Bild nicht mehr verfügbar.

Für mindestens fünf Prozent der österreichischen Arbeitnehmer reicht der Lohn nicht aus, um ein Leben zu finanzieren.

Foto: APA/Karl-Josef Hildenbrand

Bild nicht mehr verfügbar.

Auch in Deutschland lodert die Mindestlohndebatte immer wieder hoch. (Bild: Eine deutsche Gewerkschafterin demonstriert für einen gesetzlichen Mindestlohn)

Foto: AP/Meissner
Grafik: Der Standard

Brot und Lohn sind ein Paar für die Ewigkeit, möchte man meinen. Doch nicht jeder, der arbeitet, verdient auch genug, um sich ein Leben in Österreich leisten zu können. Deswegen wird immer öfter der Ruf nach einem Mindestlohn laut. Einem Mindestlohn, der für alle gilt, die arbeiten - unabhängig von Branche und Beruf.

Mindestlöhne in Europa

In der EU haben 20 der 27 Mitgliedsstaaten entsprechende Regelungen. Luxemburg ist Vor- und Spitzenreiter beim Mindestlohn. 10,83 Euro gelten derzeit als Untergrenze für den Stundenlohn, für qualifizierte Arbeitnehmer sind es 20 Prozent mehr. Luxemburg war das erste europäische Land mit einem Mindestlohn, er wurde 1944 eingeführt. Bereits seit 1950 hat Frankreich einen Mindestlohn, derzeit liegt die Grenze bei 9,43 Euro. Die niedrigsten Mindestlöhne in der EU haben die acht osteuropäischen Mitgliedsstaaten.

Löhne in Österreich

Einen Mindestlohn im engeren Sinn kennt Österreich nicht. Über die Kollektivverträge gibt es aber einen De-facto-Mindestlohn. Im Jahr 2007 einigten sich die Sozialpartner darauf, dass Vollzeitbeschäftigte nicht weniger als 1.000 Euro brutto im Monat verdienen sollten. Netto entspricht das etwa 850 Euro, 14-mal im Jahr. Daran, dass es auch heute noch Arbeitnehmer gibt, die trotz Arbeit an der Armutsgrenze dahinschrammen, ändert das aber nichts.

Working Poor

Als Working Poor, also Menschen, die trotz Jobs nicht ausreichend Geld zum Leben haben, bezeichnet man Arbeitnehmer, die weniger als zwei Drittel des Medianeinkommens verdienen. Im Jahr 2011 lag dieses bei 24.843 Euro brutto im Jahr. Sie gelten als armutsgefährdet. Allerdings macht man es sich Österreich dabei ein wenig leicht. Zur Definition und statistischen Auszählung von Working Poor nimmt man nicht das individuelle Einkommen, sondern das "äquivalisierte Haushaltseinkommen". Das heißt, es wird das Einkommen aller im Haushalt lebenden Menschen zusammengezählt. Mit dieser Berechnung kommt man in Österreich auf eine Working-Poor-Rate von fünf Prozent der Beschäftigten.

Über die tatsächliche Armutsgefährdung sagt das nicht viel aus. Denn etwa ein gut verdienender Lebenspartner oder Transferleistungen des Sozialstaats heben natürlich das Haushaltseinkommen, der Stundenlohn bleibt aber gering. "Stellte man die Berechnungen der Rate auf individueller Ebene an, wäre die Quote bei Frauen um das Sechsfache, bei Männern um das Doppelte höher", erklärt Manfred Krenn, Arbeitssoziologe beim Forschungsinstitut Forba, im Gespräch mit derStandard.at.

Niedriglohnbezieher

Neben den Working Poor gibt es noch die Niedriglohnbezieher. Als solcher gilt, wer weniger als zwei Drittel des Medianstundenlohns verdient. Das betrifft in Österreich rund 15 Prozent der Arbeitnehmer. Rund die Hälfte aller geringfügig Beschäftigten sind Niedriglohnbezieher, darunter vor allem Frauen. Generell sind die Löhne in Branchen, die einen hohen Frauenanteil aufweisen, niedriger: Dienstleistungen wie Tourismus, Gastronomie und Handel sind ganz vorne dabei. Generell sei der österreichische Arbeitsmarkt durch hohe Lohnspreizungen zwischen den Branchen und den Geschlechtern gekennzeichnet, sagt Krenn.

