Die GNOME-Shell-Abspaltung Cinnamon will eine moderne Softwarebasis mit klassischen Nutzungskonzepten kombinieren.

Screenshot: Andreas Proschofsky / derStandard.at

Wer will kann aber auch gleich das "Alte" nehmen, und GNOME2 in Form von MATE wieder auferleben lassen.

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Einer der traditionsreichsten alternativen Desktops: Xfce.

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Große Ambitionen, aber noch etwas unvollständig: Razor-Qt.

 

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Trinity: Der Desktop für KDE4-Verweigerer.

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Besonders "schlank" präsentiert sich LXDE.

Grafik: LXDE

Schon ein "Klassiker" und doch erst bei Version 0.17 angelangt: Enlightenment.

Grafik: Enlightenment

War es in früheren Jahren vor allem der Zweikampf KDE vs. GNOME, der die Gemüter der Linux-Desktop-NutzerInnen schon mal zu einem zünftigen Flamewar animierte, ist mit Canonicals "Unity" zwischenzeitlich ein dritter "großer" Desktop für das freie Betriebssystem hinzugekommen. Gerade dessen neue Konzepte aber auch der grundlegende Desktop-Umbau, der mit GNOME3 einher gegangen ist, haben so manche KritikerInnen auf den Plan gerufen, die sich mit den veränderteten Gegebenheiten so gar nicht abfinden wollen.

Wahlmöglichkeit

Da aber unter Linux der Code frei zugänglich ist, und zumindest einige ihrer Kritik auch Taten folgen ließen, präsentiert sich aktuell eine relativ interessante Situation: Die Linux-Desktop-Vielfalt ist so groß wie wohl noch nie zuvor. Im Folgenden sollen den  auch einige Alternativen zu den "großen Drei" kurz vorgestellt werden.

Cinnamon

Da wäre einmal Cinnamon, das erste von zwei alternativen Desktop-Projekten, die im Umfeld von Linux Mint entstanden sind. Seine Wurzeln hat das Projekt in der GNOME Shell, die Mint zunächst mit Erweiterungen modifizierte, um sie später in Cinnamon abzuspalten. Ziel ist - heute wie damals - die moderne Basis von GNOME3 zu verwenden, dabei aber einen vom Aufbau her relativ klassischen Desktop anzubieten.

Panel

Bei Cinnamon gibt es also ein Panel am unteren Bildschirmrand, bei dem links unten ein Startmenü angebracht ist, in dem wiederum eine Suchfunktion sowie Anwendungskategorien beherbergt sind. Besonderen Stellenwert legt man darauf, dass wesentlich mehr Einstellungsmöglichkeiten als bei GNOME3 angeboten werden, hierfür gibt es auch das eine oder andere eigene Tool.

Nemo

Seit einigen Monaten beschränkt sich das Cinnamon-Projekt aber nicht mehr auf den Ersatz der GNOME Shell alleine: In Form von "Nemo" wurde der GNOME-Dateimanager Nautilus abgespalten, um ihm einige Features zurückzugeben, die bei dessen letztem Redesign verloren gegangen sind. Dazu gehört vor allem die "Split View", bei der zwei Verzeichnisse parallel in einem Fenster dargestellt werden, zudem gibt sich Nemo in User-Interface-Fragen weniger reduziert.

Ausblick

Für die Zukunft hat Cinnamon noch einige ambitionierte Pläne, die das Projekt weiter von seinem Ursprung entfernen dürften. So sollen schon in der kommenden Release kleine Widgets - sogenannte Desklets - unterstützt werden.

Ressourcen

Die technologische Basis verrät es eigentlich schon: Wer vor Desktops wie GNOME3 flieht, weil diese zu viele Ressourcen verbrauchen, wird mit Cinnamon auch nicht viel glücklicher werden. Zwar gibt es einen eigenen "Cinnamon2D", der auf älteren Rechnern diverse Effekte deaktiviert sowie Software Rendering nutzen kann - dies unterscheidet sich aber auch nicht substantiell davon, was die GNOME Shell heutzutage in solchen Situationen tut.

