"Ich arbeite mit den Figuren auf der Bühne, der politischen Bühne. Ich lasse sie dort auftreten nach meinem Willen. Sie sagen dort zwar ihre Sätze, aber nach meiner Anordnung. Ich spiele mit ihnen, nicht als Menschen natürlich, aber als Figuren. Das hat schon etwas", sagt dietiwag.at-Blogger Markus Wilhelm.

Foto: derstandard.at/pumberger

Wenn Markus Wilhelm zu Hause in Sölden an seinem Computer sitzt, ist die Tiroler Landespolitik rund 85 Kilometer entfernt. Diese Strecke trennt seinen Heimatort vom Eduard-Wallnöfer-Platz, dem Sitz der Landesregierung und der Tiroler Wasserkraft AG (Tiwag). 85 Kilometer, und doch ist Wilhelm seit Jahren ein gewichtiger Mitspieler am Tiroler Politikparkett. Auf seiner Seite dietiwag.org, die er 2004 gründete, prangert er die Politik der Tiroler Volkspartei und die Verknüpfungen mit der landeseigenen Tiwag an, enthüllt Korruption und Vetternwirtschaft.

Wilhelm ist dabei Rechercheur und polemisch-deftiger Formulierer, der detail- und aktenreich seine Geschichten erzählt - und es sind Geschichten mit Sprengkraft. Der Ötztaler sieht sich selbst als "politischen Aktivisten", betreibt in Sölden eine kleine Landwirtschaft und spricht im Gespräch mit derStandard.at über die Motivation für seine Arbeit, seine Rolle in der Tiroler Politiklandschaft und den Sumpf: "Man glaubt, weil es ein gebirgiges Land ist, dass unterhalb von 20 Zentimeter Humus gleich einmal der Fels ist. Aber da geht es hinunter bis fast nach Neuseeland. Das ist der Sumpf in Tirol."

derStandard.at: Warum haben Sie den Blog gegründet?

Wilhelm: Im Juni 2004 ist die Tiwag damit herausgekommen, dass sie ein Riesenkraftwerk im Ötztal bauen will. Ich habe mir gedacht: Ihr baut bei mir kein Kraftwerk. Zum Teil habe ich schon Sachen im Archiv gehabt, in der Zeitschrift "Föhn" hatte ich ja schon eine Nummer über die Tiwag gemacht gehabt. Das Ötztal ist der am meisten vergletscherte Teil der Alpen, mit dem meisten Wasser, deswegen reizt es jeden Wasserkraftbauer seit 1900. Das ist bis heute brach. Bald war die Idee da, diese Homepage zu machen. Ende September 2004 bin ich mit dietiwag.at online gegangen.

derStandard.at: Worum ging es im ersten Artikel?

Wilhelm: Die erste Geschichte war ein Optionenbericht der Tiwag, wo im Land Kraftwerke möglich sind. Ich habe die geheime Rohfassung gehabt und bin mit dem rausgegangen. Die wollten sie erst zwei Monate später öffentlich präsentieren. Am Tag meiner Veröffentlichung hat es gleich scharfe Stellungnahmen vom Landeshauptmann und vom Tiwag-Chef gegeben, was das für eine Sauerei sei. Das war natürlich eine gute Werbung für mich zum Start.

derStandard.at: Wie wichtig ist Ihnen, dass ihre Berichte Reaktionen hervorrufen?

Wilhelm: Sehr wichtig. Ich schreibe das ja nicht für mich. Deswegen sind auch die Prozesse wichtig, so aufreibend und kraftraubend sie sind. Das ist der Wind in meinen Segeln. Ich möchte, dass die Geschichten größer werden. Wenn mir jemand in die Glut hineinbläst, dann muss ich Danke sagen. Das haben sie kräftig getan. Im März 2005 haben sie mir zum Beispiel dann den Crossborder-Prozess angehängt mit einer Streitsumme von 500.000 Euro. Dadurch ist das Thema Crossborder in Tirol erst bekannt geworden. Das war ganz wichtig.

derStandard.at: Durch den Prozess?

Wilhelm: Ja, dadurch, dass sie reagieren. Später haben sie eine Zeit lang die Strategie eingeschlagen, dass sie gar nicht mehr reagieren.

derStandard.at: Ihre Berichte sind durch zwei Dinge geprägt, die Aktenkundigkeit und eine gewisse pointierte Sprache, die Sie anwenden ...

Wilhelm: ... können, weil es belegt ist.

derStandard.at: Wie kommen Sie zu diesen Akten?

