Chancengleichheit für Behinderte sucht man in vielen Unternehmen heute noch vergeblich.

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Gregor Demblin will sich nicht damit abfinden, dass Menschen mit Behinderung schlechtere Chancen am Arbeitsmarkt haben. Er geht mit der Jobplattform Career Moves dagegen an.

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Rund um den Tag der Arbeit am 1. Mai sitzen zigtausende Menschen unfreiwillig zu Hause, weil ihnen eine Behinderung den Einstieg in das Berufsleben erschwert. Während 70 Prozent der Menschen ohne Behinderung eine Arbeit haben, sind es bei Menschen mit schwereren Behinderung laut Zahlen des BMASK gerade einmal ein Drittel. Auch Gregor Demblin war einer von ihnen. Nach seinem Studium wurde er bei Bewerbungsgesprächen nicht ernst genommen, da er im Rollstuhl sitzt. Daher gründete er 2009 die Online-Plattform Career Moves.

Für Menschen mit und ohne Behinderung sind dort derzeit 7.600 Jobs ausgeschrieben. Mehr als 50 Unternehmen inserieren täglich ihre Stellenangebote. Das System ist einfach und effizient: Mit Symbolen können Firmen kennzeichnen, ob Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung geeignet sind.

Angst vor Problemen mit Behinderten

Chancengleichheit für Behinderte suche man in vielen Unternehmen heute noch vergeblich, sagt Demblin: "Die Human-Resources-Abteilungen funktionieren oft wie Betonwände, weil die Verantwortlichen Angst haben, dass Probleme mit Arbeitnehmern auf sie zurückfallen."

Dabei können sich Personalmanager sowieso auf keine endgültigen Sicherheiten verlassen, gibt der Career-Moves-Gründer zu bedenken. "Es ist nicht weniger riskant, einen Menschen ohne Behinderung einzustellen." Schließlich würde man Krankheiten wie Alkoholismus, Depressionen oder ein künftiges Burn-out den Menschen auch nicht gleich ansehen.

Abschreckender Kündigungsschutz

In einem Punkt widerspricht Demblin der Meinung von vielen Behindertenvereinen: Für den Geschäftsmann ist der Kündigungsschutz für Behinderte nämlich der falsche Weg. Es brauche vielmehr einen Diskriminierungsschutz, meint er. "Ich weiß, dass das ein schwieriges Thema ist. Aber für viele tausend Bewerber bedeutet der Kündigungsschutz ein Knock-out-Kriterium. Wer aber schlecht arbeitet, muss kündbar sein - auch mit Behinderung."

Mit einer Falschinformation möchte Demblin jedoch aufräumen: Es sei eine Legende, dass behinderte Menschen generell nicht gekündigt werden können. Der "besondere Kündigungsschutz" wurde vor zwei Jahren bereits neu geregelt und damit gelockert. Demnach können behinderte Arbeitnehmer innerhalb der ersten vier Jahre gekündigt werden.

"Zwang zur Inklusion falscher Weg"

Demblin hat eine Botschaft, die er im Gespräch mit derStandard.at mehrmals wiederholt: "Es muss um die Leistung und nicht um die Behinderung gehen." Daher ist er auch "kein Freund der Quote". Denn kaum jemand wolle wegen der Quote Karriere machen. "Man will den Job, weil man als wertvoll angesehen wird", erklärt er. Ein Zwang zur Inklusion von Behinderten ist seiner Meinung nach die falsche Botschaft.

Beschäftigungslosigkeit als wirtschaftlicher Schaden

Viel wichtiger sei es, den Fokus woandershin zu richten, sagt Demblin. Neben den beschäftigungslosen behinderten Menschen erleide auch die Volkswirtschaft Schaden: Behinderte sind länger arbeitslos, beziehen häufiger Notstandshilfe und Frühpensionen. In diesen Überlegungen sind aber noch nicht einmal die Menschen einberechnet, die im Familienverband leben, in Werkstätten arbeiten und noch nie beim AMS angemeldet waren.

Der Gründer von Career Moves erkennt mittlerweile aber Einsicht auf politischer Ebene: "Das System ist so nicht mehr finanzierbar." Früher habe man es sich zu einfach gemacht: Menschen mit erworbenen Behinderungen seien meist in die Frühpension verabschiedet worden. Dadurch schienen sie in keinen Arbeitslosenstatistiken mehr auf. Doch das ist teuer, sagt Demblin, der sich stattdessen lieber mehr Inklusion am Arbeitsmarkt wünscht.

Das Wort "Inklusion" beschreibt bereits das Anliegen: Vertreter von Behindertenorganisationen betonen immer wieder, dass es nicht nur um Integration, sondern um gleichberechtigte Beteiligung in allen gesellschaftlichen Bereichen geht.

Mit Behinderung weniger ernst genommen

Gregor Demblin kann aus eigener Erfahrung erzählen, wie schnell man wegen einer Behinderung am Arbeitsmarkt übrig bleibt, wenn man kein soziales Sicherheitsnetz hat. Der heute 36-Jährige verletzte sich mit 18 Jahren auf der Maturareise bei einem Sprung ins Wasser den vierten und fünften Halswirbel. Seither ist er von den Schultern abwärts querschnittgelähmt. Der Weg zurück in ein weitgehend selbstbestimmtes Leben war lang und qualvoll: Es folgte ein Jahr der Rehabilitation, in dem er Sitzen, das Verwenden des Essbestecks, aber auch Atmen und Tasten neu erlernen musste. "Es dauerte fast fünf Jahre, bis ich mein Selbstwertgefühl zurückhatte", schätzt er.

