"Mich beeindrucken Geschichten viel mehr, in denen mit wissenschaftlicher Medizin in Krankenhäusern Ergebnisse erzielt werden, über die man vor ein paar Jahren nur gestaunt hätte. Das sind die tatsächlichen, realen Wunder", sagt Quantenphysiker Florian Aigner.

Foto: Florian Aigner

Was hat Schrödingers Katze mit Heilung zu tun? Wer besonders merkwürdige Dinge verkaufen will, versucht sie mit Quantentheorie zu erklären, sagt Quantenphysiker Florian Aigner.

derStandard.at: Im Internet kursieren Werbeslogans zur Quantenheilung wie "Spirituelles Botox! Wirkt sofort - und jeder kann es lernen"? Was halten Sie davon?

Aigner: Spirituelles Botox trifft es ganz gut. Botox ist ein Nervengift, das lähmt. Quantenheilung ist eine reine Verkaufsstrategie. Sie ist keine Medizin und hat nichts mit Heilung zu tun. Ich möchte keinen Zweifel daran lassen, dass ich aus wissenschaftlicher Sicht keinen Funken Positives daran erkennen kann.

derStandard.at: Quantenheiler sagen selbst, dass sie die Quantenheilung nicht erfunden haben. Es habe sie von Beginn der Menschheit an gegeben. Wie kommt es dann zu diesem Boom?

Aigner: Das stimmt. Die Dinge, die zurzeit unter Quantenheilung laufen, sind nichts Neues. Handauflegen als Therapie hat es schon immer unter verschiedenen anderen Namen gegeben. Doch werden diese Techniken mit Bezeichnungen aus der Physik versehen, kann man sie eben besser verkaufen.

derStandard.at: Von Schrödingers Katze bis zum Doppelspaltexperiment reichen die Schlagworte, die für Quantenheilung herangezogen werden. Was hat diese mit Quantenphysik zu tun?

Aigner: Eigentlich gar nichts. Doppelspaltexperiment und Schrödingers Katze sind wissenschaftliche Begriffe und wichtige Gedankenexperimente. Sie werden allerdings nicht schlüssig in die Quantenmedizin eingebracht. Es bleibt immer beim Zitat. Es gibt nur Analogieerklärungen, aber zwischen der Quantenphysik und dem menschlichen Wohlbefinden wird keine logische Brücke gebaut.

Das ist so, wie wenn ich Ihnen sage: "Ich erkläre Ihnen jetzt, wie ein Auto funktioniert, da drehen sich die Räder, und im Atom dreht sich auch ein Elektron um den Atomkern, und deshalb fährt das Auto." Das ist keine Erklärung. Ich könnte eine logische Brücke bauen und alle Schritte erklären, von den fundamentalen Gesetzen der Natur bis zum Auto. Doch dieses logische Brückenbauen wird im Fall der Quantenheilung eben nicht praktiziert. Man nimmt willkürlich Sätze aus der Quantenphysik und legt sie auf ganz andere Bereiche des Lebens um.

derStandard.at: Wie zum Beispiel beim Gemeinplatz "Alles ist gleichzeitig"?

Aigner: Genau. Naturwissenschaft funktioniert nicht bloß über hübsch klingende Analogien, wie etwa die Aussage: "Es gibt einen positiv geladenen Atomkern und ein negativ geladenes Elektron, und deswegen ist im Leben alles positiv oder negativ." Das ist ein Gleichnis und keine Begründung. Es ist wissenschaftlich bedeutungslos.

derStandard.at: Warum brauchen parawissenschaftliche Lehren die Wissenschaft als seriöses Fundament?

Aigner: Wir leben in einer Welt, in der Wissenschaft so etwas wie Autorität hat, das ist ja auch gut so. Dadurch ist es logisch, dass jemand, der eine Therapie verkaufen will, auf etwas zurückgreift, das wissenschaftlich klingt. Die Quantenphysik ist hier besonders gut einsetzbar: Sie ist eine Theorie, die dem Durchschnitt der Bevölkerung relativ unbekannt ist und mit der man den Menschen ziemlich alles einreden kann.