Wilhelm: Was derzeit jeden Tag zu mir kommt - wir haben ja auch Wahlkampfzeiten -, kann ich kaum mehr bewusst aufnehmen, geschweige denn bearbeiten. Das sind nicht nur die ganz großen Geschichten natürlich, und das flaut auch hoffentlich nächste Woche wieder etwas ab. Das war am Anfang nicht unbedingt so, aber dass ich diesen Rohbericht bekommen habe, zeigt schon, dass die Leute Vertrauen zu mir haben - noch aus Zeiten des "Föhn". Das Vertrauen ist gewachsen, auch durch die Prozesse, bei denen die Leute gesehen haben, da ist nie jemand auch nur in die Nähe des Verdachts gekommen, mein Informant zu sein. Das ist ganz wichtig.

derStandard.at: Wissen Sie die Namen aller Informanten?

Wilhelm: Nein, natürlich nicht. Ich bekomme auch anonyme Hinweise. Die muss ich besonders streng prüfen. Zwischenzeitlich hat sich so ein Netz aus Personen ergeben, dass ich in jedem zweiten Ort jemanden habe oder jemanden, der sich thematisch auskennt und vom Fach ist, den ich kontaktieren kann. Bei Dokumenten muss ich fünfmal aufpassen, ob man mich nicht legen will. Aber sie haben mich noch nicht gelegt.

derStandard.at: Sie legen das Hauptaugenmerk bei Ihren Berichten auf zwei Bereiche, die Tiwag und die Verknüpfungen mit der Landespolitik.

Wilhelm: Mit der Tiwag habe ich angefangen, mit ihr hängt in der Tiroler Politik alles zusammen. Das ist das lukrativste Unternehmen des Landes, das ist die Kassa der ÖVP. Was in Kärnten die Hypo Alpe Adria ist, in Wien die Telekom, ist bei uns die Tiwag. Von dort geht der Sumpf aus.

derStandard.at: Kritiker werfen Ihnen vor, dass Sie nur diese zwei Themen bearbeiten. Agieren Sie hier parteiisch?

Wilhelm: Parteiisch agiere ich sicher, aber nicht parteipolitisch. Natürlich bin ich Partei, gegen diesen Filz, die Korruption und diese Netzwerke. Der jeweilige Landeshauptmann ist immer auch der Eigentümervertreter der Tiwag, das ist nicht zu trennen. Es gab aber schon immer auch andere Themen, die Lebenshilfe zum Beispiel. Ich verfolge ein Thema halt immer so weit, bis ich zu den Wurzeln komme. Und da landet man, wenn man es konsequent macht, halt immer wieder bei der ÖVP und der Landespolitik.

derStandard.at: Gab es bei Ihnen einmal den Punkt, dass Sie sich parteipolitisch engagieren wollten?

Wilhelm: Nein. Punkt.

derStandard.at: Wir haben vorher kurz über Prozesse geredet. Der letzte gerichtsanhängige Eintrag war ihr Eintrag über die Area 47, bei dem Sie das Logo in ein Hakenkreuz verwandelt haben ...

Wilhelm: Ich würde es nicht so sagen.

derStandard.at: Wie würden Sie es sagen?

Wilhelm: Es fällt ein Schatten auf dieses Area-Logo. Aber es soll natürlich daran denken machen.

derStandard.at: War das ein Fehler? Würde Sie es anders machen?

Wilhelm: Ich würde es nicht anders machen. Ich bin froh, wenn es den Prozess gibt, weil es mir die Möglichkeit gibt, Sachen darzulegen, die die Gegenseite sicher nicht präsentiert haben möchte. Die Gegenseite kann nur verlieren.

derStandard.at: Weil Sie noch Informationen haben?

Wilhelm: Ja. Leider geht durch die Klage die Geschichte mit der Landesförderung an die Area 47 unter, für die es als eine Art Kickback dann eine Area-Förderung an die ÖVP gegeben hat. Das ist der eigentliche Kern der Geschichte.

derStandard.at: Wie viele Zugriffe haben Sie eigentlich?

Wilhelm: Das sage ich nicht. Aber sehr, sehr, sehr viele. Bei mir schauen alle Leute im ganzen Land hinein, aus allen Schichten.

derStandard.at: Sie sagen, Sie sind "politischer Aktivist". Sie haben als Publizist mit dem "Föhn" angefangen, wann war für Sie die Grenze, wann war es nicht mehr Journalismus?

Wilhelm: Ich habe mich nie als Journalist gesehen. Das Schreiben und Veröffentlichen war für mich immer ein Mittel, um politisch wirksam zu sein. Deswegen interessieren mich auch keine neutralen und ausgewogenen Informationen. Ich will meine Sichtweise präsentieren und nicht verwässern mit der Gegenposition, die ist eh da, die ist ja eh sehr massiv da.

derStandard.at: Verwenden Sie die polemische Sprache auch, um sich Gehör zu verschaffen?

