Inhalte des ballesterer Nr. 81 (Mai 2013) – Seit 12.4. im Zeitschriftenhandel!

Schwerpunkt: Champions League

ZWANZIG JAHRE REVOLUTION
Wie die Champions League Europas Klubfußball veränderte

EUROPAS ERWEITERTE ELITE
Von den G-14 zur European Club Association

KEINE ERFOLGSGESCHICHTE
Österreich war zuletzt 2005 im Konzert der Großen

KURIOSITÄTEN
Das gefallene Tor von Madrid und Daums Wechselchaos

BAROCKE FUNKTIONSMUSIK
Tony Brittens Champions-League-Hymne

Außerdem im neuen ballesterer:

»ES GIBT LEICHTERES«
Rapid-Präsident Rudolf Edlinger im Interview

VERGESSENE EINTRACHT
Braunschweigs Fanszene ist tief zerissen

BAUSTELLE HERNALS
Der Sportclubplatz wartet weiter auf seine Sanierung

FALL SUKUTA-PASU
Hat Österreichs Fußball ein Rassismusproblem

NICHT IRGENDEIN FISCHER
Jens Martin Knudsen über die fehlende Färöer-High-Society

AUSGESTELLTE FANKULTUR
Ein Gespräch über die Sonderausstellung des FC Zürich

KRAFTWERK
Die Stange von Dublin

DER OPPORTUNIST
Warum Paolo Di Canio über seine Vergangenheit schweigt

TAKTIK TOTAL
Verteidigen im Raum

DR. PENNWIESER
Der gestörte Schlaf

Der 13. MANN
Being Diego Maradona

GROUNDHOPPING
Matchberichte aus den England, Deutschland und den USA

Foto: Cover: Ballesterer

Milanic: "Erreichen wir einmal eine Gruppenphase der Champions League, sind wir über Jahre hinweg finanziell abgesichert" ... "Ich will aber eigentlich fast nicht mehr über eine Qualifikation reden, weil die Last auf der Schulter ohnehin jetzt schon so erdrückend ist."

Foto: Peter Troissler

Milanic über die Königsklasse: "Schon allein die Hymne versetzt dich in eine andere Welt."

Foto: Peter Troissler

1999/2000. Beim Eingang zum Spielertunnel, geschmückt mit historischen Fotos und Ehrentafeln, hat der NK Maribor der Saison einen prominenten Platz gegeben. In diesem Jahr kam der große europäische Fußball erstmals in Form der Champions League in die zweitgrößte Stadt Sloweniens. Und auch ein viel jüngerer Erfolg der Vereinsgeschichte ist hier allgegenwärtig: Jedes Schild, das den Weg zum Pressekonferenzraum oder zu den Kabinen weist, ist im UEFA-Design gehalten.

Es sind Überbleibsel der Europa-League-Gruppenphasen der aktuellen und der vergangenen Saison. Anfang 2013 aber sind die internationalen Spiele für den slowenischen Rekordmeister Maribor vorbei. Und während das Schneetreiben an einem kalten Morgen im April nicht einmal an Frühling denken lässt, haben hier alle schon wieder den Sommer im Sinn. Elf Punkte Vorsprung elf Runden vor Schluss – die Champions-League-Qualifikation ist erneut zum Greifen nah. Nur einer will nicht so weit vorausdenken: Trainer Darko Milanic, der gerade an seinem Schreibtisch Platz genommen hat.

ballesterer: Wissen Sie, wer die letzte Europa League gewonnen hat?

Darko Milanic: Uns interessiert die Europa League immer nur, solange wir dabei sind. Wir sind im Vorjahr leider schon in der Gruppenphase gescheitert. (lacht)

Atletico Madrid hat gewonnen, aber es geht vielen Fußballexperten wie Ihnen. Was Sie wohl ebenfalls gemeinsam haben: Der Champions-League-Gewinner des Vorjahres fällt einem sofort ein, oder?

Milanic: Ja, Chelsea – natürlich.

UEFA-Präsident Michel Platini hat vielleicht auch deshalb letzten Herbst von der Idee gesprochen, die Europa League abzuschaffen und dafür die Champions League weiter aufzustocken. Was halten Sie davon?