Noch dazu hat sie so nette konterintuitive Bestandteile: Ein Teilchen kann hier und dort gleichzeitig sein. Zwei Teilchen können verschränkt sein, so dass man sie gar nicht ohne Weiteres als zwei Teilchen, sondern nur als ein Quantenobjekt betrachten kann. Das sind Aspekte, bei denen man zweimal hinschauen muss, weil sie auf den ersten Blick nicht mit unserer Alltagswelt zusammenpassen wollen. So ist es nicht verwunderlich: Wenn ich besonders merkwürdige Dinge verkaufen will, versuche ich, sie mit der Quantentheorie zu erklären. Aus marktwirtschaftlicher Sicht ist das ein logischer Schritt, aus wissenschaftlicher Sicht macht das keinen Sinn.

derStandard.at: Warum ist die Quantenphysik eine ideale Projektionsfläche für pseudowissenschaftliches Gedankengut?

Aigner: Wäre die Welt so gebaut, dass wir die Effekte der Quantenphysik täglich wahrnehmen könnten, dann käme uns das alles vollkommen normal vor. Quantenphysik wirkt auf uns nur deshalb so merkwürdig, weil Quanteneffekte normalerweise nur in ganz besonderen Situationen sichtbar werden - etwa wenn man winzig kleine Objekte speziell präpariert und beobachtet. Trotzdem ist die Quantenphysik eine wissenschaftliche Theorie wie andere auch: Man hat mathematische Formeln, man rechnet, und am Schluss kommt eine Zahl heraus.

derStandard.at: Einerseits beruft sich die Quantenheilung also auf den wissenschaftlichen Überbau, andererseits betonen die Anbieter selbst: Quantenheilung kann und muss nicht wissenschaftlich erklärbar sein. Ist das nicht ein Widerspruch?

Aigner: Ja, diesen Widerspruch findet man oft aus der Quanten-Esoterik. Es heißt: "Ihr Wissenschaftler wisst ja nur nicht, wie es funktioniert, und deshalb glaubt ihr uns nicht." Doch das zeigt nur, dass diese Leute nicht verstanden haben, wie man Wissenschaft betreibt. Erst vor wenigen Jahrzehnten ist der Wirkmechanismus von Aspirin entschlüsselt worden. Trotzdem hat auch vorher jeder Arzt Aspirin verordnet. Das ist mit vielen anderen Medikamenten so. Sie wirken, und deshalb verwende ich sie. Auch wenn ich nicht weiß, wie ein Phänomen funktionieren kann, ist es mir möglich zu untersuchen, ob es das Phänomen überhaupt gibt. Und da stellt sich bei der Quantenheilung immer wieder heraus: Nein, die behaupteten Effekte sind einfach gar nicht da. Damit ist die Sache erledigt.

derStandard.at: Es gibt Studien, die über die erwiesene positive Wirkung von Quantenheilung berichten.

Aigner: Manchmal wird das so dargestellt, doch was wird untersucht? Stress sinkt im Schnitt um 30 Prozent. Die Lebensqualität steigt um 36 Prozent. Ich teste hier Dinge, die ich unmöglich quantifizieren kann. Aussagen auf die Frage "Wie gut ist Ihre Lebensqualität?" mit Prozentangaben zu versehen ist ein wissenschaftlicher Fehler. Darüber hinaus sprechen die Bereiche Stress und Lebensqualität massiv auf Autosuggestion an.

derStandard.at: Apropos Autosuggestion: Wie stehen Sie den psychologischen Aspekten bei der Heilung von Menschen gegenüber?

