Das Problem sei, so der Erzähler in Peter Truschners neuem Roman "Das fünfunddreißigste Jahr" (Zsolnay-Verlag, € 19,50), "dass man ab einem bestimmten Punkt das Gefühl hat, dass nichts Großartiges mehr nachkommt". Dass man zudem fürchtet, seine Chance nicht genutzt zu haben, sich – weiters – "am Anfang jeder Beziehung fragt, wie lange sie dauern wird", und einen zudem das Gefühl beschleicht, dass der Job einen zwar ernähren, aber nicht erfüllen wird. Ein grauer Schleier legt sich somit über das Leben, "der schlimmer ist, als es die Entdeckung der ersten grauen Haare sein könnte".
Bücher über die Probleme, Orientierungslosigkeit, Desillusionierung und die Mutlosigkeit der um die 40-Jährigen gibt es nicht wenige. Dass der 1967 in Klagenfurt geborene Truschner, der seit 1999 in Berlin lebt, nun diesem Genre einfach einen weiteren Band hinzufügen würde, war nach seinen beiden bisher vorliegenden Büchern "Schlangenkind" (2001) und "Die Träumer" (2007) hingegen kaum zu erwarten. Dafür sind seine bisher vorliegenden Texte, Essays (u. a. für diese Zeitung), Theaterarbeiten und neuerdings auch Fotografien zu vielschichtig. Und zu radikal in ihrem Anspruch.
Das Lauwarme ist Truschners Sache auch in seinem neuem Roman nicht. Sein Ich-Erzähler taumelt in "Das fünfunddreißigste Jahr" durch einen Alltag, dessen Untergrund leitmotivisch eine unbewältigte (Familien-)Vergangenheit und eine gefühlte Alternativenlosigkeit durchzieht. Die Müdigkeit ist grenzenlos, die Unentschlossenheit permanent, der Mangel an Perspektiven erdrückend.
Daran, dass es sich bei diesem namenlosen Einzelnen um einen Jedermann unserer Zeit handelt, der in seinem Spiegelbild ein "Fahndungsfoto der Zeit" zu erkennen glaubt, lässt Truschner keinen Zweifel. Und zwar nicht nur in den essayistischen Passagen des Romans, der aus acht Kapiteln besteht, die episodenhaft in die Geschichte des Erzählers blenden. In einem der Sätze aus Montaignes Essais, die den Kapiteln als Mottos vorangestellt sind, heißt es: "Doch je mehr ich mit mir umgehe und mich kennenlerne, desto mehr verwundert mich meine Ungestalt." Für den Anfang keine schlechte Erkenntnis.
STANDARD: Sie waren gerade wieder zwei Monate in Asien. Was reizt Sie an Megacities wie Bangkok oder Phnom Penh?
Truschner: Dort erlebt man den radikalen Wettbewerb und den Kampf um die Ressourcen hautnah. Es ist unglaublich, mit welchen Lebensumständen die einfachen Menschen zu kämpfen haben, wie hart sie schuften müssen. Das mitzuerleben, lässt viele vermeintliche Probleme, die man selbst hat, einfach wegschmelzen. Eine Läuterung, wenn man so will. Man empfindet eine größere Dankbarkeit für das Leben, das man führt. Gleichzeitig sind diese Städte eine Entfesselung sinnlicher Eindrücke, Hitze, Gedränge, unfassbarer Lärm und Gestank, die scharfen Gewürze der Garküchen, die in der Luft liegen. Als ich im hektischsten Geschäftsviertel meine Fotoserie "Bangkok Struggle" vollendet hatte, fühlte ich mich am Ende absolut tot und unglaublich lebendig zugleich.
STANDARD: Um auf ihr neues Buch zu kommen: Ihr Protagonist wirkt nach außen hin eher passiv, geht wenig aus sich heraus.