Milanic: Klar ist, dass es um viel Geld geht. Daher will jedes Team in der Champions League spielen. Wenn sich dadurch mehr Meister aus kleineren Ländern für den Hauptbewerb qualifizieren könnten, wäre es eine super Idee. Aber sechs oder sieben Vereine aus einem Land finde ich nicht gut, da geht der Grundgedanke komplett verloren.

Der Europacup wurde ursprünglich eingeführt, damit sich Gleiches mit Gleichem messen kann. Der Meister mit den anderen Meistern, der Cupsieger mit den Cupsiegern. Trauern Sie den alten Bewerben nach?

Milanic: Das System wird eben vom Geld regiert. Dieser Anreiz macht es aber auch für die Klubs so interessant. Die großen Vereine müssen weit kommen, um auch in den kommenden Jahren erfolgreich sein zu können. Und kleine Klubs wie wir haben ebenfalls eine große Chance: Erreichen wir einmal eine Gruppenphase der Champions League, sind wir über Jahre hinweg finanziell abgesichert.

Gerade für Spieler der kleinen Klubs ist die Teilnahme an der Champions League eines der größten Karriereziele. Was macht die Faszination aus?

Milanic: Die Spieler bei den großen Klubs sind es gewohnt, Jahr für Jahr teilzunehmen. Für sie ist es ein prestigeträchtiger Bewerb, den sie einfach gewinnen wollen. Für alle anderen ist dabei sein alles. Für uns, also für meine Spieler und das Trainerteam, wäre es der Höhepunkt unserer Karriere. Wir sind in den vergangenen beiden Jahren Meister geworden, und auch heuer sieht es wieder sehr gut aus. Wenn du das erste Jahr Meister wirst, sind viele Emotionen dabei, und alle Spieler strotzen vor Euphorie. Aber die lässt nach, wenn Erfolge selbstverständlicher werden. Dann gibt es nur noch ein Ziel, das man gemeinsam erreichen kann: den Einzug in die Champions League. Ich weiß nicht genau, welche Strategie die UEFA mit diesem Bewerb verfolgt hat, aber sie hat sehr viel richtig gemacht. Schon allein die Hymne versetzt dich in eine andere Welt.

Mit Sturm haben Sie in der Champions League mithalten können. Was hat Ihnen das bedeutet?

Milanic: Es war ein Traum. Aber man merkt auch sofort, dass man als kleines Team nicht von heute auf morgen etwas erreichen kann. Die Mannschaft und die einzelnen Spieler müssen in so einem Bewerb Erfahrung sammeln, das hat man auch bei uns gesehen. Wir haben erst in der dritten Saison im Hauptbewerb mit dem Gruppensieg und dem Einzug in die Zwischenrunde so richtig Fuß fassen können.

Wie war es, auf einmal Youri Djorkaeff im Giuseppe-Meazza-Stadion beim Spiel gegen Inter decken zu müssen?

Milanic: Das war natürlich ein Wahnsinn und eine unglaubliche Erfahrung. Aber uns sind ja auch noch ganz andere Persönlichkeiten gegenübergestanden. Ob der richtige Ronaldo aus Brasilien oder Spieler wie Raul, Predrag Mijatovic, Roberto Carlos und Clarence Seedorf bei Real.

Gibt es Situationen, über die man sich besonders freut? Etwa von einem Ronaldo nicht überspielt zu werden.

Milanic: Nein, man ist fokussiert auf das Resultat, darauf, ein gutes Spiel zu machen. Dann spielt man nicht mehr gegen Ronaldo, sondern gegen eine überlegene Mannschaft. Man will einfach eine Überraschung liefern. Als Trainer sage ich jetzt aber immer, dass es eigentlich schöner wäre, gegen eine schlechtere Mannschaft zu spielen. Im Endeffekt willst du ja weiterkommen.

Sturm ist damals sehr offensiv aufgetreten und sogar zweimal gegen Real Madrid in Führung gegangen, ehe die Mannschaft deklassiert wurde. Würde der Trainer Milanic heute sagen, dass die damalige Spielweise ein Fehler war?

