Sergej Stanischew fordert eine Regierung der nationalen Rettung.

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STANDARD: Als Kandidaten für das Amt des Premiers haben Sie Plamen Oresharski, Ihren früheren Finanzminister, in den Wahlkampf geschickt. Er ist kein Parteimitglied. Warum treten Sie nicht wieder selbst an?

Stanischew: Zunächst einmal weil die Situation in Bulgarien heute außergewöhnlich ist. Wir hatten hier eine Regierung, die in fast vier Jahren an der Macht ein politisches und wirtschaftliches Monopol geschaffen hat. Damit sind die demokratischen Institutionen und die Gesellschaft untergraben worden. Es hat auch zu einem Stillstand in der Wirtschaft geführt. 400.000 Arbeitsplätze sind verschwunden, den Leuten geht es schlecht. Vergangenen Februar sind etwa 200.000 Menschen auf die Straßen gegangen und haben diese Regierung aus dem Amt gejagt. Unter diesen Umständen und um aus der Krise zu kommen, die Wirtschaft wieder in Gang zu setzen, braucht man eine Regierung mit Programm und breiter parlamentarischer Unterstützung.

STANDARD: Und das ist mit Ihnen nicht möglich?

Stanischew: Eine solche Regierung muss einen und konsolidieren. Zum jetzigen Zeitpunkt aber würde jeder Parteichef in Bulgarien, so populär er auch sein mag, als Hindernis für die breite Unterstützung der notwendigen Reformen angesehen werden. Außerdem habe ich als Chef der Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE) eine Reihe von Verpflichtungen, vor denen ich nicht weglaufen will. Mir geht es um die Botschaft an das bulgarische Volk: Wir wollen nicht um der Macht willen mit der Sozialistischen Partei an die Regierung. Wir wollen einen positiven Wandel, eine Regierung der nationalen Rettung. Es geht um die Rettung der Demokratie in Bulgarien. Der Mehrheit der Bulgaren wird klar werden, dass Gerb (frühere Regierungspartei Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens, Anm.) gehen muss, weil sie ein Reich des Bösen geschaffen hat. Und die Sozialistische Partei ist die einzige Garantie, dass das geschehen kann.

STANDARD: Umfragen sagen Gerb bisher einen Vorsprung voraus.

Stanischew: In der Gesellschaft hat sich Furcht breitgemacht. Ich habe mit einem Meinungsforscher gesprochen. Er sagte, für eine repräsentative Umfrage braucht man landesweit 1000 Personen. Er musste 2000 ansprechen. Warum? Weil die Menschen sich weigern zu antworten. In dieser Umfrage gaben 28 Prozent derjenigen, die geantwortet haben, an, dass sie Angst haben, weil sie glauben, für ihre politischen Sympathien verfolgt zu werden. Die frühere Regierung hat effektiv einen Polizeistaat geschaffen. Sie können sicher sein, dass 70 Prozent der Bulgaren kein zweites Mandat für Gerb wollen.

STANDARD: Wie wollen Sie Bulgarien aus dieser Krise bringen? Etwa Mindestlohn und Pensionen um 200 Prozent erhöhen oder die Flat Tax von zehn Prozent streichen, die Sie selbst 2008 eingeführt hatten?

Stanischew: Unser Wirtschaftsprogramm ist auf Unterstützung kleiner und mittlerer Betriebe gerichtet. Das Erste, was aufhören muss, ist die Erpressung durch die Regierungsbehörden; diese Praxis, von Unternehmen Geld oder Anteile zu verlangen und alle möglichen Kontrollen und Überprüfungen zu machen, was ihre Aktivität blockiert. Wir werden den Wettbewerb auf dem Markt wiederherstellen, der durch künstlich geschaffene Monopole ausgeschaltet wurde. In Bulgarien gewinnen beim Straßenbau zum Beispiel nur zwei Prozent der Unternehmen die Ausschreibungen. Wir wollen gleichzeitig eine größere Beteiligung des Staates an der wirtschaftlichen Entwicklung durch stärkere Regulierungen in Bereichen, wo es Monopole gibt, wie beim Strom und bei der Wasserversorgung, um extremen Profiten einen Riegel vorzuschieben. Und wir wollen definitiv die Unternehmenssteuer auf demselben Niveau halten wie jetzt - bei zehn Prozent -, um Investitionen planbar zu machen und nach Bulgarien zu holen.

STANDARD: Das alles wird der Mehrheit der Bulgaren erst einmal nicht helfen. Mit monatlichen Einkommen von 250 bis 500 Euro kann man kaum leben.

Stanischew: Es wird nicht sofort helfen. Bei den ersten Maßnahmen, die ergriffen werden, geht es deshalb um Transparenz und Solidarität. Wir schlagen zum Beispiel Nachlässe bei den Stromrechnungen vor für jene, die Energie sparen, sich aber den Marktpreis nicht leisten können. Natürlich wollen wir die Menschen mit den niedrigsten Einkommen unterstützen. Wer bis zu 310 Lewa verdient (160 Euro), wird null Prozent Einkommensteuer zahlen. Das bringt rund 350 Millionen Lewa (180 Mio. Euro) zurück in die Wirtschaft und in die Familien zum Konsum. Das sind fast eine Million Bulgaren. Aber für jene 30.000 im Land, die mehr als 4500 Lewa (2300 Euro) verdienen, wird der Steuersatz von bisher zehn auf 20 Prozent heraufgesetzt. Angesichts der Armut sollten Leute mit höherem Einkommen etwas Solidarität zeigen. Das ist nicht übertrieben und nicht unvernünftig. (Markus Bernath, DER STANDARD, 25.4.2013)