Zwischen Genie und Wahnsinn, liegen nur drei Buchstaben. Sie lauten: CAG. Das jedenfalls berichtet Elena Cattaneo. Die Genetikerin aus Mailand erzählt während des diesjährigen Cologne Spring Meeting der Universität Köln eine Geschichte über die Evolution. Ihre Protagonisten sind die Bausteine des Erbmoleküls DNA. Sie sorgen dafür, dass die Aminosäure Glutamin entsteht. Glutamin wiederum spielt bei der Erbkrankheit Chorea Huntington eine zentrale Rolle.

Menschen, die an Chorea Huntington leiden, haben zu viel Glutamin. Dem Verursacher der Krankheit, einem harmlosen Eiweiß - das eben wegen der Krankheit auf den Namen Huntingtin getauft wurde - hängt ein riskanter Rattenschwanz dieser Aminosäure an. Er sorgt dafür, dass Nervenzellen zugrunde gehen, das Hirn substanziell an Masse verliert, für die Zuckungen, die Demenz und schließlich den Tod. Je mehr CAG dem Protein anhängt, umso früher bricht die Krankheit aus. Das ist seit Jahren bekannt.

Ab der 40. Kopie

Und Elena Cattaneo sagt in ihren Ausführungen in Köln auch, dass CAG klug macht. Je mehr davon dem Huntingtin-Protein anhängt, umso besser. Jedenfalls entwicklungsgeschichtlich gesehen. Seit Jahrzehnten fahnden Forscher nach der Funktion des Huntingtins - bislang ohne Erfolg. Um dennoch mehr über das berüchtigte Protein herauszufinden, unternahm Cattaneo einen ungewöhnlichen Schritt: Sie versuchte, zu eruieren, wann es entstand und welchen evolutionären Weg es eingeschlagen hat.

"Tatsächlich ist das Eiweiß Huntingtin um die 800 Millionen Jahre alt", erzählt die italienische Forscherin. Seinen Ursprung nimmt es in einer spröden Amöbe, also einem einzelligen Organismus.

"Zu dem Zeitpunkt aber weist es noch kein zusätzliches Glutamin auf, das Gen trägt an den bei der Huntington-Krankheit veränderten Orten kein CAG", erklärt Cattaneo. Das beginnt erst mit der Entwicklung der höheren Organismen, wie sie herausfand. Der Seeigel etwa mit seinem sehr einfachen Nervensystem verfügt bereits über zwei CAG-Kopien, Nager über sechs und das Schwein schließlich über 18 CAG-Anhänge im Gen, also eine Folge von 18 Glutamin-Aminosäuren im Eiweiß. Bei gesunden Menschen schließlich steigt die Zahl auf 30 bis 35. Was darüber hinausgeht, wird jedoch gefährlich: Ab der 40. Kopie ist es so gut wie sicher, dass die Huntington-Krankheit ausbrechen wird.

Cattaneo untersuchte deshalb in Zebrafischen und an Embryonen von Mäusen, was passiert, wenn man das Huntingtin-Gen ausschaltet. "Was wir sahen, war hochinteressant: Denn in diesem Moment konnten sich bestimmte Zellverbindungen, die für die Entwicklung des Gehirns notwendig sind, dann nicht mehr ausbilden", sagt sie, denn vor allem der riskante CAG-Schwanz sei dafür notwendig.

Natur des Intellekts

Tatsächlich bestätigt auch eine Reihe anderer Studien, dass mit der Zahl der Kopien im Men-schen auch die Masse der grauen Hirnsubstanz zunimmt. Inzwischen laufen in den USA sogar Untersuchungen, die zeigen sollen, dass Kinder, bei denen mit einem Gentest eine hohe Kopienzahl CAG nachgewiesen werden konnte, über eine höhere intellektuelle Leistungsfähigkeit verfügen.

"Diese Art von Untersuchungen sind allerdings mit großer Vorsicht zu bewerten", sagt Elena Cattaneo. Wenn dem aber so sei, dann liegt irgendwo zwischen 35 und 40 Kopien einer Aminosäure das Ende einer bis dahin erfolgreichen Evolution. (Edda Grabar, DER STANDARD, 15.4.2013)