Milanic: Mit solchen Gedanken muss ich mich oft beschäftigen. Als wir heuer in der Europa-League-Gruppenphase gegen Lazio unser letztes Heimspiel hatten, gab es keine Chance mehr auf den Aufstieg. Ich habe mich gefragt, ob ich riskieren soll, mit der besten Offensive aufzutreten, damit die Zuschauer Spaß haben. Ich habe es getan, und wir haben vier Tore bekommen – so ähnlich wird auch Osim gedacht haben. Wir haben mit Sturm damals so gespielt, wie wir es aus der Meisterschaft gewohnt waren. Außerdem wollte Osim denjenigen, die mit ihren Leistungen in der Liga die Teilnahme an dem Bewerb ermöglich hatten, die Chance geben, sich mit großen internationalen Spielern zu messen. Für die Zuschauer sind solche Auftritte schöner als ein ermauerter Punkt, den man ohnehin auch nur sehr schwer erreicht.

Wie offensiv haben Sie denn spielen lassen, als Maribor noch Aufstiegschancen hatte?

Milanic: Wir waren vor allem am Anfang in Form und haben daher auch offensiv spielen können. Zum Auftakt zu Hause haben wir Panathinaikos 3:0 besiegt, beim 0:1 in Rom hätten wir genauso gut gewinnen können, und das 1:1 gegen Tottenham zu Hause war ein wunderbares Resultat. Aber dann hat Gareth Bale auswärts mitgespielt und gezeigt, dass er ein bisschen zu schnell für uns ist. (lacht) Leider waren wir dann auswärts in Athen schon etwas müde. Aber das ist zu dieser Zeit im November normal, unser Plan ist ohnehin auf etwas anderes ausgerichtet.

Wie sieht dieser Plan aus?

Milanic: Wir wollen im August in Hochform sein, weil da unsere Europacup-Saison beginnt. Wir müssen die erste Runde überstehen, um danach automatisch die im Budget kalkulierten internationalen Begegnungen zu spielen. Das ist unser Ziel, alles andere ist eine Draufgabe. Nachdem wir die Europa-League-Gruppenphase jetzt zweimal erreicht haben, ist der Appetit auf mehr natürlich sehr groß geworden. Irgendwo ist sie, die Champions League, und auch der selbst auferlegte Druck, sie zu erreichen.

Was bleibt von internationalen Erfolgen?

Milanic: Sie sind finanziell wichtig, weil sie neben den Spielerverkäufen unsere wichtigste Einnahmequelle sind. Wir bekommen nicht viele Sponsorengelder, schon gar nicht deshalb, weil wir im Europacup ein paar schöne Spiele gezeigt haben. Der Verein selbst hat von den europäischen Erfolgen natürlich trotzdem profitiert. Für slowenische Verhältnisse sind wir organisatorisch gut aufgestellt. Wir haben viele Leute, die täglich für und mit uns im Verein arbeiten.

Was fehlt Maribor sportlich noch zur Teilnahme an der Champions League?

Milanic: Es ist nicht mehr viel, ich würde sogar sagen, dass wir reif dafür sind. Ich will aber eigentlich fast nicht mehr über eine Qualifikation reden, weil die Last auf der Schulter ohnehin jetzt schon so erdrückend ist. (lacht)

Ein bisschen muss ich Sie noch quälen, immerhin zeigt die Kurve in internationalen Bewerben stetig nach oben. Maribor wird immer konkurrenzfähiger.

Milanic: Ja, wir haben heuer in der Europa League lange um den Aufstieg mitgespielt. Das ist wirklich schon sehr gut. Ich habe das Glück, dass in den letzten drei Jahren nicht viele Topspieler den Verein verlassen haben. Gleichzeitig haben wir talentierte Spieler geholt, die sich gut ins Team integriert haben. Die Mannschaft ist jetzt lange zusammen und hat bei 24 internationalen Spielen in den letzten beiden Jahren viel Erfahrung sammeln können. Es ist ein bisschen ähnlich wie bei Sturm damals.

Als Sturm in der Champions League war, konnte sich auch Maribor einmal qualifizieren. Was war damals anders als heute?

Milanic: Damals hat hier eine vollkommen andere Strategie geherrscht. Es war kein gewachsenes Team, sondern eine zusammengekaufte Mannschaft mit vielen routinierten slowenischen Nationalspielern, die schon im Ausland gespielt hatten. Sie hatten viel Erfahrung und viel Qualität. Das ist bis heute so etwas wie der größte Erfolg der Vereinsgeschichte – und das muss meine Generation noch erreichen.