Truschner: Er ist gewissermaßen ein Kind seiner Zeit und will keine Angriffsfläche bieten - nicht, dass es dann gleich einen Shitstorm gibt. (Lacht.) Der Philosoph Byung-Chul Han spricht davon, dass die heutige Form der Selbstoptimierung im Zeichen des globalen Wettbewerbs sowie die soziale Kontrolle dieser Selbstoptimierung es mit sich bringen, dass stärkere Gefühle wie Wut oder Geilheit tabuisiert werden. Aus dem einfachen Grund, weil sie jemanden außerhalb seiner Souveränität zeigen. Es ist in dieser Gesellschaft sehr wichtig, erfolgsorientiert und souverän zu wirken, dabei aber berechenbar zu sein und so wenig Ecken und Kanten wie möglich zu haben. Gesellschaftliche Konzepte von Flexibilität und Mobilität können keine Konflikte gebrauchen, höchstens solche, die medial moderiert werden. Eine Erregung, ein Außersichsein, das noch dazu politisch nicht korrekt erscheint, stellt einen Tabubruch dar, ob in der Firma, in der U-Bahn oder auf Facebook. Ich kann mich noch erinnern, wie heftig wir früher über Literatur und Politik gestritten haben. Heute ist das alles runtergedimmt, weil man fürchtet, sich bloßzustellen und als Reaktion darauf sogar gemobbt zu werden. Eine perfide Form der Abreaktion bildet im Internet der Nickname, mit dem man folgenlos und unerkannt Häme über andere ausgießen kann. Die Kehrseite der ständigen Mobilmachung des Egos bildet die existenzielle Erschöpfung, das lange uneingestandene nicht mehr können oder wollen. Burnout und Depression.
STANDARD: Dagegen gibt es dann Tabletten.
Truschner: Haben Sie den Artikel über die zunehmende Tablettensucht an deutschen Universitäten gelesen, in dem geschildert wird, was - angefangen von Amphetaminen bis zu Schlaftabletten - Studenten alles einwerfen, um sich in ihrer Leistung zu optimieren? Es handelt sich dabei fast um einen Drogenbericht. In angloamerikanischen Universitäten ist es nicht besser. Ich habe eine Bekannte, die eine Studie über die zunehmende Prostitution unter englischen Studentinnen macht, die sich die Lebenserhaltungs- und Studienkosten nicht mehr leisten können. Wer vom Gleichen lebt, kommt durch das Gleiche um, sagt Baudrillard. In der Depression erkrankt man nicht an nur an einer ständigen Überforderung, man erkrankt auch an einem Übermaß, es anderen gleich zu tun und sie im Tun dieses Gleichen zu übertrumpfen. Es gibt in diesem Sinn auch eine Gewalt des Konsenses, der ursprünglich dafür gedacht war, dieser Gewalt vorzubeugen.
STANDARD: In Österreich werden laut einer Studie an 800.000 Österreicher Psychopharmaka verschrieben.
Truschner: Jedem wird suggeriert, wenn du den Willen hast und funktionierst, dann schaffst du es. Das heißt, es wird Druck auf jeden einzelnen ausgelagert. Dieser nimmt ihn an, ist optimistisch, zielbewusst, beutet sich selbst aus. Wenn es nicht funktioniert, bedeutet das, man ist selbst schuld, denn man hatte ja sämtliche Möglichkeiten. Armutsberichte, die dokumentieren, dass Leute, die von unten kommen, und seien sie noch so intelligent und ambitioniert, sich kaum mehr den Weg nach oben erarbeiten können, widersprechen dem natürlich.
STANDARD: In Ingeborg Bachmanns Erzählung "Das dreißigste Jahr", auf die Ihr Buch nicht nur in seinem Titel Bezug nimmt, schwingt mit, dass es schön wäre irgendwo anzukommen. Die Protagonisten in Ihrem Buch scheinen kein Ziel mehr zu haben.
Truschner: Bei Menschen in urbanem Umfeld, die wie der Protagonist 10, 15 Jahre jünger sind als ich, sehe ich grob gesprochen zwei Varianten. Die einen wurden schon von zu Hause angehalten, sich früh zu entscheiden und beispielsweise Biologie zu studieren. Die anderen bleiben lange unbestimmt, weil sie suggeriert bekamen, "du kannst alles machen". Es gibt für sie in Beruf und Privatleben zu viele Optionen. Ich kenne Leute, die Beziehungen eingehen und sich dann trotzdem weiter in Singlebörsen umschauen, ob es nicht eine noch perfektere Deckungsgleichheit gibt zwischen den Zielvorgaben und dem, was man gerade hat. Ein Spiegelbild dieser Orientierungslosigkeit ist das Bachelor - Studium. Ein Studium, in dem man alles Mögliche lernt, nur keine Zusammenhänge. Mal dieses, mal jenes, Hauptsache, Prüfungsfach abgehakt. Ich denke, dass genau das beabsichtigt ist. Man soll gar kein festes Fundament haben, man soll ewig unfertig bleiben und immer das Gefühl haben, es läge an einem, man wisse oder könne eben nicht genug.
