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Diese Frau verlor im November ihre Tochter bei einem Brand in einer Textilfabrik in Bangladesch. Trotz des Einsturzes einer weiteren Fabrik öffneten am Donnerstag alle rund 4.500 Betriebe wieder.

Foto: AP/Frayer

Das Fabrikunglück von Savar hat den Blick auf die schockierenden Arbeitszustände in der Textilindustrie von Bangladesch gelenkt. Inzwischen wurden fast 500 Tote aus den Trümmern des Gebäudekomplexes Rana Plaza geborgen, der vor einer Woche eingestürzt war. Und noch immer werden hunderte Arbeiter vermisst. Mehr als 2.400 Menschen wurden verletzt, viele von ihnen verloren Gliedmaße.

Über Tage probten Näherinnen den Aufstand und demonstrierten auf den Straßen. "Keine Toten mehr. Keine Tragödien mehr", stand auf ihren Plakaten. Sie fordern mehr Sicherheit. In vielem erinnern die Zustände in Bangladesch an die Anfänge der industriellen Revolution im Westen, als Fabrikbesitzer das Elend der Massen ausbeuteten. Auch Papst Franziskus fand nun klare Worte für das, was in Bangladesch passiert: " Das nennt man Sklavenarbeit."

Nähstube der Welt

Bangladesch ist neben China die Nähstube der Welt. Drei bis vier Millionen Menschen, 80 Prozent davon Frauen, weben, färben, schneiden und nähen hier die T-Shirts, Jeans, Hemden und Kleider, die im Westen verkauft werden. 60 Prozent der Waren gehen nach Europa. Weil hier ein Heer an verzweifelten Armen wartet, lassen zahlreiche Konzerne hier produzieren. Die Arbeiter sind noch billiger als in Indien, Kambodscha, Vietnam oder China. Amirul Haque Amin, Präsident der Nationalen Textilarbeiter Vereinigung, kämpft seit 1984 für bessere Arbeitszustände in der Branche. Er sieht die profitablen Westkonzerne in der Pflicht.

Die Hälfte der knapp 5000 Textilfabriken gelten als potenzielle Todesfallen. Elementare Sicherheitsmaßnahmen werden missachtet. Notausgänge sind versperrt, Fenster wie in Gefängnissen vergittert, damit die Arbeiter nicht stehlen. Zuletzt starben im November 2012 mehr als hundert Menschen in einem Fabrikfeuer - die meisten, weil sie nicht flüchten konnten.

Viele Gebäude, wie die Unglücksfabrik Rana Plaza, weisen Risse auf: Pfusch am Bau ist Alltag in Südasien. Seit Jahren drängen die Gewerkschaften die Westkonzerne, zumindest ein "Abkommen zum Feuerschutz und Gebäudesicherheit" zu unterschreiben. Doch bisher haben nur zwei Unternehmen unterzeichnet - eine US-Marke und Tchibo.

39 Euro Verdienst pro Monat

Ähnlich sieht es bei den Löhnen aus. 39 Euro verdiene eine Arbeiterin im Durchschnitt pro Monat, erzählt Amin, sogar für Bangladesch zu wenig zum Leben. Doch die Westriesen feilschen um jeden Cent - und schieben die Schuld den westlichen Käufern zu. Diese verantworteten mit ihrer "Geiz ist geil"-Mentalität die Hungerlöhne. Diese Lesart ist jedoch zweifelhaft: Die Lohnkosten machten gerade ein bis drei Prozent vom Endpreis aus, errechneten Kritiker wie die Kampagne für "Saubere Kleidung".

25 Prozent flössen dagegen in Werbung, 50 Prozent an die Konzerne. Selbst wenn die Löhne verdoppelt würden, schlage das kaum zu Buche. Bei einer Jeans von 100 Euro wären es nur ein bis drei Euro mehr. Bei einem T-Shirt von fünf Euro fünf bis 15 Cent. Das könnten die Unternehmen aus ihren Profiten bestreiten, meint Amin. Viele Westkonzerne vergeben die Zuschläge an Lieferanten. Diese reichen die Aufträge oft weiter an Subfirmen. Geht etwas schief, sind meist nur die Subfirmen dran. Selbst auf Zertifizierungsfirmen ist nicht immer Verlass. Manche übersehen gegen Schmiergeld schon mal Mängel. Doch nicht nur die Billigfirmen, auch Bangladeschs Politik spielt mit, zumal die Westriesen drohen, in andere Länder abzuwandern.

Die irische Billigbekleidungsfirma Primark und die kanadische Firma Loblaw haben nun angekündigt, die Opfer der eingestürzten Textilfabrik in Bangladesch entschädigen zu wollen. Details würden bald veröffentlicht. (Christine Möllhoff, DER STANDARD, 3.5.2013)