Viele Elektrohändler werben mit einem verlockenden Angebot: Das alte Gerät wird kostenlos beim Erwerb eines neuen Modells abgeholt. Doch was passiert damit? Der europäische Wohlstandsmüll landet zum Beispiel auf einer der größten afrikanischen Elektromüllhalden in Ghanas Hauptstadt Accra. Tag und Nacht steigen dort von einem Areal, das in etwa so groß ist wie fünf Fußballfelder, giftige Rauchwolken in den Himmel auf.
"Es ist im wahrsten Sinne atemberaubend", berichtet Christina Schröder von der Organisation Südwind, die 2009 und 2012 diesen Ort in Accra aufsuchte. Mitten in dieser apokalyptischen Umgebung schlachten bis zu 7.000 Kinder und Jugendliche mit bloßen Händen Elektromüll aus. Das Ziel ist, an das Kupfer in den Kabeln zu gelangen. Nachschub aus dem "Westen" gibt es genug: 2012 betrug der Müllberg an Elektroartikeln weltweit 41 Millionen Tonnen. In Europa waren es laut EU-Kommission 10 Millionen Tonnen.
85 Prozent des Elektromülls kommen aus Europa
Um das begehrte Metall zu bergen, werden die Computer, Fernseher und Kühlschränke zerschlagen und zerlegt. An manchen Geräten befinden sich sogar noch die Inventarschilder, die ihre Herkunft aus Europa bestätigen. Laut dem Sekretariat des Basler Übereinkommens stammen 85 Prozent der Elektrogeräte, die in Ghana ankommen, aus Europa. Im Jahr 2009 wurden 250.000 Tonnen Elektrogeräte importiert, 70 Prozent waren sogenannte Gebrauchtware.
Nach einem ersten, brachialen Zerlegen wird der Schrott mit Brandbeschleunigern angezündet. In den verbrannten Überresten bleibt unter anderem das Kupfer übrig. Welche Auswirkungen die Arbeit auf ihre Gesundheit haben wird, wissen die ghanaischen Kinder nicht, es fehlt an Aufklärung. Die Kupfersuche auf der Müllhalde ist verlockend, da es keinen Chef gibt und kein Geld abgegeben werden muss. Übrig bleibt freilich nichts: An einem guten Tag kann ein Kind ein halbes Kilogramm Kupfer zusammentragen und bekommt dafür umgerechnet einen Euro von lokalen Schrotthändlern bezahlt. Das reicht für ein bis zwei warme Mahlzeiten.
Gesundheitsschäden bei Kindern auf der Müllhalde
Der Boden der Müllhalde ist mit Scherben überzogen und mit Gift kontaminiert. Die Füße werden nur notdürftig mit Flip-Flops geschützt, manche Kinder tragen zusätzlich Socken. Eine Tetanus-Impfung hat niemand, die Hände und Füße sind jedoch mit Schnittwunden und Verbrennungen übersät. Die Dämpfe erzeugen brennende Atemwege und Augen, Kopfschmerzen und chronischen Husten. Der Handel mit Schmerzmitteln ist Alltag auf der Mülldeponie. Denn viele Kinder sind nicht registriert und haben damit auch keinen Zugang zum Gesundheitssystem.
Die meisten Kupfersucher kommen aus der armen Region Tamale im Norden des Landes unbegleitet in die Hauptstadt. Sie mieten sich in Gruppen in einem Zimmer ein, zum Beispiel gleich im angrenzenden Slum, der den passenden Namen "Sodom und Gomorra" trägt. 70.000 Menschen leben aktuell dort. Daneben befindet sich der größte Lebensmittelmarkt Ghanas, der permanent von den Rauchschwaden und ihrem schneidenden Geruch eingehüllt ist. Früher wurde das Gebiet von einer Lagune begrenzt, heute ist das Wasser schwarz und giftig. Durch Abwassersysteme fließt es am Strand in das Meer und ist auch für die lokalen Fischer ein Problem. "Das sieht aus wie Erdöl", schildert Schröder.
