngesellschaften erbracht werden, zu bewerten. Geforscht wird im Ausland, das Marketing passiert im Ausland. Da braucht man marktübliche Preise, die die Konzerne verrechnen. Ganze Steuerberatungskanzleien und Finanzamtsabteilungen sind beschäftigt, diese Transferpreise richtig zu beurteilen. Natürlich gibt es da Streitigkeiten und Möglichkeiten der Konzerne – legal oder illegal – Steuern zu optimieren.

derStandard.at: Bleiben wir beim Finanzamt: Für die Behörden ist der Aufwand, die Steuern einzutreiben, gehörig. Wie schaut da die Kosten-Nutzen-Rechnung aus?

Wolf: Bis jetzt war es für die Finanz unmöglich, Steuersünder aufzudecken. Der Staat bekommt auf den Cayman Islands, auf den British Virgin Islands oder auf Vanuatu keine Informationen. Der Fiskus hat nur die Möglichkeit, diese Steuern einzutreiben, indem er per Zufall drauf kommt oder via Anzeigen, wie jetzt bei Offshore-Leaks. Oder jemand streitet mit einem Geschäftsfreund oder bei einer hässlichen Scheidung.

derStandard.at: Das Bestreben scheint ja derzeit groß, die Daumenschrauben diesbezüglich anzuziehen. Dient das der Steuerehrlichkeit?

Wolf: Steuerzahlen ist für niemanden angenehm. Das geht nur über positive Motivation, indem man den Leuten klarmacht, dass sie damit Geld für Bildung, Forschung, Unis bereitstellen. Aber es braucht auch die Peitsche. Wir haben eine Finanzpolizei. Großen Steuerbetrügern drohen mittlerweile bis zu zehn Jahre Haft. Auf die Klienten macht das sehr wohl Eindruck.

derStandard.at: Bei den Menschen kommt also an, dass es der Staat ernst meint mit dem Steuereintreiben?

Wolf: Auf alle Fälle. Drohende Strafen gab es immer schon. Aber jetzt steigt die Chance, entdeckt zu werden. Mit jeder Handlung, die wir tätigen, hinterlassen wir in der digitalen Welt immer mehr Spuren. Die Gefahr, entdeckt zu werden, wird von Tag zu Tag größer. Flankiert von drastischen Strafdrohungen kommt es schon zu einer größeren Steuerehrlichkeit.

derStandard.at: In Österreich landen nicht nur potenzielle Schwarzgelder aus anderen Staaten. Auch die Österreicher wirtschaften recht emsig an der Steuer vorbei. Schwarzarbeit scheint in Österreich ja eher angesehen. Wie kommt es zu dieser unterschiedlichen Bewertung von Steuerhinterziehung?

Wolf: Möglicherweise erleben wir jetzt einen Kulturwandel. Aber wenn man zehn Jahre zurückblickt: In Österreich gab es immer so eine Na-Ja-Mentalität. Augenzwinkernd hat es da immer geheißen, es ist zwar illegal, aber irgendwie ist das auch tüchtig. Skandinavische Länder oder auch Deutschland waren immer stringenter und ernster. Aber es ist wohl immer noch so, dass es, wenn sie Geld verdienen, ein bisschen als Sport gesehen wird, mehr Geld zu verdienen. Vor allem auch Netto mehr Geld zu verdienen.

Dieser sportliche Ehrgeiz, dem Staat oder dem Fiskus ein Schnippchen zu schlagen, ist auch in der Psychologie des Menschen verankert. Wir sind alle Marktteilnehmer und versuchen, zu optimieren. Bei der Steuer muss eben der Fiskus bei schweren Fällen sagen, dass das kein Kavaliersdelikt ist. Wenn man bei Millionenbeträgen und großen Wirtschaftstreibenden auch augenzwinkernd vorgeht, geht es uns so wie Griechenland und Spanien und Portugal.

derStandard.at: Nun wird von der Regierungsspitze versprochen, dass Omas Sparbuch unangetastet bleibt und man ganz gewiss quasi nur dem ausländischen Oligarchen auf die Finger schaut. Wird das so funktionieren?

Wolf: Wenn man das Bankgeheimnis anschaut: Dem kleinen österreichischen Sparer kann das ziemlich egal sein. Der bekommt sowieso seine Netto-Pension, sein Nettogehalt. Wer etwas zu verbergen hat, ist ein Ausländer vor dem ausländischen Fiskus. Dass ein Österreicher einen größeren Schutz bekommt, seine Daten nicht offen zu legen, als der Ausländer, wäre auch sachlich begründet. Aber wir werden grundsätzlich eine höhere Steuerehrlichkeit brauchen.

derStandard.at: In welcher Dimension kann man sich diesbezüglich einen Erfolg für den Staat vorstellen oder anders gefragt: Was kosten uns Steueroasen?

Wolf: Laut McKinsey liegen 75 Billionen Dollar in Steueroasen. Ein unvorstellbarer Betrag, auch wenn das nicht alles aus Steuerhinterziehung kommt. Österreichs Finanzministerin schätzt, dass 50 Milliarden Euro an deutschen Geldern in Österreich liegen. Davon abgesehen: Wenn man schätzt, dass zehn Prozent des gesamten Steueraufkommens am Fiskus vorbeigehen - sowohl in Steueroasen als auch durch Pfusch - sind das zehn bis 15 Milliarden Euro pro Jahr. Wenn wir die einnehmen würden, brauchen wir keine neuen Steuern. In zwanzig Jahren hätte der Staat keine Schulden mehr.

derStandard.at: Ist Offshore-Gründen nach der großen Enthüllung unmoralisch?

Wolf: Ich fürchte, die Moral hat da nichts verloren. Die Gründung ist jedenfalls ganz einfach. Sie brauchen dafür nicht einmal das Land verlassen. Das geht ganz einfach via Internet. Treuhänder und Berater scheinen nach außen auf. Derjenige, dem das Geld gehört, nicht. Das ist der Charme bei der Sache. Wenn man jetzt die Moral anspricht: Die Unmoral ist da eher auf Seiten der Fluchthelfer oder Landschaftspfleger. Weil ohne Fluchthelfer würde das nie funktionieren. Da wird ja mit den diskreten Veranlagungen geworben. Das ist die Geschäftsgrundlage für solche Firmen.

derStandard.at: Die Branche ist mit der erhöhten Mobilität des Kapitals in den letzten Jahrzehnten gewachsen. Für Unternehmen ist es wohl auch eine Art Sport, solche Geschäfte zu erfinden.

Wolf: Natürlich. Aber auch die Fahnder und die investigativen Journalisten werden immer mobiler. Das ist ein Katz-und-Maus-Spiel. In Wahrheit wird die Maus - das Kapital - zwar immer schneller sein, aber das Risiko, entdeckt zu werden, wird auch immer größer. Auch die Gefahr in Form von Haftstrafen wird immer drastischer. Deswegen ist davon auszugehen, dass auch die Hemmschwellen, so etwas zu machen, immer höher werden. (Regina Bruckner, derStandard.at, 12.4.2013)