Die Wirtschaftsuniversität Wien gleicht in den Wochen vor der Wahl zur Hochschülerschaft einem Regenbogen. Bei einem Gang durch die Aula kommt man zunächst an der orange dominierten Ecke der Aktionsgemeinschaft vorbei, ein paar Schritte weiter leuchtet das Rot des Verbands sozialistischer Studierender, einige Studierende tummeln sich davor mit Kaffeebechern in der Hand. Gleich gegenüber sticht einem das Gelb der Jungen Liberalen (JuLis) in die Augen.

"Natürlich ist Gratiskaffee beliebter und zieht mehr Studierende an, aber wir haben einfach nicht so ein großes Budget wie andere Fraktionen", kommentiert Claudia Gamon den regen Zulauf zum gegnerischen Wahlkampfstand und verweist auf die zur Fraktionsfarbe passenden Bananen mit JuLi-Sticker. Die 24-jährige Vorarlbergerin kandidiert nach 2011 zum zweiten Mal als Spitzenkandidatin für die liberale Fraktion, "einerseits, weil ich es sinnvoll finde, wenn die Studierenden jemanden wählen können, mit dem sie sich vielleicht schon identifizieren und wissen, wofür diese Person steht. Andererseits möchte ich mir selbst einfach beweisen, dass ich es noch besser kann."

Starkes Wachstum

2011 erreichten die JuLis bei der ÖH-Wahl 4,2 Prozent beziehungsweise drei Mandate und übertrafen damit viele Erwartungen – auch die eigenen. Mit Wahlzielen für dieses Jahr hält sich Gamon, die gerade ihren Master in internationalem Management an der WU absolviert, bedeckt. "Prozentuell möchten wir uns auf jeden Fall verbessern."

Verändert hat sich für die JuLis seit der letzten ÖH-Wahl einiges. Ihr Wahlkampfbudget konnten sie verdoppeln – aus großteils privaten Spenden stehen dieses Mal 13.500 Euro zur Verfügung. Auch personell ist die Fraktion stark gewachsen – Gamon schätzt, dass viermal so viele Studierende im JuLis-Team sind wie 2011. Damals bestand das Team aus 20 bis 25 Leuten – die meisten aus dem persönlichen Umfeld von Gamon und Bundesobmann Niki Scherak. Die Zahl der Unis, an denen die JuLis antreten, hat sich von neun auf 16 ebenfalls fast verdoppelt.

Ende der Pflichtmitgliedschaft

Mit der letzten Exekutive ist Gamon nicht unzufrieden. "Es überrascht ja nicht, dass dort politische Ideen vertreten wurden, die meinem Weltbild nicht entsprechen – da kann ich nicht beleidigt sein." Gestört hat Gamon während der letzten zwei Jahre nicht die Arbeit an sich, sondern wie in der Vertretung gearbeitet wurde. Dass viele Mandatare die Bundesvertretung als "politische Spielwiese" sähen, behindere den Arbeitsprozess, meint die Spitzenkandidatin.

Geht es nach Gamon und den JuLis, gehört die Interessenvertretung der Studierenden stark reformiert. Die Fraktion will ein Ende der Pflichtmitgliedschaft und möchte den Servicecharakter der Studierendenvertretung hervorheben. "Uns wird oft vorgeworfen, dass wir die ÖH schwächen wollen – aber noch schwächer kann sie eh nicht werden", sagt Gamon.

Foto: Der Standard/Newald

"Deine Mutter" für Studiengebühren

Immer wieder spazieren Studierende am Infostand vorbei, viele interessieren sich für die Gratiskugelschreiber, einige zieht auch das Wahlplakat der JuLis an. "Deine Mutter zahlt mein Studium", ist darauf zu lesen. Wie schon 2011 positionieren sich die jungen Liberalen damit klar für Studiengebühren. "Ich finde es einfach ungerecht, dass Menschen, die nie an einer Uni waren, die Hochschulen mitfinanzieren", sagt Gamon.

Hochschulen sind in den Augen der JuLis Unternehmen, Studierende ihre Kunden. Durch das Einheben von Studiengebühren, die die Studierenden in Form von Darlehen bezahlen sollen, sowie Zugangsbeschränkungen sollen im Bildungssektor "endlich die Marktmechanismen wirken", heißt es im Wahlprogramm. Auch Hassan bleibt im Vorbeigehen am Slogan hängen und hakt nach. Der Bundesvorsitzende Scherak erklärt ihm das Modell nachgelagerter Studiengebühren, für das sich die JuLis aussprechen. Hassan nickt zufrieden. Als ausländischer Student bezahle er derzeit sowieso Studiengebühren. "Ich finde es fair, das von allen einzufordern", meint der Bachelorstudent. Ob er sich für die JuLis entscheidet, weiß Hassan aber noch nicht – er eilt weiter Richtung Hörsaal.

Doppelengagement und große Ziele

Auch für Claudia Gamon ist die Mittagspause am Infostand vorbei, sie hat heute noch eine Lehrveranstaltung. "Wir sehen uns am Abend", ruft sie ihrem Kollegen Scherak zu. Freizeit? Nein – im Rahmen ihres Engagements für die Neos, für die sie am Vormittag schon bei einer Pressekonferenz waren, besuchen Gamon und Scherak später potenzielle Wähler in deren Wohnzimmern. Die Neos werden von den JuLis bei der Nationalratswahl unterstützt.

Gamon und Scherak sind zwei von drei jungen Liberalen, die für Listenplätze kandidieren. Unter Umständen könnte Gamon die erste Person sein, die sowohl in der ÖH-Bundesvertretung als auch im Nationalrat sitzt. Während des ÖH-Wahlkampfs will sie ihren Einsatz für die Neos so weit wie möglich ruhen lassen – in der Politik sieht die Managementstudentin längerfristig aber auf jeden Fall ihre Zukunft. "Es wäre übertrieben zu sagen, dass mich mein Studium nicht interessiert, aber ich denke nicht, dass ich einmal in einer Marketingagentur arbeiten werde."

Foto: Der Standard/Newald

Auf dem Weg zu ihrem Uni-Kurs drehen sich viele Studierende nach Gamon um. Daran habe sie sich schon einigermaßen gewöhnt. "Komisch finde ich es allerdings, wenn jemand zu mir sagt, er kenne mich von Twitter." Das Internet und die sozialen Netzwerke sind Gamons zweites Zuhause, mittels iPhone steht der Wahlkampf auch während der Lehrveranstaltungen nicht still. Eifrig bedient sie den Touchscreen, während vorne über Joint Ventures diskutiert wird.

Gamon seufzt – soeben sei ein Shitstorm auf Twitter wegen eines persönlichen Blogeintrags ausgebrochen, in dem sie sich für mehr Modebewusstsein bei Politikern aussprach. Ob sie während der zwei Jahre in der ÖH denn eine dickere Haut bekommen hat? "Manchmal bin ich einfach noch zu sehr ich selbst", flüstert sie und tippt weiter. (Lara Hagen, derStandard.at, 24.4.2013)