"Das ist ein Kniefall der EU vor den großen Saatgutfirmen", sagt Paradeiser-Händler Erich Stekovics aus dem Burgenland, der mehr als 3.000 Sorten im Angebot hat.

Foto: Erich Stekovics

Österreichische Umweltschützer warnen seit Wochen vor der EU-Saatgutverordnung, die die Europäische Kommission in den nächsten Wochen vorlegen soll. Diese sieht vor, dass seltenes und altes Saatgut ein Zulassungverfahren durchlaufen muss, um es legal weiterzugeben. Einer, den die Neuregelung besonders hart treffen würde, ist der Landwirt Erich Stekovics. Er lebt von der Aufzucht und dem Verkauf seltener und alter Paradeisersorten.

Kosten für Registrierung in Millionenhöhe

Der Burgenländer hat rund 3.000 Paradeiserarten im Sortiment, die zum Teil tausende Jahre alt sind. Sollte die Verordnung in Kraft treten, müsste Stekovics alle 3.000 Sorten registrieren lassen, um deren rares Saatgut auch in Zukunft legal zu erwerben. "Das Zulassungsverfahren pro Sorte kostet insgesamt 1.000 Euro. Würde ich alle Sorten registrieren lassen, wären das Kosten in Millionenhöhe", so der Landwirt.

Als Drahtzieher hinter der geplanten Verordnung sieht Stekovics vor allem die großen Saatgutkonzerne. "Das ist ein Kniefall der EU vor den Saatgutfirmen, die mit der Neuverordnung Riesengeschäfte machen", meint er. "Und das ist purer Lobbyismus." Denn diese Konzerne hätten gemerkt, dass die Konsumenten immer mehr alte Sorten kauft, und zwar in immer größeren Mengen. "Dieser Markt wird also immer größer, das ist den Großkonzernen ein Dorn im Auge", so der Paradeiser-Händler.

Kritikpunkt: Zulassungsverfahren

Auch die Umweltschutzorganisationen sehen das Hauptproblem der Verordnung im Zulassungsverfahren, sagt Iga Niznik von der Arche Noah: "Nach der neuen Regelung darf altes und seltenes Saatgut nur mehr dann kommerziell weitergegeben werden, wenn es einem Zulassungsverfahren unterzogen wird."

Das Lebensministerium hingegen betont, dass noch nicht alle Details endgültig vorlägen. "Erst nach dem Kommissionsvorschlag beginnen die Verhandlungen dazu auf Ratsebene und auf Ebene des Europäischen Parlaments", sagt eine Sprecherin von Minister Nikolaus Berlakovich (ÖVP). Mit einer endgültigen Entscheidung sei erst in ein paar Jahren zu rechnen. Dennoch wolle man die österreichischen Bauern tatkräftig unterstützen, heißt es aus dem Ministerium.

Alte und seltene Sorten sorgen für Artenvielfalt

Die NGOs sind in erster Linie um die Artenvielfalt besorgt. "Alte und seltene Pflanzensorten zeichnen sich vor allem durch ihre Genvielfalt aus", erklärt Niznik. "Das heißt, dass sie Früchte in ganz unterschiedlicher Form und Farbe hervorbringen." Ganz im Gegensatz dazu verhielten sich die Industriesorten, die in Richtung Uniformität gezüchtet seien.

Aufgrund ihrer langen Entwicklungszeit hätten alte und seltene Pflanzensorten außerdem eine große Resistenz gegenüber Schädlingen und Klimabedingungen aufgebaut, so Niznik. Aber nicht nur das, wie Erich Stekovics unterstreicht: "Bei den Paradeisern unterscheiden sich die alten und seltenen Sorten von den Industriesorten vor allem durch ihren Geschmack und das intensive Aroma. Die eine Tomate schmeckt nach Kiwi, die andere nach Champignon oder Erdbeere."