MATE

Eher bietet sich da schon der MATE Desktop an: Bei diesem handelt es sich um eine Abspaltung von GNOME 2.32 - also der letzten Release dieser Serie. Ziel des Projekts ist es dessen Nutzungskonzepte mehr oder weniger gleich zu behalten, dabei aber die technologische Basis zu erneuern, um nicht den Anschluss zu aktuellen Distributionen zu verlieren. So bietet etwa die aktuelle Version 1.6 immerhin bereits Unterstützung für das Boot-System Systemd, zudem hat man sich von einigen veralteten Bibliotheken verabschiedet.

Wenig Veränderung

Wer aus der GNOME-Welt kommt, wird sich bei MATE umgehen zurecht finden, sind die Unterschiede im Vergleich zu diesem doch nur schwer auszumachen. Einzig die Namen der Anwendungen wurden allesamt verändert, was allerdings auch den Nachteil hat, dass die NutzerInnen bei Problemen mit einer Websuche schnell mal an die virtuelle Wand laufen. Wer allerdings weiß, wie die Originalnamen der einzelnen Komponenten waren, kann sich schnell mithilfe des gesammelten Wissens über GNOME2 schlau machen.

Xfce

Quasi DER Klassiker unter den schlanken Linux-Desktops ist Xfce, und dabei auch fraglos eines der komplettesten Angebote. Auf GTK+2 basierend (einen fixen Zeitplan für eine GTK+3-Portierung gibt es derzeit noch nicht), wurden über die Jahre zahlreiche eigenständige Programme für Xfce entwickelt.

Softwareauswahl

Entsprechend bietet er praktisch alles, was man so im Alltag sucht, in einer eigenen Variante. Vom Dateimanager über ein Panel mit verschachteltem Startmenü bis zum Media Player oder schlanken Browser reicht hier die Palette.

Reduziert

Der Ressourcenverbrauch ist hier noch mal einen Tick niedriger als bei GNOME2 / MATE, auch wenn angemerkt werden muss, dass sich dieser Vorteil meist aufhebt, wenn mal eine Anwendung aus der GNOME- oder KDE-Welt gestartet wird. Immerhin werden dabei dann auch die zugehörigen Bibliotheken geladen - und der Vorteil beim RAM-Verbrauch schwindet dahin.

Omnipräsent

Aufgrund seiner langen Tradition wird Xfce bei praktisch allen relevanten Distributionen zur Nachinstallation angeboten. In Form von Xubuntu gibt es aber sogar ein eignes Derivat der beliebten Linux-Distribution mit Xfce-Desktop.

Razor-Qt

Doch nicht nur in der GTK+/GNOME-Welt wird nach Alternativen gesucht, auch im Qt/KDE-Lager haben sich einige zusätzliche Projekte etabliert. Besonders ambitioniert gibt sich Razor-Qt, handelt es sich dabei doch um keinen Fork einer bestehenden Software, sondern um den Versuch einen gleichermaßen schlanken wie modernen Desktop auf Qt-Basis neu zu erschaffen.

Jugendlich

Razor-Qt ist ein noch relativ junges Projekt, und das ist ihm auch anzumerken, so manches ist unübersehbar unfertig beziehungsweise noch nicht soweit, wie man es gerne hätte. Der Kern-Desktop mit Panel, Anwendungsstarter und einem eigenen Einstellungstool funktioniert aber schon mal tadellos.

Modern

Die Razor-Qt-EntwicklerInnen geben sich dabei Mühe rasch neue Basistechnologien aufzunehmen. So stehen etwa eine Portierung auf Qt5 sowie den neuen Display Server Wayland für die nächste Zeit auf der Roadmap. Bei der Verfügbarkeit ist das Bild schon etwas diffiziler: Razor-Qt lässt sich aber zumindest bei einigen Distributionen einfach nachinstallieren, darunter etwa Mageia oder auch "Rolling"-Distributionen wie Arch Linux oder Gentoo. Bei anderen Distros braucht es hingegen die Einbindung externer Paketquellen.