Dieses Jahr war Maribor wieder knapp dran. Nach Erfolgen gegen Zeljeznicar Sarajevo und den Red-Bull-Salzburg-Bezwinger Düdelingen sind Sie mit zwei knappen Niederlagen an Dinamo Zagreb gescheitert. Was hat gefehlt?

Milanic: Wir haben in Zagreb beim Stand von 1:1 gute Chancen auf den Sieg gehabt – aber das ist nur die Sicht von Leuten, die mit uns sympathisieren. Wenn man genau hingeschaut hat, war klar zu erkennen, dass wir weit weg waren. Zu Hause haben wir bis 25 Meter vor ihrem Tor gut gespielt, aber ab dort haben wir kein Mittel gegen ihre Verteidigung gefunden. Wir haben alles gegeben, aber es hat nicht gereicht. Leider spielen wir in einer Liga, die nicht schlecht ist, in der wir aber nicht jedes Mal zu hundert Prozent gefordert werden.

Genau dieses Problem hat wohl auch Dinamo Zagreb, das von Meistertitel zu Meistertitel eilt. Trotzdem hat der Verein in den vergangenen beiden Jahren in der Champions League nur einen Punkt geholt. Ist es da für Maribor überhaupt sinnvoll, Champions League zu spielen?

Milanic: Diese Frage stelle ich mir selbst auch. Aber heuer haben wir bis November unsere Form halten können und waren gegen Teams wie Tottenham und Lazio zum Teil auf Augenhöhe. Ich habe keine Angst vor der Champions League, ich weiß, dass wir dort auch Punkte holen könnten. Wo ist der Unterschied zwischen Tottenham und Arsenal? Er ist da, aber er ist nicht so groß, dass man nicht bestehen kann.

Während Maribor in der Europa League vor 12.000 Zuschauern spielte, kommen in der Liga oft nur 2.000. Warum?

Milanic: Das hängt sicher mit der Wirtschaftskrise zusammen, obwohl Eintrittskarten bei uns nicht viel kosten. Entscheidend ist aber etwas anderes: In Slowenien hat ein Topspiel der Premier League schlechtere Einschaltquoten als eine Partie unserer Liga. Die Slowenen verfolgen also gerne die heimische Liga – allerdings zu Hause. Die Leute wissen alles über Fußball, interessieren sich dafür, aber sie kommen nicht ins Stadion. Das Problem gibt es in Kroatien und Serbien genauso.

Die Champions League erzielt wahnsinnig hohe Einschaltquoten – oft auch bei Leuten, die sich üblicherweise weniger für Fußball interessieren. Ist das in Slowenien auch so?

Milanic: Natürlich, alle schauen zu. Noch brutaler finde ich, dass es mittlerweile modern geworden ist, mit der ganzen Familie beim FC Barcelona ins Museum und in den Fanshop zu gehen, wo sich dann sogar die Mutter, die nie Fußball schaut, ein Trikot kauft. Aber hier zu Hause, wo man hundert Meter zu seinem Verein hätte, kommen die Leute nicht ins Stadion, geschweige denn in einen Fanshop. Das ist wohl die Globalisierung des Fußballs oder so etwas – und sehr schade. Wir spielen guten Fußball und versuchen, den Fans etwas zu bieten. Wenn jedes Mal 10.000 Leute da wären, wäre die Arbeit noch schöner.

Wenn Maribor nächstes Jahr die Champions League erreicht, können die Leute mit ihren Barcelona-Trikots Lionel Messi vielleicht im eigenen Stadion sehen. Dann sind die Spiele sicher wieder ausverkauft.

Milanic: Ja, es wird auch jetzt schon nur noch über den nächsten Europacup gesprochen. Für die Mannschaft und mich ist das sehr schwierig. Meine Spieler sind nicht mehr dieselben wie vor drei Jahren, als sie alle noch keinen Titel gewonnen hatten. Wir haben jetzt alles erreicht, haben bessere Verträge, sind schöner und haben auch andere Dinge im Kopf. Das ist menschlich und normal, aber für mich ist das Wichtigste, dass wir von Spiel zu Spiel denken. Die Champions League ist zu weit weg, davor habe ich täglich noch viele andere Probleme zu lösen. (Peter K. Wagner, derStandard.at, 12.4.2013)