Ich dachte immer, ich sei das glücklichste Scheidungskind der Welt. Meine Eltern, die verstanden sich. Im Gegensatz zu den anderen Eltern, die auch geschieden waren. So viele waren das damals noch nicht. Meine Eltern redeten noch miteinander, und nicht nur das. Mein Vater war über viele Jahre regelmäßig Gast bei uns, brachte Wein und blieb zum Essen. Weihnachten? Ein einziges Fest. Alle unter einem Baum. Alter Mann, neuer Mann, Mutter, Stiefmutter.

Nur die kleine Stiefschwester, die nervte. Sagte die doch tatsächlich "Papa" zu meinem Papa, obwohl der gar nicht ihr Papa war, sondern meiner. Das fand ich nicht so toll, aber sonst. Die Stiefmutter mochte ich (die Stiefschwester ehrlicherweise später dann auch), den Stiefvater sowieso. Später dann, nach der zweiten Scheidung meines Vaters (er ist der wahre Patchwork-Motor in unserem Familienverband), trieb unser Patchwork dann so bunte Blüten, dass meine Mutter im Konferenzzimmer der Schule, in der sie Lehrerin war, einer Kollegin auf die Frage, wohin es in den Ferien geht, antwortete: "Zur Ex-Frau meines Ex-Mannes!" Das war nicht gelogen. Es war unsere Realität - und ist es bis heute.

Jahrelang warf ich verkehrt stehend Münzen in Brunnen und wünschte mir, dass meine Eltern wieder zusammenkommen. Das wünschen sich wahrscheinlich alle Scheidungskinder, aber ich hatte gewissermaßen berechtigte Hoffnungen, wenn mein Vater scherzend den Arm um meine Mutter legte und vom ersten Frankreich-Urlaub mit ihr schwärmte. Vielleicht warf mein Stiefvater auch verkehrt stehend Münzen in den Brunnen und wünschte sich insgeheim, dass das aufhört. Ich hätte ihn verstehen können.

Therapeuten sind sich einig, zumindest steht das in Fachartikeln zum Thema immer wieder, wie wichtig es für Kinder ist, dass Eltern nach der Scheidung ein gutes Einvernehmen haben. Aber was heißt "gutes Einvernehmen"? Wo fängt das an? Wo hört das auf? Reden wir hier von Freundschaft? Von einem distanziert-freundlichen Miteinander? Was finden betroffene Kinder angebracht? Ich fand den Post-Scheidungs-Frühling zwischen meinen Eltern gut, aber er war auch eine Mogelpackung. Das wussten damals nicht einmal meine Eltern. Erst als Erwachsene bin ich draufgekommen, dass ich nicht das glücklichste Scheidungskind der Welt war. So etwas gibt es wahrscheinlich gar nicht. Mittlerweile werfe ich aber keine Münzen mehr verkehrt stehend in Brunnen. Oder eigentlich doch, aber meine Wünsche sind andere geworden. (Mia Eidlhuber, derStandard.at, 21.4.2013)