Trinity

Wem das schon wieder zu modern ist, der darf sich mit dem Trinity-Desktop in alte Zeiten versetzen. Handelt es sich dabei doch um eine Abspaltung von KDE3, womit Trinity eine ähnliche Rolle wie MATE einnimmt, nur eben für die KDE-Welt. Denn auch wenn das manche vielleicht schon gar nicht mehr wissen: Auch nach der Veröffentlichung von KDE4 gab es Proteste aus Teilen der Community, manche wollen sich mit den damal vorgenommenen Änderungen bis heute nicht abfinden, und sind somit so etwas wie die Kern-Zielgruppe für Trinity.

Vollständig

Aufgrund seiner Wurzeln darf es nicht verwundern, dass man hier einen sehr kompletten Desktop erhält. Und zwar mit alten Bekannten: So kommt bei Trinity der Konqueror als Dateimanager zum Einsatz, und es gibt eine beeindruckende Vielzahl an Einstellungsmöglichkeiten.

LXDE

Eine ganz andere Baustelle ist dann wieder das Lightweight X11 Desktop Environment - kurz LXDE genannt. Der Name ist hier eigentlich auch gleich Programm: LXDE ist wohl derjenige unter den vorgestellten Desktops, der am wenigsten Systemressourcen verschlingt. Auf 3D-Effekte und ähnliches verzichtet man, der geringe Speicherverbrauch empfiehlt LXDE dafür, älteren Systemen ein zweites Leben einzuhauchen.

PCManFM

Mit dem PCManFM gibt es auch hier einen eigenen Dateimanager, dazu kommen dann noch diverse andere Tools wie etwa Panel oder Startmenü. Derzeit scheint die Entwicklung des LXDE zwar eher langsam voranzuschreiten, wer diesen Desktop wählt, setzt aber wohl ohnehin nicht auf rasche Veränderung. Als Distribution zum Ausprobieren empfiehlt sich hier einmal mehr eine Ubuntu-Variante, und zwar jene namens - Überraschung - Lubuntu.

Enlightenment

Kommt zum Abschluss noch eine Art Sonderfall: Ein System, dass seit langem existiert, im Linux-Desktop-Bereich nur eine Randerscheinung geblieben ist, und doch in der weiteren Softwarewelt äußerst erfolgreich ist: Enlightenment. Als eines der ältesten Linux-Desktop/Window-Manager-Projekte hat es erst vor einigen Monaten die Version 0.17 erreicht - und dies nach satten 12 Jahren Entwicklung.

EFL

Entgegen den anderen vorgestellten Projekten setzt Enlightenment auf eine vollständig unabhängige technologische Basis, und zwar die Enlightenment Foundation Libraries (EFL). Und daraus ergibt sich auch der zuvor erwähnte "Erfolg": Werden die EFL doch unter anderem von Samsung für die eigene Softwareentwicklung genutzt, nahmen früher bei Bada und jetzt bei wieder bei Tizen eine zentrale Rolle im Stack ein.

Ökosystem

Dabei soll natürlich nicht untergehen, dass rund um das Projekt mittlerweile ein relativ kompletter Desktop entstanden ist - samt eigenem Dateimanager, einem Pager für virtuelle Desktops, dem unvermeidlichen Panel und diversen Tools. Auch Enlightenment steht in vielen Distributionen zur Nachinstallation bereit, bei manchen - wie Bodhi Linux - gibt es sogar den Default Desktop.

Die Macht des Forks

Was in all den Diskussionen über einzelne Änderungen großer Desktop-Projekte gerne übersehen wird: Die Wahlfreiheit - und im Speziellen auch die "Macht des Forks" ist eine der entscheidenden Stärken von freier Software. Wer mit der aktuellen Entwicklungsrichtung eines Projekts nicht einverstanden ist, kann also - wie sich zeigt - aus einer Fülle von durchaus interessanten Alternativen wählen. Da heißt es also einfach nur: Ausprobieren, und bei Gefallen: Zugreifen. (Andreas Proschofsky, derStandard.at, 14.04.13)