STANDARD: Kommen wir zu einem anderen Strang des Romans. Nämlich der Familie als System, dessen Themen über die Generationen weitergegeben werden.
Truschner: In den 60er- und 70er-Jahren ging es um die Befreiung von patriarchalen Strukturen und Mustern, die gesellschaftlich überkommen waren und für eine restaurative Atmosphäre gesorgt hatten. Das war eine Emanzipationsbewegung, das Individuum wollte sich von sozialen Zwängen befreien. Als junger Mann habe ich familiäre Konflikte mit Bekannten oder Kommilitonen diskutiert. Heutige Studenten tun sich schwer, etwas Negatives über zu Hause zu sagen. Natürlich haben sie auch Streit mit den Eltern, aber prinzipiell ist es für sie schwer zu kommunizieren, dass das, was sie von zu Hause mitbekommen haben, vielleicht nicht das Beste war. Um auf Foucaults Überwachen und Strafen Bezug zu nehmen: Das alte Gefängnis war das dunkle Verlies, die Unbekanntheit und Namenlosigkeit. Heute ist die totale soziale Sichtbarkeit und Korrektheit, die so viele zu vermitteln versuchen, ein ebensolches Gefängnis.
STANDARD: Trotz all der Singlebörsen und virtuellen Kontakte, und das ist ein weiterer Strang ihres Romans, wird man den Eindruck nicht los, dass sich Mann und Frau fremder denn je sind?
Truschner: Ich würde mal die These wagen, dass die Fremdheit zwischen den Geschlechtern eine sozial konstruierte ist. Ich glaube, dass es in dieser medialen Hysterie um diese Fremdheit einen Punkt gibt, der die gegenwärtigen Herrschaftsverhältnisse stützt. Es scheint wahrscheinlicher, dass die UNESCO das weibliche Gefühlsleben zum Weltnaturerbe erklärt, als dass jemand in Angriff nimmt, was wirklich nottut. Zum Beispiel Gesetze zu erlassen und Instrumentarien einzurichten, die sicherstellen, dass Frauen den gleichen Lohn bei gleicher Arbeit bekommen wie Männer. Aber das wäre Realpolitik, noch dazu arbeitgeberfeindliche, die wird natürlich nicht betrieben, also gibt es symbolische Politik. Und symbolische Politik heißt immer affektive und emotionale Politik, mit der man die Menschen füttert. Unterstützt von Springer, Bertelsmann und dem öffentlich-rechtlichen Staatsfunk. Mann und Frau stehen nicht mehr gemeinsam auf der Straße und protestieren miteinander gegen das, was sie kaputt macht, sondern befetzen sich gegenseitig. In Wahrheit haben wir als Menschen, die den Alltag zu bestehen haben, doch viel mehr gemeinsam als uns trennen würde. Und das muss uns doch, bei allen hormonellen Divergenzen, eine Solidarität und eine Freundschaft über die Geschlechter hinweg bescheren.
STANDARD: Lassen wir uns durch den allgemeinen Konsum korrumpieren?
