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Olivia Wilde spielt in der TV-Serie Dr. House eine Internistin, die an der Erkrankung Chorea Huntington leidet.

Foto: Reuters/Mario Anzuoni

Nancy Wexler beschreibt Chorea Huntington so: "Der Erinnerungsverlust wie bei Alzheimer, Verlust kontrollierter Bewegungen wie bei multipler Sklerose und ein Verfall wie bei Krebs", sagt die Genetikerin von der Columbia University, die vor genau 20 Jahren jenen genetischen Defekt entdeckte, der zum fatalen Absterben der Nervenzellen führt. Getrieben war ihr Forschereifer von persönlichen Motiven: Ihre eigene Mutter fiel dem Nervensterben zum Opfer - damit trug auch sie selbst ein 50-prozentiges Risiko zu erkranken.

Chorea Huntington beginnt um das 40. Lebensjahr oftmals mit Depressionen, Aggressivität, manchmal auch mit Verfolgungswahn. Erst später kommen Bewegungs- und Sprachstörungen hinzu. Im Endstadium lallen und zucken die Betroffenen. Als Nancy Wexlers Mutter im Jahr 1968 eine Straße in Los Angeles überquerte, rief ein Polizist: "Wie kann man so früh am Morgen bereits so betrunken sein", erzählt sie.

"Dabei merkt der Erkrankte oftmals gar nichts von seinen Wesensveränderungen", sagt Raphael Bonelli, Neuropsychiater und Huntington-Experte der Sigmund-Freud-Universität in Wien, der Österreich im europäischen Huntington-Disease-Netzwerk vertritt. Typisch sei, dass Angehörige die Patienten zu ihm bringen, weil "irgendetwas nicht stimme". So erinnert er sich an den Mann, der mit einer Spielzeugpistole eine Bank überfiel. "Er war im Gefängnis, bevor der von Wexler entwickelte Gentest zeigte, dass er krank ist."

Der Gentest ist alles, was die Medizin bislang hat. Er zeigt, ob das Huntington-Gen verändert ist. Dieses wird überall im Gehirn abgelesen und produziert ein Eiweiß, das Klümpchen bildet oder frei in der Zelle herumschwirrt "Ob nun Plaques oder die veränderten Huntington-Moleküle so gefährlich sind, weiß man bis heute nicht", sagt Carsten Saft, Leiter des Huntington-Zentrums an der Ruhr-Universität Bochum. Bislang scheiterten alle Versuche, die Zerstörung aufzuhalten.

Huntington-Gen ausschalten

Doch es gibt Perspektiven. Bis Donnerstag diskutierten die Fachleute auf einer Konferenz in Venedig neue Ansätze für Therapien. "Die HD (Huntington Disease, Anm.) hat gegenüber anderen neurodegenerativen Krankheiten wie etwa dem nichtvererbbaren Alzheimer oder Parkinson einen entscheidenden Vorteil: Sie beruht auf nur einem einzigen Genfehler, und die Diagnose lässt sich eindeutig stellen", erklärt Saft. Das macht sie zur Kandidatin für eine Gentherapie. Dabei wird entweder das mutierte Gen selbst ausgeschaltet oder seine Umsetzung in das krankhafte Huntingtin-Eiweiß verhindert. Im letzten Jahr zeigten ein akademisches Team aus Barcelona und ein kalifornisches Biotech-Unternehmen mit dem Namen Sangamo, dass sie mithilfe sogenannter Zinkfingermoleküle die veränderten Abschnitte des Gens im Tierversuch blockieren.

Don Cleveland von der University of San Diego gelang es im letzten Jahr, die Übersetzung des Gens durch die Antisensestrategie zu verhindern. Dabei wird das Molekül, das die fehlerhafte Erbinformation aus dem Zellkern in die Zelle transportiert, abgefangen. "Ein Medikament könnte bereits in wenigen Jahren am Menschen getestet werden", sagt Frank Bennett, Koautor der Studie vom Biotech-Unternehmen Isis in San Diego. Inzwischen ist der Pharmariese Roche aufgesprungen. In einer strategischen Allianz bringt der Schweizer Konzern zunächst 30 Millionen Dollar ein. Doch das Verfahren ist noch unsicher: Niemand weiß, ob nicht auch andere Gene blockiert werden.

Die Firma Siena Biotech ist bereits einen Schritt weiter. Mit einem nichtgentherapeutischen Ansatz soll die Struktur des Huntingtin-Eiweiß derart verändert werden, dass die Zelle das gefährliche Protein abbauen kann. Die Substanz wird bereits am Menschen getestet, derzeit wird vor allem nach möglichen Nebenwirkungen gesucht. "Es passiert unglaublich viel an der Forschungsfront", sagt Saft. Für Skepsis plädiert Bonelli. "Ich habe schon viele vielversprechende Ansätze scheitern sehen." (Edda Grabar, DER STANDARD, 15.4.2013)