Im Zuge der Wirtschaftskrise 2008/09 sank auch die Zahl der Working Poor in Österreich. Das wiederum hängt direkt mit der steigenden Arbeitslosenzahl zusammen. Denn, so Krenn: Jene mit geringem Einkommen haben auch die unsichersten Arbeitsplätze. Griffig zusammengefasst wird das mit dem englischen Schlagwort: Low pay, no pay. Menschen mit ohnehin niedrigen Löhnen sind laut Krenn die Ersten, die von Jobkürzungen und Krisen betroffen sind und dann - wenn überhaupt - letztlich wieder in schlecht bezahlten Jobs landen.

So landet die Forderung nach einem gesetzlich verankerten Mindestlohn immer wieder in der politischen Debatte. Die Grünen haben sich unlängst anlässlich des 1. Mai zu Wort gemeldet. Parteichefin Eva Glawischnig fordert einen gesetzlich verankerten Mindestlohn von monatlich 1.450 Euro brutto für Unselbstständige.

Forderung nach Mindestlohn

Ein gesetzlicher Mindestlohn würde letztlich für alle gelten, branchenübergreifend und auch für diejenigen, die derzeit nichts von kollektivvertraglichen Lohnverhandlungen haben: atypisch Beschäftigte wie zum Beispiel freie Dienstnehmer. Die bisher durchgesetzten 1.000 Euro als Untergrenze bezeichnet Krenn als nicht schlecht, aber der berechnete Stundenlohn gemessen am Medianeinkommen wäre immer noch ein Armutslohn, so der Arbeitssoziologe.

Grundsätzlich sorgt in Österreich die Sozialpartnerschaft für Quasi-Mindestlöhne. So gut wie alle Branchen werden hierzulande durch einen Kollektivvertrag abgedeckt. Laut Gewerkschaftsbund sind es derzeit 98 Prozent. Zu den fehlenden zwei Prozent zählen Freiberufler wie Notare und Anwälte.

Gegner des Mindestlohns kommen oft aus einer gewerkschaftsnahen Richtung. Dabei gibt es die Furcht, eine konservative Regierung könnte den Mindestlohn einfach einfrieren. Mit der Inflation wäre dieser irgendwann nur noch ein hohles Konstrukt. Stattdessen gilt als Argument für die kollektivvertraglichen Entscheidungen, dass so schließlich die Gewerkschaft ebenfalls ein Mitspracherecht hat und einmal pro Jahr über die Gehälter einer Branche nachdenkt.

Gegner aus der Wirtschaft

Naturgemäß kommen Gegner des Mindestlohns aber mindestens genauso häufig wie aus der wirtschaftsnahen Ecke. Mindestlohn heißt Eingriff in den Arbeitsmarkt - und der Arbeitgeber muss mehr zahlen. Dass das den Unternehmern nicht sonderlich schmeckt, verwundert nicht. Andererseits würde gerade in Österreich die Pflichtmitgliedschaft von Unternehmen bei der Wirtschaftskammer eine gewisse Sicherheit bei den Lohnverhandlungen mit sich bringen, glaubt Arbeitssoziologe Krenn. Firmen könnten hier nicht so leicht ausscheren. Problematisch sei aber sicher, dass die Gewerkschaften in den einzelnen Branchen unterschiedlich stark sind.

Einen Mindestlohn auf gesetzlicher Basis diskutieren derzeit auch die Deutschen heiß. Ein Vorstoß von Rot-Grün rüttelt mittlerweile in Berlin sogar die Anti-Mindestlohn-Bastion FDP durch. Vorsichtig öffnet sich die wirtschaftsliberale Partei der Idee einer Lohnuntergrenze, auch wenn man nach wie vor nicht müde wird zu betonen, ein branchenübergreifender Mindestlohn könne eine Gefahr für Wachstum und Arbeitsplätze sein.

Ob dem wirklich so ist, darüber streiten sich die Ökonomen seit Jahrzehnten. Während in Deutschland immer noch gern wehrhaft gegen den Mindestlohn Position bezogen wird, stehen britische Wirtschaftswissenschaftler der Lohnuntergrenze positiv gegenüber. Kein Wunder: Seit der Einführung des britischen Mindestlohns im Jahr 1999 ist keinerlei Delle am Arbeitsmarkt zu erkennen. Die Löhne am unteren Ende der Skala wurden sukzessive höher, negative Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt waren hingegen nicht zu erkennen. Allerdings gab es vor der Einführung des Mindestlohns auch in Großbritannien ausgesprochen hitzige Debatten. (Daniela Rom, derStandard.at, 8.5.2013)