Truschner: Ich habe, wenn ich Leuten beim Shoppen zuschaue, das Gefühl, es handelt sich bei dieser Tätigkeit um keine rationale Handlung. Von Einkaufen im eigentlichen Sinn kann man eigentlich nur mehr sprechen, wenn es um Essen oder Geschirrspülmittel geht. Shoppen ist etwas anderes. Im Kauf geht der Käufer eine halluzinatorische Verbindung mit der Ware ein, er belohnt sich gleichsam für das, das er vermeintlich geleistet hat. Es handelt sich allerdings um eine einsame Belohnung, einem beinah masturbatorischen Akt. Diese Art von Freizeitgestaltung fügt sich komplett in die Verhältnisse ein, die ich vorhin beschrieben habe. Die Belohnung, die es im Arbeitsleben nicht gibt, wo man Angst hat, dass man wegrationalisiert wird oder Einbussen hinnehmen muss. Nach der Arbeit treibt es die Menschen dann in die Shopping Mall. Shoppen gleicht übrigens dem ziellosen Surfen im Internet. Denken sie einmal darüber nach, wie über Internetseiten gesurft wird und dann schauen sie, wie die Leute in einen Abverkaufsladen hineinstürmen, nach links und rechts schauen und schließlich Dinge kaufen, die sie vorher nicht gebraucht haben. Sie brauchen sie in Wirklichkeit affektiv, sie brauchen den emotionalen Gegenwert der Handlung, nicht den Realwert der Ware. Deswegen hält die Befriedigung über den Kauf der Ware nicht lang an, weil sie nicht das Ziel ist.
STANDARD: Apropos Surfen. Wie stehen Sie zum Internet?
Truschner: Ohne Notebook, spezielle Software und die Möglichkeiten des Internet gäbe es mich als Künstler gar nicht mehr. Was haben mir Ebay, der MP3-Converter und Photoshop schon an Geld und Zeit gespart! Geld, das ich schlicht nicht gehabt hätte. Für eine spontane Installation oder eine Performance braucht es einen Performer, ein Notebook, einen Beamer und ein Pult. Dann kann es losgehen. Hinter gibt's Electro und Bier für 1 Euro.
STANDARD: Man sagt, das Internet werde die herkömmliche Buch- und Zeitungskultur verschwinden lassen?
Truschner: Ziemlich sicher sogar. So ist das eben, wenn neue Kulturtechniken alte ablösen. Ich habe immer schon gesagt, dass man auf die neue Generation zugehen, von ihr lernen und ihre neuen Praktiken produktiv einbeziehen sollte, anstatt sie auszuschließen und das Internet zu verteufeln. Gedruckte Bücher und Special Interest Magazine werden - wenn auch eingeschränkt -, bleiben, für die Tageszeitungen sehe ich schwarz.
Ich selbst bin vor allem an den Möglichkeiten, die die neue Cloud-Technologie bietet, sehr interessiert, und arbeite mit meinem Web-Mitarbeiter daran, wie ich sie für kommende Projekte nutzen kann.
STANDARD: Sie sind nicht bei Facebook.
Truschner: Mark Zuckerberg ist ein Typ, dem ich früher auf einer Party eine leere Bierdose hinterher geschmissen hätte. Ich denke nicht daran, zum Erfolg seines Unternehmens beizutragen.
STANDARD: Was bedeutet es, heute Schriftsteller zu sein?
Truschner: Der Schriftstellerberuf ist etwas geworden, was er nie war: ein bürgerlicher Beruf. Man liebäugelt, indem man einen dementsprechenden Lehrgang an einer Hochschule besucht, dort mit Kritikern und Lektorinnen vernetzt wird, mit einer klassischen Mittelschichtslaufbahn. Eine solche Laufbahn erfordert sowohl von Seiten der Autor/inn/en als auch von Seiten der Verlage, dass die größte Sorge der Verkäuflichkeit des Textes gilt. Dass er ja nicht zu experimentell, zu kontrovers, zu obszön, zu fragmentarisch, man könnte auch sagen: zu innovativ gerät. Dass er geschmeidig und angepasst genug ist, um bei aller Kunstfertigkeit noch im Mainstream verortet und verkauft werden zu können.
STANDARD: Das hört sich an, als hätten Sie was dagegen, dass ihre Bücher sich verkaufen?