Selbst Verschenken illegaler Akt

Laut geplanter EU-Neuregelung dürfen die alten und seltenen Sorten aber nicht mehr von ihren Hauptproduzenten, den Bauern, weitergegeben werden. "Selbst das Weiterverschenken von seltenem und altem Saatgut ist dann ein illegaler Akt", sagt Niznik. Die Weitergabe ist nur möglich, wenn man die Sorten bei einem Zulassungsverfahren registrieren lässt. Allerdings muss man dafür nachweisen können, dass die Sorte bereits vor Inkrafttreten der Verordnung am Markt war.

"Das würde neu entdeckte Sorten oder Sorten, die aus der Kreuzung alter Arten hervorgehen, ausschließen", so Niznik. "Und die Beweislast, dass das Saatgut schon am Markt war, liegt bei demjenigen, der die Sorte registrieren lassen will."

Abgabe kleiner Mengen jetzt noch frei

In Österreich sind der Verkauf und die Weitergabe von Saatgut-Kleinmengen an den Endverbraucher derzeit noch nicht reguliert. "Die Mengenangaben sind je Kulturart verschieden, da der Anbaubedarf je Flächeneinheit bei den verschiedenen Kulturarten sehr unterschiedlich ist", erklärt eine Sprecherin des Lebensministeriums. "Bei Getreidearten ist die Menge zum Beispiel auf 200 Kilogramm angesetzt."

Minister Berlakovich habe bereits klargemacht, wie wichtig ihm die Erhaltung der genetischen Vielfalt sei. "Durch neue Saatgutregelungen auf EU-Ebene darf nicht der Anbau und die Abgabe alter Landsorten beeinträchtigt werden", so die Sprecherin. Auch dürften die Produzenten dieser Raritäten nicht durch weitere Auflagen belastet werden.

Große Abhängigkeit von den Großkonzernen

Beim gängigen Industriesaatgut handelt es sich ausschließlich um Hybridsorten. "Das heißt, es ist so gezüchtet, dass es nur einjährig verwendbar ist", erklärt Heidemarie Porstner von Global 2000. "Wenn man dasselbe Saatgut ein Jahr später wiederverwendet, keimt es nicht mehr." Außerdem benötige man für die Industriesorten entsprechende Düngemittel und Pestizide. "So wird eine unglaubliche Abhängigkeit von den Großkonzernen geschaffen, die neben dem Saatgut auch Düngemittel und Pestizide verkaufen."

Aus Sicht des Lebensministeriums stellen die Hybride jedoch kein Problem dar. "Schon seit Jahrzehnten wird in Österreich und in der ganzen Welt bei Mais Hybridsaatgut angebaut und sichert den Landwirten höchste Erträge", erklärt die Sprecherin.

Konsumenten lassen sich nicht in den Markt greifen

Mittlerweile stößt das Thema auch bei der Allgemeinheit auf offene Ohren. Am 2. Mai hatten bereits mehr als 180.000 Personen eine Petition der Umweltschutzorganisationen Global 2000 und Arche Noah gegen die EU-Saatgutverordnung unterzeichnet.

"Der Grund für die große Teilnahme der Menschen ist, dass das Lebensmittel-Thema ein sehr sensibler Bereich ist. Das hat man ja auch schon beim Pferdefleischskandal gesehen", meint Erich Stekovics. "Die Konsumenten lassen sich nicht in den Einkaufswagen greifen. Sie wollen sich nicht vorschreiben lassen, welche Sorten gegessen werden dürfen."

Pflanzenvielfalt bedroht

Außerdem bedrohe die Neuverordnung das Überleben unzähliger Sorten, so Iga Niznik: "Wenn die Landwirte als Produzenten der seltenen und alten Pflanzensorten wegfallen, werden diese Arten stark zurückgehen und möglicherweise aussterben. Selbst wenn man das Saatgut irgendwo aufhebt, verliert es seine Vitalität und keimt irgendwann nicht mehr."

Zudem würde das Saatgut dadurch die ökologische Entwicklung nicht mitmachen und somit an Resistenz verlieren, sagt Niznik. "Diese Sorten wären dann nur mehr historische Artefakte und nicht mehr resistent gegen Klima und Schädlinge. Es reicht nicht, die Vielfalt zu bunkern, man muss sie anbauen." (Elisabeth Schmidbauer, derStandard.at, 2.5.2013)