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Luxemburgs Banken sind 22-mal größer als die Wirtschaftsleistung des Großherzogtums. Das allein sei aber kein Grund zur Beunruhigung, sagt EZB-Direktor Benoît Coeuré.

Foto: reuters/RALPH ORLOWSKI

STANDARD: Die Euroländer sind sich einig, wie aber denkt die Europäische Zentralbank: War die Rettung Zyperns ein Modellfall, müssen reiche Sparer auch in anderen Ländern um ihre Guthaben fürchten, wenn eine Bank pleite geht?

Coeuré: Man muss zwischen Prinzip und Durchführung unterscheiden. Der Fall Zypern hat verdeutlicht, dass Steuerzahler nicht für die Fehler von Bankern bezahlen sollten. Zypern zeigt, dass es zu einer gerechten Lastenverteilung führt, wenn Investoren und Gläubiger mithaften und Steuerzahler erst in letzter Instanz eingebunden werden. Allerdings ist die Durchführung der Rettung kein Präzedenzfall für andere Länder. Denn die Verbindlichkeiten der zypriotischen Banken waren gemessen an der Wirtschaftskraft des Landes viel größer als bei den übrigen Hilfsprogrammen, das aufgeblähte Bankensystem ist eine zypriotische Besonderheit. Zudem verfügten Zyperns Banken, nachdem das Aktienkapital herangezogen wurde, kaum über Verbindlichkeiten, die man für ein "Bail-in"  hätte heranziehen können. Von den Anleihengläubigern der Institute gab es wenig zu holen, weshalb Sparer so beträchtlich zur Rettung und Abwicklung der Banken beitragen mussten. In einem anderen Land mit größeren Puffern würde das nicht geschehen.

STANDARD: Mit "Bail-in" meinen Sie das Prinzip, wonach Bankgläubiger, also auch Sparer, mithaften sollen, wenn ein Kreditinstitut in Schieflage gerät?

Coeuré: Ja, das "Bail-in"  ist ein richtiges und wichtiges Prinzip. Wobei vor allem wichtig ist zu betonen, dass Guthaben bis zu 100.000 Euro durch die gesetzliche Einlagensicherung geschützt sind. Für andere Verbindlichkeiten gibt es eine Reihenfolge, die zu beachten ist: Als Erstes sollten Bankaktionäre Verluste erleiden, denn sie hatten für ihr Investment potenziell die höchsten Profite und die kennen das Risiko. Dann sind Anleihengläubiger der Bank an der Reihe und erst dann – und nur dann – die ungesicherten Sparer.

STANDARD: Haben Sie keine Angst, dass Anleger Geld aus Europa abziehen werden? Bisher zahlten die Steuerzahler für jede Krise.

Coeuré: Wir haben das Bail-in nicht für Zypern erfunden, das ist ein international anerkanntes Instrument, das vom Financial Stability Board (Beratungsgremium der G-20, Anm.) bestätigt wurde, nun müssen die Details der Anwendung ausformuliert werden.

STANDARD: Aufgeblähte Banken sind keine zypriotische Spezialität. Die Finanzplätze Maltas und Luxemburgs sind überdimensioniert. Luxemburgs Banken sind 22-mal größer als das BIP des Landes. Sollte es nicht Grenzwerte geben? 

Coeuré: Je größer eine Bank, umso mehr rechtfertigt dies eine genauere Prüfung des Institutes. Deshalb wurde festgelegt, dass Großbanken in der Eurozone, deren Bilanzsumme 30 Milliarden Euro oder ein Fünftel der Wirtschaftsleistung eines Landes übersteigt, direkt von der EZB beaufsichtigt werden. Aber es geht nicht nur um Zahlen. Viel hängt davon ab, wie ein Bankensektor aufgestellt ist. In Malta zum Beispiel sind die Kreditinstitute im Verhältnis zum BIP groß, aber zugleich verfügen sie über große Liquiditätspuffer. Sie bedürfen also keiner Finanzierung von der Außenwelt. Das war nicht der Fall in Zypern.

STANDARD: In Österreich lag die Inflationsrate im März bei über zwei Prozent, in Griechenland sank das Preisniveau. Wie ist unter diesen Umständen eine Zentralbankpolitik für alle Euroländer möglich?  

