Wien - Wiener Wissenschafter haben mit einer aufwendigen Computersimulation die Funktionsweise von Ionenkanälen berechnet. Ein Forscherteam unter der Leitung von Anna Stary-Weinzinger, Pharmakologin an der Universität Wien, hat damit den Öffnungs- und Schließmechanismus dieser Kanäle untersucht: Erstmals sahen Wissenschafter einem Protein mit mehr als 400 Aminosäuren bei der "Arbeit" zu, sie entdeckten auch die Schlüsselrolle der Aminosäure von Phenylalanin. Ermöglicht wurde dies durch die Rechenleistung des Vienna Scientific Cluster (VSC), dem schnellsten Computer Österreichs. Ihre Erkenntnisse publizierten sie jetzt in der Fachzeitschrift "PLOS Computational Biology".

Der Hintergrund: Jede Zelle unseres Körpers grenzt sich von der Umgebung durch eine dünne Membran ab. Um ihre biologischen Funktionen aufrecht zu halten und Signale weiter zu leiten, gibt es in der Membran spezielle Proteine, sogenannte Ionenkanäle, durch die Ionen in Zellen einströmen oder wieder herausgepumpt werden. Anna Stary-Weinzinger und Tobias Linder von der Universität Wien sowie Bert de Groot vom Max Planck Institut für Biophysikalische Chemie in Göttingen fanden nun heraus, dass beim Öffnungs- und Schließmechanismus von Ionenkanälen der Aminosäure F114 (Phenylalanin) eine wichtige Schlüsselrolle zukommt. Sie dient gewissermaßen als Startsignal für die Öffnungsbewegung von Ionenkanälen.

Kleine Ursache, große Wirkung

"Diese Proteine sind hochselektiv für unterschiedliche Ionen wie Natrium, Kalium und Chlorid und ermöglichen je nach Bedarf eine enorme Durchflussrate von bis zu 100 Millionen Ionen pro Sekunde", erklärte Anna Stary-Weinzinger vom Department für Pharmakologie und Toxikologie der Universität Wien. "Diese molekularen Schaltstellen steuern eine Vielzahl von lebenswichtigen Körperfunktionen wie die Weiterleitung von Nervenimpulsen, Regulierung unseres Herzrhythmus und Freisetzung von Neurotransmittern. Bereits leichte Funktionsstörungen der Kanäle, ausgelöst durch den Austausch einer einzigen Aminosäure, können zu schweren Erkrankungen wie Herzrhythmusstörungen, Migräne, Diabetes, bis hin zur Entstehung von Krebs führen", fügte sie hinzu.

Ionenkanäle sind wichtige Angriffspunkte zahlreicher Medikamente. Zehn Prozent der eingesetzten Arzneimittel erzielen ihre Wirkung durch Interaktion mit diesen Zellstrukturen. Die Erforschung dieser Proteine hilft deshalb auch der Entwicklung neuer Arzneimittel.

Moleküldynamik-Simulationen

Um diesen Proteinen auf atomarer Ebene bei der Arbeit - beim Öffnen und Schließen - zusehen zu können, sind aufwendige Moleküldynamik-Simulationen am Computer erforderlich. Der für diese Analyse notwendige Rechenaufwand konnte mit Hilfe des Vienna Scientific Cluster (VSC), dem schnellsten Computer Österreichs, der von der Universität Wien, der Technischen Universität Wien und der Universität für Bodenkultur betrieben wird, geleistet werden. Mit Hilfe des VSC war es auch erstmals möglich, für ein großes Protein mit mehr als 400 Aminosäuren die Energieunterschiede zwischen offenem und geschlossenem Zustand zu ermitteln.

Dabei stellte sich heraus, dass die Bewegung der Aminosäure Phenylalanin ein entscheidender Faktor der Funktion des Ionenkanals ist. "Dieser Phenylalaninrest dient als Schalter, um den Ionenkanal aus dem geschlossenen Zustand zu entsichern", erklärte Tobias Linder, Doktorand und Forschungsstipendiat der Universität Wien. Erst nach diesen lokal begrenzten Strukturveränderungen ist es dem Kanal möglich, in einer großen "globalen" Bewegung die Pore vollständig zu öffnen. Dieser Übergang vom entsicherten Zwischenzustand zur vollständig geöffneten Pore ist mit einer zweiten, sehr viel größeren Energiebarriere verbunden. (APA/red, derStandard.at, 05.05.2013)