Die körperliche Behinderung nach dem Unfall war aber nur der erste Schock, sagt Demblin: "Der zweite Schock kam, als ich realisierte, dass mich Familie, Freunde und Fremde anders wahrnehmen und behandeln." So sei es ihm beim Warten auf die Straßenbahn schon einmal passiert, dass ihm ein Fremder ungefragt einen Euro in die Hand drückte.

Entmutigende Bewerbungsgespräche

Demblin entschied sich für ein Philosophiestudium. Der regelmäßige Besuch der Uni war für ihn nur durch die Unterstützung seiner Familie und seiner Freunde möglich. Damals gab es noch keine persönlichen Assistenten, die Menschen mit Behinderung bei der Verrichtung ihres Alltag unterstützen und damit deren selbstbestimmtes Leben sicherstellen. Er schloss das Studium mit Auszeichnung ab. Erste Vorstellungsgespräche ließen ihn jedoch entmutigt zurück. Er fühlte sich nicht ernst genommen. Die Behinderung war immer das Hauptthema.

Universität statt Arbeitsmarkt

Daher studierte Demblin zunächst weiter. Das sei übrigens das Schicksal von vielen Behinderten, dass sie ewig an der Universität bleiben, berichtet Demblin. Durch Zufall lernte er jedoch bei einem Abendessen seinen zukünftigen Chef kennen. Das Arbeitsleben wurde bald zum Alltag, der ihm manchmal einfach nur ein wenig mehr Organisation abverlangte, erzählt er: "Es war dann eigentlich viel einfacher, als ich es mir vorgestellt habe."

Heute ist Demblin mit Career Moves sein eigener Chef. Doch auch in dieser Position macht er immer wieder die Erfahrung, dass er nicht ernst genommen wird. Ein Medienmanager, den er nie zuvor getroffen hatte, streichelte ihm bei der Begrüßung vor einem Meeting über den Kopf und sagte: "Gut gemacht."

Tief verwurzelte Vorurteile, Ängste und Stereotype

Dass die Vorurteile und Stereotype gegenüber Behinderten noch sehr tief in den Köpfen vieler Menschen verwurzelt sind, erklärt sich Demblin auch mit der Geschichte: "Im Zweiten Weltkrieg wurden behinderte Menschen ermordet. Danach wurden sie in Heimen untergebracht und damit wieder aus der Gesellschaft ausgesperrt." Erst seit 30 Jahren bewegt sich etwas. Inklusion ist aber erst seit wenigen Jahren ein Thema.

Dadurch, dass die meisten Menschen ohne Behinderung kaum mit Behinderten zu tun haben, entstehen zudem Scheu und Ängste im Umgang miteinander. "Was ist die politisch korrekte Sprache? Was ist verletzend? Es gibt viele Berührungsängste", weiß Demblin. In diesem Zusammenhang kritisiert er auch das österreichische Schulsystem: "Die Exklusionskultur durch Sonderschulen gehört endlich überwunden."

Spärliche Datenlage erzeugt keinen politischen Druck

Die wenigsten Menschen sind von Geburt an behindert. Laut Kuratorium für Verkehrssicherheit haben rund 8.500 Menschen in Österreich pro Jahr einen Unfall mit bleibender Behinderung. Es gibt jedoch keine einheitliche Datenlage zum Thema Menschen mit Behinderung in Österreich: Nach WHO-Kriterien haben 15 Prozent der erwerbsfähigen Bevölkerung zwischen 16 und 64 Jahren eine Behinderung. Nach den EU-SILC-Kriterien, einer Erhebung zu den Einkommen und Lebensbedingungen in der EU, sind es nur acht Prozent der Männer und Frauen in diesem Alterssegment. Das lässt sich dadurch erklären, dass zwischen Personen mit Behinderung im engeren und weiteren Sinn unterschieden wird, erklärt Demblin.

Der 36-Jährige sieht in der spärlichen Datenlage auch eine Wurzel des Problems. "Es schlummert hier viel Einsparungspotenzial. Aber man muss ein Problem auch sehen, um schnell und effizient handeln zu können", sagt er. Erst wenn die Politik mehr Daten erhebe, könne sie auch gezielter fördern.

Wirtschaftlich statt sozial

Es gehe hier nicht nur um menschliche und soziale Überlegungen, sondern auch um wirtschaftliche: "Behinderte sind nicht nur arme Figuren, die man aus 'Licht ins Dunkel' kennt, sondern Leistungsträger. Dabei handelt es sich um eine große Zielgruppe, die nicht zuletzt durch die Überalterung der Bevölkerung ständig wächst." Vielleicht sind wirtschaftliche Gedanken in diesem Zusammenhang sogar nachhaltiger, vermutet Demblin: "Denn soziale Überlegungen werden in Krisenzeiten schnell über Bord geworfen." (Julia Schilly, derStandard.at, 30.4.2013)