Entweder heiß geliebt oder gehasst: Der sonntägliche "Tatort" entzweit die Nationen. Dafür verantwortlich sind mitunter die DrehbuchautorInnen, die den Grundstein für den "Tatort" legen. derStandard.at erwischte Verena Kurth per Mail in Berlin. Sie schrieb den letzten österreichischen Tatort "Zwischen den Fronten", bekam vor kurzem die Romy verliehen und erzählt über ihre Arbeit was für sie einen perfekten "Tatort" ausmacht.
derStandard.at: Wie kamen Sie zu ihrem Job?
Kurth: Zunächst war ich Dramaturgin an verschieden großen Theatern, unter anderem dem Theater in der Josefstadt und dem Schauspielhaus Zürich, aber das Schreiben war immer meine Leidenschaft. Es hat halt nur ein wenig gedauert, bis etwas von mir an die Öffentlichkeit kam.
derStandard.at: Die meisten Drehbuchautoren beim "Tatort" sind männlich. War es schwierig, sich als Frau zu etablieren oder spielt das Geschlecht in der Branche gar keine Rolle?
Kurth: Der Fernsehkrimi sollte nach dem Willen der Herren schon Männersache bleiben. Aber davon kann frau sich doch nicht abhalten lassen, oder? Krimi, Thriller, Justizdrama, das sind Erzählformate, die mich interessieren und die ich meistens schreibe. Der "Tatort" war natürlich immer ein Ziel. Ich hoffe jetzt, dass der zweite und dritte bald folgen werden.
derStandard.at: Wie lange schreibt man an einem "Tatort"-Drehbuch?
Kurth: Das ist schwer zu sagen, denn die Entwicklung eines Stoffes von der Idee bis zum fertigen Buch kann sich schon eine Weile hinziehen. Wenn man Glück hat, dauert es etwa ein halbes Jahr, meist aber viel länger.
derStandard.at: Wie lassen Sie sich inspirieren? Wie entsteht die grundlegende Idee für eine Folge?
Kurth: Es gibt Themen, die mich beschäftigen. Jeder Mensch hat ja seine Interessen. Das sind persönliche Schicksale oder politische und gesellschaftliche Strömungen, die ich verfolge und darin Geschichten entdecke, die man verdichten und aufschreiben kann. Inspiration kommt aus Begegnungen mit Menschen, dem Lesen der Zeitung und eigenen Abenteuern.
derStandard.at: Die österreichischen ErmittlerInnen sind starke Charaktere. Inwiefern haben Sie Moritz Eisner und Bibi Fellner beim Schreiben im Hinterkopf?
Kurth: Das ist das Um und Auf, wenn man für ein existierendes Ermittler-Team schreibt. Die Schauspieler sind immer präsent. Ihre Figuren haben Eigenarten und Besonderheiten beim Ermitteln, ihren Stil, ihre Art mit Verdächtigen zu reden. Das prägt den Stoff und die jeweilige Geschichte. In einer humorfreien Zone sind Moritz Eisner und Bibi Fellner doch gar nicht vorstellbar.
derStandard.at: Welche Spezifika muss man als "Tatort"-Drehbuchautorin beim Schreiben beachten? Gibt es gewisse Regeln, die besonders für das Format "Tatort" gelten?
Kurth: Ein Mord sollte schon sein ;-) Und der "Tatort" ist üblicherweise ein klassisches Whodunit. Es gibt natürlich immer wieder Abweichungen und erzählerische Experimente. Ich bin da eher ein Klassiker. Wo Krimi draufsteht, möchte ich auch einen Mord sehen und nach dem Täter forschen. Die Vorgaben, die ein Autor bekommt, hängen mit der jeweiligen Redaktion im Sender zusammen, wie experimentierfreudig ein Redakteur ist.
Nehmen Sie zum Beispiel den mittlerweile leider eingestellten Hamburger Tatort mit Cenk Batu (gespielt von Mehmet Kurtulus). Da war die Hautpfiguer ein verdeckter Ermittler, der in die Welt der Verbrecher eindrang. Das war etwas ganz anderes, ich fand, das waren großartige Filme. Aber die Zuschauer haben es nicht mit ausreichender Quote honoriert. Leider.
derStandard.at: Sie kennen wahrscheinlich die Parodie auf den inhaltlichen Ablauf eines "Tatorts". Gerade der "Tatort" arbeitet auch oft mit erzählerischen Klischees. Wie stehen Sie dazu?
Kurth: Die Parodie kenne ich nicht. Aber es spricht doch für das Format, wenn kreative Köpfe sich die Mühe machen, es zu parodieren.
derStandard.at: In den sozialen Netzwerken gibt es eine riesige "Tatort"-Community, die während der Ausstrahlung twittert, postet, diskutiert. Verfolgen Sie das mit uns was sagen Sie dazu?
Kurth: Bei meinem "Tatort" habe ich das ein bisserl verfolgt und war ganz begeistert, was gerade die jungen Zuschauer an dem Film mochten und spannend fanden. Wenn ich selber Tatort von Kollegen schaue, bin ich in erster Linie mit dem Schauen beschäftigt. Da bin ich ein wenig altmodisch, zuerst schauen, dann kommentieren.
derStandard.at: Was ist für Sie das Spezielle am "Tatort"?
Kurth: Die Anbindung der Geschichte an den jeweiligen Schauplatz und an die Ermittler. Ein Stoff, der für Wien spannend ist, kann für Frankfurt völlig uninteressant sein.
derStandard.at: Wie lange wird es glauben Sie den "Tatort" geben?
Kurth: So lange es öffentlich-rechtliches Fernsehen gibt.
derStandard.at: Welches Projekt planen Sie als nächstes?
Kurth: Gerade schreibe ich an einem neuen "Schnell ermittelt" Film mit dem Titel "Leben", der im Sommer gedreht wird und entwickle einen neuen "Tatort" für Neuhauser und Krassnitzer, der sich mit den menschlichen Abgründen des Raubtierkapitalismus beschäftigt. (Lisa Stadler, derStandard.at, 17.5.2013)