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Arbeitsleid in der Politik: Gefangene der "stupiden Wiederkehr des Immergleichen" auf der Wiener Rathausbühne.

 

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Einsame Gegenstimme bei einer Maikundgebung in Berlin: ein Anhänger der " Hängematte auf Lebenszeit"? - Nicht unbedingt.

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Würde heute ein Politiker oder eine Politikerin fordern, "weitet die Arbeitslosigkeit aus", er oder sie könnte sofort einpacken. Und deswegen versprechen sie über alle Parteigrenzen hinweg auch genau das Gegenteil: Arbeit, Arbeit, Arbeit. Und das, obwohl jeder weiß oder zumindest wissen könnte, wenn er nur einmal morgens oder abends den Mitmenschen in der U-Bahn oder im Bus etwas genauer ins Gesicht schauen würde: Arbeit "adelt" die Menschen nicht, wie nicht nur beim nationalsozialistischen "Reichsarbeitsdienst" behauptet wurde, sondern macht sie in aller Regel fertig.

Doch keineswegs nur die Gewerkschaftsbewegung hält an der elenden Parole "Die Arbeit hoch!" fest. Dieser Slogan steht ganz in der Tradition von Georg Büchners Aufruf "Friede den Hütten, Krieg den Palästen", der in seiner Entstehungszeit 1834 noch eine gewisse Berechtigung gehabt haben mag, heute aber zu einer Sklavenparole mutiert ist. Ginge es um das gute Leben für alle, hätte "Friede den Hütten, Krieg den Palästen" schon längst durch eine Kriegserklärung an die Hütten und die Forderung "Paläste für alle" abgelöst werden müssen.

Schon früh wurde die gleichmäßige Verteilung des Elends, nicht seine Abschaffung zum Ziel der Arbeiterbewegung. Die Vordenker der Sozialdemokratie fürchteten wohl nur eines noch mehr als den Vorwurf des "nationalen Nihilismus": als Verächter der Arbeit ins Visier des politischen Gegners zu geraten. Schon August Bebel verkündete Ende des 19. Jahrhunderts: "Die alberne Behauptung, die Sozialisten wollten die Arbeit abschaffen, ist ein Widersinn sondergleichen. Nichtarbeiter, Faulenzer gibt es nur in der bürgerlichen Welt." So muss es einen bis heute nicht wundern, dass, wenn Gewerkschaften sich innerhalb des schlechten Bestehenden als partiell vernünftig erweisen und wie 2012 in der Schweiz ein Referendum zur Arbeitsminimierung initiieren, sie auf die geballte Arbeitswut der Mehrheitsbevölkerung prallen: 66,5 Prozent der Eidgenossen stimmten allen Ernstes gegen die Verlängerung des gesetzlichen Mindesturlaubs von vier auf sechs Wochen.

Eine Kritik an solch einem Arbeitsfetischismus bedeutet jedoch nicht ein Plädoyer fürs dröge Nichtstun. Das bloße Herumhängen wird nach ein paar Tagen definitiv nervtötend und frustrierend. Das konsequente, selbst zur Ideologie gewordene far niente ist auf Dauer nicht dolce, sondern langweilig - und, angesichts der Einrichtung dieser Welt, irgendwann natürlich auch existenzbedrohend. Es geht nicht darum, die Kritik an der Arbeit als Ausrede zu verwenden, sich den Anforderungen eines mündigen - und das heißt immer auch widerspruchsvollen und mitunter ausgesprochen anstrengenden - Lebens zu verweigern und sich in der Wiederholung des Immergleichen einigermaßen bequem, aber völlig stupide einzurichten. Anzustreben wäre vielmehr, den doch offenbar in nahezu jedem Menschen schlummernden Tatendrang, die Kreativität und die Lust an der Gestaltung des eigenen Lebens vom ökonomischen Verwertungszwang zu befreien und gesellschaftliche Bedingungen zu schaffen, die eine Art produktiven Müßiggang ermöglichen würden.

Wenn das gelänge, würde, wie es in Theodor W. Adornos "Mimima Moralia" heißt, die Menschheit wohl auch "aus Freiheit Möglichkeiten ungenützt" lassen, "anstatt unter irrem Zwang auf fremde Sterne einzustürmen". (Stephan Grigat, DER STANDARD, 30.4.2013)