Truschner: Überhaupt nicht, im Gegenteil. Aber ich belaste meine Arbeit, besser gesagt: die Kunst im Allgemeinen nicht damit, dass sie mir einen gewissen Wohlstand ermöglichen soll. Ich halte es da wie Werner Herzog: Jeder Cent wird in ein neues Projekt investiert. Als ich mich spät für das Schreiben entschieden habe, war es auch ein Abschied von einer zuvor anvisierten, bürgerlichen Karriere mit all ihren Sicherheiten und Annehmlichkeiten. Ich wusste, dass es prekär werden und vielleicht lange so bleiben würde. Das hat mir geholfen, Ruhe zu bewahren und letztlich unabhängiger zu werden in meinen künstlerischen Entscheidungen als andere. Man muss dabei nur aufpassen, dass man sich nicht völlig verschließt, wie Virginia Woolf, die mal schrieb, irgendwann sei ihr nicht nur die Kritik gleichgültig geworden, sondern auch der Applaus.
STANDARD: Wie sehen die Anmutungen aus, denen man widerstehen muss? Abgesehen vom sicheren Gehalt?
Truschner: Als ich an meinem Buch "Die Träumer" geschrieben habe, hat mich ein Lektor gewarnt: „Sie sind sich schon darüber im Klaren, dass das kein Buch werden wird, das eine Frau gerne im Urlaub mit an den Strand nimmt?" Eine junge deutsche Schriftstellerin, die eine Zeitlang gehypt war, wollte sich weiterentwickeln und bekam von ihrer Lektorin den Rat: "Nicht denken - erzählen!" Wer sich beide Sätze auf der Zunge zergehen lässt, weiß, warum die Zeit von Bernhard, Handke und Jelinek vorüber und die heutige Literatur großteils so ist, wie sie ist.
STANDARD: Das liegt aber auch an den Lesern.
Truschner: Natürlich. Die Zeit des Romans als kritische Instanz und Spiegel der Gesellschaft ist vorbei. Wer heute etwas von der Welt wissen will, greift nur noch selten zum Roman. Da geht es meist nur noch um "Chill und Thrill". Ein wichtiger Punkt bei den digitalen Medien ist dabei auch die Fragmentarisierung der Aufmerksamkeit, der sie Vorschub leisten. Der unserer gegenwärtigen Kultur innewohnende rasche Fokuswechsel zwischen verschiedenen Aufgaben, Informationen und Kommunikationsprozessen zerstreut diese Aufmerksamkeit, verunmöglicht sie manchmal geradezu. Professoren können ein Lied davon singen, wie schwer es Studenten fällt, sich zu konzentrieren, einen Text auswendig zu lernen. Die neuen Medien befördern eher das Multitasking als die Kontemplation. Ich denke außerdem, dass sich in Österreich gerade mal 0,5% der Bevölkerung dezidiert für Gegenwartskunst - welcher Art auch immer - interessiert. Das sollte jeder bedenken, der in diese Richtung etwas machen will.
STANDARD: Das scheint Sie traurig zu stimmen.
Truschner: Traurig ist das falsche Wort. Ich bin eben noch von der Zeit geprägt, als die Kronenzeitung gegen Peymann, Haider gegen Jelinek gehetzt hat. Und als sich ungewöhnlich viele dagegen empört haben. Als vom Burgtheater eine gesellschaftliche Relevanz ausging und Literatur öffentliche Debatten entfachen konnte und wollte. Es schien, als würde sich im konservativen Österreich kulturell mal ein Fenster öffnen. Aber das Fenster ist wieder zu und wird es auch bleiben.
STANDARD: Was ist da die besondere Schwierigkeit in Österreich?
Truschner: Auf der einen Seite bekommt man den ganz normalen Druck ab, den die kapitalistische Ideologie des sich selbst regulierenden Marktes bei den Arbeitnehmern erzeugt. Gleichzeitig gibt es jedoch den freien Wettbewerb, auf dem diese Ideologie beruht, in Österreich nicht durchgängig, weil vieles unter der Hand von Parteien und Interessensverbänden gedealt wird. Viele öffentliche Ausschreibungen verursachen bei Insidern der jeweiligen Branche nur Gelächter. Das frustriert natürlich. Nehmen Sie nur vergangenes Jahr: kein/e österreichische/r Künstler/in auf der Documenta, keine Olympiamedaille. Bei freiem Wettbewerb würde es da Strukturreformen, heftige Personaldebatten sowie eine Diskussion um eine effizientere Verteilung der Mittel geben.