Aigner: Es ist sehr wichtig, die psychologischen Aspekte mitzudenken, und es ist spannend zu lesen, wie unterschiedlich gut unterschiedliche Placebos wirken. Wir sind unglaublich stark geprägt von unserer Erwartungshaltung. Das spricht nicht gegen uns oder unsere Intelligenz, wir sind nun einmal so gebaut. Es ist sicher ein massiver Fehler unseres Gesundheitssystems, diesen Aspekt zu wenig zu berücksichtigen. Wenn ich heute unspezifische Schmerzen habe und zum Arzt gehe, macht er ein paar Tests und schickt mich heim, weil draußen noch viele Patienten warten. Wenn ich zum Quantenheiler gehe, habe ich die Möglichkeit, mir zuhören zu lassen, und dann geht es mir tatsächlich besser. Nicht, weil er Quantenenergien hat, sondern weil sich jemand Zeit nimmt.

derStandard.at: Da und dort ist zu lesen, dass es bei der Quantenheilung im Prinzip um die liebevolle Zuwendung geht. Um Wahrgenommenwerden und Selbstwahrnehmung.

Aigner: Wenn das so dargestellt ist, habe ich kein Problem damit, aber bitte lasst die Quantenphysik draußen. Ein Mensch, der sich Zeit nimmt für die Patienten, leistet einen wertvollen Dienst. Die Klienten von Quantenheilern sagen allerdings nicht: "Es geht mir besser, weil mir jemand zugehört hat", sondern "Es geht mir besser wegen der Quanten-Schwingungen". Da fängt es an, problematisch zu werden: wenn man Dinge, die tatsächlich in gewisser Weise wirken, mit Theorien überfrachtet, die damit gar nichts zu tun haben.

derStandard.at: Es gibt eine Vielfalt an Quantenheilungs-Ausbildungsangeboten, vom Grundkurs bis hin zu Master 1, Master 2, Diät, Tiere, Pflanzen ... Diese Kurse kosten nicht die Welt. Kann es sein, dass die Anbieter eher Idealisten als Geschäftsleute sind?

Aigner: Die Community finanziert sich zu einem großen Teil über die Ausbildung, gar nicht unbedingt über die Heilung selbst. Das ist ein psychologisch schlauer Trick. Wer für einen Kurs bezahlt hat, fühlt sich besser, weil er die verbriefte Expertise hat. Man kann sich als Experte fühlen und wird sicher nicht schlecht über diese Methode reden oder gar draufkommen, dass sie nicht funktioniert. So bildet man eine Jüngerschaft.

derStandard.at: Eine Chirurgin und Quantenmedizinerin schreibt: "Wir müssen erkennen, dass wir selbst Meister unseres Schicksals sind. Wir haben die freie Entscheidung, was wir sein möchten! Natürlich möchte kein Mensch krank und deprimiert sein!" Wird mit solchen Aussagen nicht massiver Druck auf kranke und leidende Menschen ausgeübt?

Aigner: Solche Aussagen geben dem kranken Menschen die Schuld am eigenen Befinden. Dieses Abwälzen von Schuld ist ein Punkt, an dem ich echt sauer werde. Man redet den Leuten schlechtes Gewissen ein: Wenn du die Krankheit nicht wegbringst, dann hast du nicht die richtige Einstellung. Die Einstellung zur eigenen Gesundheit kann in der Tat einen Effekt haben, eben deshalb wirken auch Placebos. Aber das ist nicht die ganze Medizin. Es gibt physisch reale Leiden, Krankheiten, die man nur mit Medikamenten behandeln kann. Da soll mir einmal jemand sagen, wie ich durch meine positive innere Einstellung einen Blinddarmdurchbruch wegbringe.

derStandard.at: Auf den Webseiten diverser Quantenheiler kursieren Patienten-Fallbeispiele von Heilungen des kaputten Knies bis zu Multipler Sklerose. Was sagen Sie dazu?

Aigner: Fallbeispiele finden sich immer. Sie haben null Aussagekraft. Da beeindrucken mich Geschichten viel mehr, in denen mit wissenschaftlicher Medizin in Krankenhäusern Ergebnisse erzielt werden, über die man vor ein paar Jahren nur gestaunt hätte. Das sind die tatsächlichen, realen Wunder, über die man berichten sollte. Eine Heilung ist ja nicht weniger wunderbar, wenn ich sie wissenschaftlich erklären kann. Man müsste sich also nur einmal ansehen: Wie viele wissenschaftlich reale Wunderheilungen gibt es jeden Tag im AKH in Wien? Über diese redet nur niemand. (Eva Tinsobin, derStandard.at, 3.5.2013)