Coeuré: Die Situation ist herausfordernd. Die EZB hat durch unkonventionelle Maßnahmen versucht, das Auseinanderdriften der monetären Bedingungen in der Eurozone einzudämmen. Wir haben Banken gegen Sicherheiten unbegrenzten Kredit zu einem sehr niedrigen Zinssatz gewährt. Die EZB hat die Palette an Sicherheiten, die sie im Gegenzug für Kredite akzeptiert, ausgeweitet. All das, einschließlich der nationalen Anpassungsprogramme in vielen Ländern, hat dafür gesorgt, dass die Unterschiede innerhalb der Eurozone im vergangenen halben Jahr weniger geworden sind. Aber die Diskrepanzen sind weiterhin zu groß, besonders wenn es um  Kreditkosten für Unternehmen geht, und noch mehr, wenn es um Kreditkosten für Klein- und Mittelbetriebe geht. Europäische Institutionen sollten Wege finden, um dieses Problem anzugehen und wir arbeiten ebenfalls daran. Aber die EZB kann nicht alle Probleme lösen und ist durch ihr Mandat gebunden.

STANDARD: Werden zu große Hoffnungen in die EZB gesteckt? 

Coeuré: Ja, das würde ich sagen. Die Krise hat das langfristige Wachstumspotenzial Europas gesenkt. Das ist nichts, woran wir als EZB etwas ändern können. Um das langfristige Wachstum zu stimulieren, müssen die Euroländer grundlegende Strukturreformen durchführen und die Führung der Eurozone verbessern. Bis das geschieht, kann die EZB helfen. Der Politik die Last abnehmen, kann sie aber nicht. 

STANDARD: Größte Baustelle ist derzeit die Bankenunion: Nach der Schaffung einer einheitlichen Aufsicht gerät das Projekt ins Stocken. Deutschland und Österreich bremsen die Schaffung eines europaweiten Abwicklungsmechanismus' für marode Banken. Wien und Berlin glauben, dafür sei eine Änderung der EU-Verträge nötig. 

Coeuré: Ob es einer Vertragsänderung bedarf, muss die Kommission sagen. Was ich sagen kann, ist, dass wir den Abwicklungsmechanismus dringend brauchen. Wenn der Aufbau der Bankenunion mit der Schaffung der gemeinsamen Aufsicht Halt macht, ist das, als ob man bei einer Wanderung in der Mitte des Flusses stehen bleibt. Es würde zur fortgesetzten Fragmentierung in der Eurozone führen, Kreditvergabe und Investitionen belasten und  damit das Wachstum senken.

STANDARD: Warum wäre das so?

Coeuré: In unserer Denkweise ist die Schaffung eines einheitlichen Abwicklungsmechanismus ein effektiver Weg, um die Fragmentierung in der Eurozone zu bekämpfen. Die Kosten für Kredite sind von Land zu Land unterschiedlich, weil das Vertrauen variiert. Das müssen wir ändern. Erreichen kann man das nur, in dem man ein gemeinsames Sicherheitsnetz für alle Banken schafft, mit dem man sicherstellen würde, dass die Kreditwürdigkeit einer Bank nicht mehr davon abhängt, in welchem Land sie sich befindet, sondern, wie gut sie gemanagt wird. Kernstück dieses Netzes wäre ein gemeinsamer Abwicklungsfonds, der von den Beiträgen aller Kreditinstitute gespeist wird. Geht eine Bank Pleite, sollte es meiner Meinung nach eine Abfolge der Notfallmaßnahmen geben: Im ersten Schritt würden die Bail-in-Regeln greifen. Reicht dies nicht aus, dann müssten die nationalen Steuerzahler und der Abwicklungsfonds einen Beitrag leisten. Es gibt keine Solidarität ohne Verantwortung.

STANDARD:Wie möchten Sie deutsche oder österreichische Banken davon überzeugen, in einen Abwicklungsfonds einzuzahlen?

Coeuré: Man sollte primär nicht die Banken nach ihrer Meinung fragen, sondern die europäischen  Steuerzahler. Wir haben gesehen, was in Absenz einer vollständigen Bankenunion passiert: Die Probleme des Finanzsektors in einem Land springen auf den Staat über, der dann die Hilfe seiner europäischen Partner braucht. Indem man die Verbindung von Staaten und Banken kappt, schützt man Steuerzahler – auch in Deutschland und Österreich. (András Szigetvari, DER STANDARD, 25.4.2013)