STANDARD: Ihre Stücke und Opernlibretti werden an deutschen Stadttheatern gespielt, ihre Fotos in einer namhaften Berliner Galerie ausgestellt. In Österreich findet das bisher nur wenig Resonanz. Betrübt Sie das?
Truschner: Es ist schade, aber es betrübt mich nicht, da es nichts mit mir persönlich zu tun hat. Das geht auch anderen Österreicher/innen so, die im Ausland Erfolg haben. Jemand, der mal ein Risiko genommen und es aus eigener Kraft im Ausland geschafft hat, lässt sich außerdem hinterher nur schwer in das unglaublich engmaschige System österreichischer Seilschaften integrieren. Über die Literaturabteilung des Bundesministeriums kann ich mich übrigens nicht beklagen. Obwohl ich keine Lobby in Wien habe, sind meine Projekte dort zumeist auf Interesse gestoßen und unterstützt worden.
STANDARD: Um abschließend ein paar Mythen zu klären, die sich um Sie ranken: Ist es wahr, dass Sie einmal mit den Teilnehmern eines Schauspielkurses drei Tage lang ohne Kontakt zur Außenwelt im Wald verbracht haben, die kleine Schar sich am dritten Tag die Kleider vom Leib gerissen und nackt auf einem Acker Szenen aus Shakespeares "Macbeth" nachgespielt hat?
Truschner: (Lacht.)
STANDARD: Oder dass sie im Zuge der Recherchen für "Die Träumer" unter falschem Namen an einer Wehrsportübung rechtsnationaler Kader teilgenommen haben?
Truschner: Der Übungsleiter war ein ehemaliger Söldner, der nirgendwo Zuhause war. Anders als die stumpfsinnige "Truppe" war er einigermaßen gebildet. Er ahnte, dass ich ein falsches Spiel spielte, hat es aber durchgehen lassen, weil er einsam und ich wahrscheinlich der einzige war, mit dem er sich unterhalten konnte. Es ist viel von ihm in die Figur des "Voss" in "Die Träumer" eingeflossen. Der zweite Teil des Buches hat nicht zuletzt deshalb so viel Befremden ausgelöst, weil da im Grunde jeder völlig ahnungslos ist und nicht ums Verrecken freiwillig auch nur einen Fuß in diese Szene setzt.
STANDARD: Gab es noch andere Avancen von rechts oder links?
Truschner: Ja. Zum Beispiel von der Kärntner FPÖ.
STANDARD: Sie scherzen.
Truschner: (Lacht.) Ach, das war harmlos. Die haben halt gedacht, der ist blond, blauäugig, dabei doch eloquent, der poliert uns das kulturelle Image auf. Nach dem zweiten Zusammentreffen mit Jörg Haider war das dann gegessen.
STANDARD: Warum? Was war da?
Truschner: Ich habe ihm einen Text überreicht mit dem aus heutiger Sicht makabren Titel: "Der Tod des Jörg Haider". Da ging es darum, dass Haider all des hellbraunen Dünnschisses um sich herum überdrüssig wird, seinen vermeintlichen Tod inszeniert und schließlich in Libyen ein entspanntes Leben in einer Wüstenoase führt, mit netten libyischen Boys. Haider hat sich das durchgelesen und cool gemeint, ob er das seiner Frau schenken dürfe, die sei eine Autographensammlerin. Aber so cool, wie er tat, war er nicht. Ich habe dann erfahren, er habe die Weisung ausgegeben, ich sei ein politisch Radikaler und bei etwaigen Förderungen nicht mehr zu bedenken.
STANDARD: Letzte Frage. Was war die denkwürdigste Ablehnung, die sie in künstlerischer Hinsicht erfahren haben?
Truschner: Ich habe einmal für den Bachmannpreis einen Text verfasst, in dem es in einer Szene zwischen einem Mann und einer Frau ordentlich zur Sache geht. Ich wusste, dass das dort nicht gern gesehen wird, war aber neugierig, ob es vielleicht doch klappt. Ein Mitglied der damaligen Jury hat mir dann mitgeteilt, dass es sich "nicht wohl fühlt" mit einem Text, in dem sich "unnötig Testosteron entfaltet". (Lacht.) (Stefan Gmünder, Album, DER STANDARD, 20./21.4.2013, Langfassung)