Ware umdeklarieren, Verbot einfach umschiffen
Im Prinzip dürfte die Müllhalde gar nicht existieren. Auf internationaler Ebene kontrolliert das Basler Übereinkommen grenzüberschreitende Transporte von Elektromüll. In Europa gilt zusätzlich seit 2006 die WEEE-Richtlinie, die den Export von Elektromüll in Länder außerhalb der OECD untersagt. Das Material sollte eigentlich gesammelt und recycelt werden.
Doch durch Deklarierung als "Secondhand-Ware", "Private Goods" oder "For Charity" kann dieses Verbot umgangen werden. Es sei eigentlich unmöglich, einen gesamten Container darauf zu kontrollieren, ob er wirklich nur funktionierende Ware enthält, berichtet Schröder. Dafür gibt es viel zu wenig Personal, daher werden meist nur Stichproben vorgenommen. Als größte Umschlagplätze gelten die Häfen von Antwerpen und Amsterdam.
Elektrohändler "entsorgen" Müll billig
Und meist sind es eben die europäischen Elektrohändler, die an dieser "informellen Entsorgung" Schuld tragen. Das bestätigt das Sekretariat des Basler Übereinkommens. Die gebrauchten und kaputten Geräte werden an Zwischenhändler weitergegeben, die die "Entsorgung" erledigen.
Prinzipiell hätten die Elektrohändler laut der WEEE-Richtlinie die Verantwortung für die Entsorgung zu tragen. Doch nach Übergabe an die Zwischenhändler verliert sich bald die Spur. Der weitere Umgang mit dem Elektromüll ist völlig intransparent und nicht mehr nachvollziehbar.
Müll bei der Gemeinde abgeben
Die Organisation Südwind hat bei österreichischen Elektrohändlern nachgefragt und ihre Annahme bestätigt bekommen: Nur ein Unternehmen arbeitet mit einem zertifizierten Recyclingunternehmen zusammen. Der Konsument kann sich diesem Kreislauf entziehen, indem er gebrauchte Geräte bei offiziellen Sammelstellen abgibt. Südwind bestätigt, dass die Geräte dann im vom Lebensministerium lizenzierten Sammel- und Verwertungssystem landen. Denn jede Firma, die Müll sammelt und verarbeitet, wird in Österreich auf Länderebene geprüft.
Hersteller in die Pflicht nehmen
Eine gute Alternative sind auch die Re-Use-Zentren, in denen die Geräte repariert und als gebrauchte Ware wiederverkauft werden. "Wir plädieren auch dafür, dass sich die Konsumenten immer fragen, ob sie neue Geräte wirklich brauchen", sagt Schröder. Denn ein Großteil der Nachfrage werde durch den Handel künstlich erzeugt.
Daher gehörten vor allem die Hersteller in die Pflicht genommen, betont Schröder. Elektrogeräte sollten ohne gefährliche Inhaltsstoffe wie Quecksilber hergestellt werden. Die Praxis, dass Geräte künstlich herbeigeführt schnell kaputt werden oder als veraltet gelten, sollte überdacht werden, fordert Südwind. "Viele Geräte werden zudem so produziert, dass sie gar nicht repariert werden können. Es ist zum Beispiel ein Unterschied, ob man etwas zusammenklebt oder -schraubt", sagt Schröder.
Finanzielle Interessen könnten Umwelt helfen
Eine Hoffnung auf eine strengere Kontrolle der Gesetze innerhalb Europas könnten wirtschaftliche Gründe sein: Die EU hat Interesse daran, die Ressourcen und Rohstoffe in den eigenen Staaten zu behalten. Denn in einigen Geräten befinden sich auch Metalle der Seltenen Erden oder Gold, wonach in Ghana bis jetzt noch nicht einmal gesucht wird. (Julia Schilly, derStandard.at, 25.4.2013)