Wilhelm: Ich versuche, sehr lesbar zu schreiben und so zu schreiben, dass man es gerne liest. Da muss auch ein bisschen sprachlicher Witz dabei sein, von dem man überrascht wird. Polemik ist dann das andere, das ist unbedingt notwendig, das ist die Spitze des Ganzen. Ich bin von Beruf quasi Zuspitzer. Das "Profil" hat mich einmal in einem Artikel so genannt: "Der Zuspitzer". Und im "Föhn" musste ich vom Mediengesetz her die Richtung der Zeitung angeben. Bei mir hat es dort nur geheißen: Zuspitzung. Und als Zuspitzer sehe ich mich auch, die Spitze ist die Polemik. Ich kann brutaler in der Formulierung sein, je besser das mit Fakten untermauert ist.

derStandard.at: Dann ist die Selbstsicherheit da ...

Wilhelm: Einfach die Sicherheit. Meistens habe ich ja noch etwas im Talon.

derStandard.at: Wenn man Ihren Blog liest, glaubt man, Tirol liegt im Argen. Wie ist es in Tirol im Vergleich zu anderen Bundesländern?

Wilhelm: Als ich damit angefangen habe, habe ich mir gedacht, Kärnten und Niederösterreich sind sicher schlimmer. Grundsätzlich, glaube ich, gibt es den Filz überall. Mittlerweile glaube ich aber, dass es in Tirol am allerschlimmsten ist, obwohl man es nicht vermutet. Weil hier die Luft so klar ist, weil hier die Berge so schön sind, der Schnee so weiß und die Trachten so zünftig sind. Aber der Sumpf in Tirol ist sehr, sehr tief. Man glaubt, weil es ein gebirgiges Land ist, dass unterhalb von 20 Zentimeter Humus gleich einmal der Fels ist. Aber da geht es hinunter bis fast nach Neuseeland. Das ist der Sumpf in Tirol.

derStandard.at: Hat sich das seit dem Beginn Ihrer Arbeit verändert?

Wilhelm: Ja, es ist stärker geworden. Van Staa hat sehr viel angestellt, das war ein negativer qualitativer Sprung, und Platter hat das nicht abgestellt, im Gegenteil. Platter hat aufgrund seiner Schwäche dort weitergemacht, ja, weitermachen müssen, er ist dem Zugriff aus der Wirtschaft vollkommen ausgeliefert. Platter ist ein Zniachterl, er ist nicht der Dodel, aber er ist für nichts, im doppelten Wortsinn.

derStandard.at: Günther Platter hat in einem Chat mit der "Tiroler Tageszeitung" gesagt, dass er sich noch nie mit Ihnen auseinandergesetzt hat. Glauben Sie ihm?

Wilhelm: Was heißt auseinandersetzen? Ja, er hat nie mit mir geredet, das stimmt. Aber natürlich wird wahnsinnig viel über meine Webseite geredet im Landhaus und in der Parteizentrale.

derStandard.at: Wie sehen Sie das mit Blick auf den Wahlsonntag?

Wilhelm: Ich fürchte, dass es eher noch schlimmer wird. Grundsätzlich glaube ich, dass es noch schlechter werden wird, bevor es besser wird. Es wird nicht den großen Umbruch geben diesmal.

derStandard.at: Sie haben auch in der vergangenen Legislaturperiode Dinge aufgedeckt, die für Umwälzungen gesorgt haben, zum Beispiel in der Causa des ehemaligen Landesrats Switak. Sind Sie überrascht, dass es im Wahlkampf eine geringe Rolle spielt?

Wilhelm: Im Wahlkampf der Parteien spielt es eine geringe Rolle, da werden heikle Dinge bewusst draußengehalten. Aber bei den Leute draußen spielt es eine große Rolle. Switak war eine herrliche Geschichte, weil sie jeder versteht. Crossborder-Leasing versteht nicht jeder, aber die Switak-Geschichte funktioniert auch am Stammtisch.

derStandard.at: Gab es nie den Punkt in den letzten Jahren, an dem es Ihnen zu viel wurde, an dem Sie das ruhige Leben wollten?

Wilhelm: Nein, hat es nie gegeben und gibt es auch jetzt nicht. Ich mache auf jeden Fall weiter. Ob der Platter weitermacht, weiß ich nicht.

derStandard.at: Sie wollten einmal Regisseur werden. Wie sehr interessiert es Sie, Teil des Theaters Politik zu sein?

Wilhelm: Vielleicht bin ich eh irgendwie Regisseur geworden. Nein, das würde ich jetzt nicht sagen, aber es hat schon ein bisschen damit zu tun, richtig. Ich arrangiere. Ich arbeite mit den Figuren auf der Bühne, der politischen Bühne. Ich lasse sie dort auftreten nach meinem Willen. Sie sagen dort zwar ihre Sätze, aber nach meiner Anordnung. Ich spiele mit ihnen, nicht als Menschen natürlich, aber als Figuren. Das hat schon etwas. Und macht auch Spaß. (Sebastian Pumberger, derStandard.at, 26.4.2013)