Seine Bauten faszinieren und irritieren zugleich: Gebäude mit dicken Mauern aus rotem Sandstein, kubisch oder zylinderförmig, durch tiefe Kerben aufgeschlitzt mit horizontalen Streifen an der Fassade und schräg abgeschnittenen Dächern. Mit seinem Entwurf des Museum of Modern Art in San Francisco, vor allem aber der Kathedrale von Evry an der Pariser Peripherie wurde Botta 1995 international berühmt.
Daneben hat Mario Botta immer wieder als Designer gearbeitet: eine Armbanduhr für Pierre Junod, eine Flasche für den Mineralwasserhersteller Valser, Blumenvasen für Alessi, Karaffen für Cleto Munari, Lampen Stühle und Tische gehören zu seinen Arbeiten. 1995 erhielt Botta den Merit Award for Excellence in Design. Seitdem ist der "Schweizer des Jahres 2003" im Bereich Kultur begehrter Gestalter von Alltagsgegenständen. "Ein Designobjekt zu entwickeln dauert allenfalls ein paar Monate", sagt Botta, "während Bauten Jahre benötigen." Ob das der Grund für sein Interesse am Design erklärt? "Vielleicht ist es die Ungeduld, meine Werke verwirklicht zu sehen. Vor allem sind meine Objekte eher kleinere Architekturen denn wahre Designgegenstände."
Gelassen und gestenreich redet Botta, einer, dessen Muttersprache Italienisch ist; einer, der mit Hingabe auf jede Frage antwortet, stets freundlich, in weißem Hemd, gelbem Pulli. Ob seine Designentwürfe eher ein Nebenprodukt der architektonischen Bauten sind? "Ja", sagt Botta, "es sind Übungen. Die Kraft der Form leitet sich aus dem architektonischen Entwurf ab."
Tradition des Bauhauses
Als Vorbilder gelten ihm das nordische Design, vor allem aber der finnische Designer und Architekt Alvar Aalto. Nicht zuletzt sieht sich Botta der Tradition des Bauhauses verbunden.
Botta spricht über Architektur und Design wie ein Prophet, der in seinen Entwürfen das Göttliche sucht. Kosmos, Unendlichkeit, Mysterium, Spiritualität - all das sind Begriffe, die Botta in Stein und Design zu übertragen versucht. Unabhängig davon, ob es sich um Verwaltungsgebäude handelt wie die Banca del Gottardo in Lugano, um Kulturzentren oder Museen wie das Tinguely-Museum in Basel, das Watari-Um für zeitgenössische Kunst in Tokio, die Zentralbibliothek in Dortmund oder den Umbau der Mailänder Scala. Und er hat sich nie gescheut, Scheunen, Handwerksbetriebe, Weinkellereien oder Dachkonstruktionen von Bushaltestellen zu entwerfen. Doch mittlerweile ist es ruhig geworden um den Baumeister mit der runden Brille.
Nach spektakulären Aufträgen wie dem Tschuggen Spa in Arosa, dem kleinen Bechtler Museum im US-amerikanischen Charlotte und dem größten Kasino Europas in der italienischen Enklave Campione d'Italia am Luganer See hat sich Botta zurückgezogen. Heute lebt und arbeitet er in Mendrisio, 20 Kilometer von Lugano entfernt.
Der Bleistift in der Hand
Souverän und frei von Arroganz spricht Botta über seine Visionen von Design und moderner Architektur. Dabei zeichnet er unablässig, legt Blatt für Blatt im Verlauf des Gesprächs beiseite. Kreise, Quadrate, Zylinder und Würfel - Gebäude und Gegenstände entstehen ganz nebenbei. Der Stift scheint ihm die Hand zu führen und die Gedanken erst hervorzubringen. Botta genießt es offensichtlich, mit Stift und Zeichenblock zu arbeiten: "Mir hilft der Bleistift in der Hand, so wie einem Raucher die Zigarette. Der Bleistift unterstützt mich, einen Gedanken zu gestalten. Als kleiner Junge hatte ich bereits eine Vorliebe für Bilder, für das Visuelle." Auch seine Designentwürfe entstehen noch immer mit dem Bleistift: "Die Skizze enthält immer eine Hoffnung, die ich in den computergenerierten Zeichnungen nicht sehen kann!"
Sein erstes Haus hatte der gelernte Bauzeichner als 16-Jähriger 1959 entworfen. Kurze Zeit später wurde nach seinem Entwurf ein Pfarrhaus in der Schweiz umgebaut. 1970 eröffnete er sein eigenes Studio in Lugano, 1996 gründete er die erste Akademie für Architektur in der italienischsprechenden Schweiz. Picasso und Klee waren damals seine Vorbilder. Während seines Studiums in Venedig Mitte der 1960er-Jahre kam Botta mit berühmten Modernisten seiner Zeit in Berührung: An Le Corbusier habe ihn die Fähigkeit fasziniert, jede Art von Bedürfnissen und Denkweisen in eine Architektursprache übersetzen zu können; von Carlo Scarpa lernte er die Sorgfalt der Materialbehandlung; vom US-Amerikaner Louis Kahn den Umgang mit Licht und die Dramaturgie des Grundrisses: "Le Corbusier ist für einen Architekten, was Einstein für einen Physiker ist: Man kann ihn hassen oder lieben, aber in seiner Person kommen alle wesentlichen Strömungen der Architektur zum Ausdruck."
Möbel und Alltagsgegenstände
Seit 1982 ist Mario Botta auch als Designer tätig und hat bis heute vor allem Möbel und Alltagsgegenstände entworfen. Für die italienische Möbelfirma Alias entstehen die Stühle "Prima" und "Seconda", der Tisch "Terzo", der 23 Kilogramm schwere Sessel "Quarto" und das Sofa "Sesto: Re e Regina". Die klaren, reduzierten geometrischen Formen sowie die Verwendung von Stahlrohr, vor allem bei den Stuhlentwürfen, bezeugen die Nähe von Bottas Design zur Bauhaus-Tradition. Für die Firma Artemide entwirft er mehrere Leuchten, darunter die "Shogun", die es als Tisch- und Stehleuchtenversion gibt. 2000 gestaltet Botta für Alessi die Karaffen "Tua" und "Mia" sowie 2002 die Vase "Tronco". 1984 widmete das Museum of Modern Art in New York dem Schweizer Architekten eine Werkschau - eine Ehre, die zu Lebzeiten bis dahin nur Le Corbusier zuteil wurde. Botta, Ehrenmitglied des Bundes deutscher Architekten und des Royal Institute of British Architects in London, hat mehrere angesehene Preise gewonnen. Unter anderem den Architekturpreis Beton oder den Europäischen Kulturpreis. Doch Botta wiegelt bei der Aufzählung ab.
Fünf Tage vor Ende seines Pontifikats hatte Papst Benedikt XVI. den Schweizer Architekten in die Päpstliche Akademie der schönen Künste und der Literatur berufen. Es handelt sich um die älteste der Päpstlichen Akademien der Kurie. Ziel und Zweck der Akademie ist die Förderung der Studien und die Förderung der Geistes- und der bildenden Künste, insbesondere der sakralen Kunst in allen ihren Erscheinungsformen. Einige der schönsten modernen Kirchenbauten stammen aus Bottas Büro.
Auf die Frage, ob seine Kirchen zu Museen avancieren, zu vielbesuchten Wallfahrtsorten für Architekturliebhaber und Botta-Touristen, antwortet der Architekt eher gelassen: "Ich weiß nicht, was die Leute aufnehmen, was sie von der Architektur erfassen. Das gehört auch nicht zu meiner Aufgabe. Meine Aufgabe ist es, eine Botschaft zu vermitteln. Und wenn sie auch nur einer Person bewusst wird, so genügt mir das. Es bleibt ein Geheimnis der Poesie!" (Michael Marek, Rondo, DER STANDARD, 19.4.2013)