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"Österreich muss sich als Ausbildungsland positionieren. Das ist die einzige Chance."

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Standard: Wie viele Burschen aus dem 18-köpfigen Kader schaffen es, zumindest Profi in der österreichischen Bundesliga zu werden? Gibt es da Erfahrungswerte?

Stadler: Es packen viele, zwischen 50 und 70 Prozent. Das ist eigentlich eine sehr hohe Quote.

Standard: Welchen Stellenwert hat eine EM-Endrunde?

Stadler: Sie ist eine Mördererfahrung. Die meisten der Spieler sind noch im Nachwuchsbereich tätig, die EM ist ein Sprungbrett für alle, sie können den nächsten Schritt setzen. Viele Scouts aus ganz Europa schauen zu. Ist einer gut, öffnen sich die Türen.

Standard: Ist der EM-Titel fürs österreichische Team realistisch?

Stadler: Jeder träumt davon, die acht Nationen sind auf Augenhöhe. Ziel kann nicht sein zu sagen, hurra, wir sind dabei, wir lassen es uns gutgehen. Zumindest Platz zwei in der Gruppe wird anvisiert, dann sind wir im Halbfinale und fix bei der WM im Herbst in Dubai. Dafür würde auch Rang drei reichen. Aber Dritter von vier zu werden kann keine Vorgabe sein.

Standard: Es fällt auf, dass dem Aufgebot nur zwei Legionäre angehören. Passt die Nachwuchsarbeit in Österreich?

Stadler: Ja. Man muss sich nur die Akademien von Red Bull, der Austria oder Mattersburg anschauen. Wir brauchen uns nicht mehr zu verstecken.

Standard: Red Bull wird kritisch beäugt, anderseits kommen gleich sechs Spieler aus der Akademie.

Stadler: Die sechs sind vielleicht ein Zufall, beim nächsten Mal können sechs Austrianer oder fünf Rapidler dabei sein. Aber Red Bull hat eben Geld, die können die besten Jugendlichen holen.

Standard: Inland oder Ausland, welchen Weg würden Sie einem Talent empfehlen?

Stadler: Beides kann klappen, beides kann schiefgehen. Es hängt von der Person ab. Manche schaffen es nicht, von der Familie getrennt zu sein. Sie gehen am Heimweh zugrunde. Anderen wiederum tut die Abnabelung gut.

Standard: Kassieren die Spieler bei der EM Prämien?

Stadler: Nein. Es wäre Wahnsinn, würden 16-Jährige Geld bekommen. Es ist Prämie genug, dass sie in der Auslage stehen dürfen. Sie können sich interessant machen, das ist mehr wert als ein paar Euro.

Standard: Nachwuchstrainer werden immer noch als Trainer zweiter Klasse behandelt, sie werden oft drittklassig bezahlt. Schmerzt das? Träumen Sie von einem Job bei einem Profiklub?

Stadler: Ich habe keinen Minderwertigkeitskomplex, finde beim ÖFB ein ideales Umfeld vor. Ich kann die Burschen mitentwickeln, ich beginne bei der U15 und führe sie bis zur U19. Das ist sinnvoller, als in der Regionalliga oder in der Ersten Liga zu arbeiten. Bei einem Bundesligaklub müsste ich abwägen.

Standard: Hat man mit Jugendlichen zu tun, ist man wohl auch Kindermädchen und Pädagoge.

Stadler: Ja. Das Schwierige in diesem Alter ist, dass einige bereits Geld verdienen. Andere bekommen nichts, aber sie spielen in derselben Mannschaft. Da musst du als Trainer den Spagat schaffen und alle gleichbehandeln.

Standard: Wie ticken heutzutage die 16- und 17-Jährigen?

Stadler: Sie wachsen komplett anders auf. Wir sind von der Schule heimgekommen, sind nach der Aufgabe raus auf die Wiese und haben gekickt, bis es finster war. Heute haben sie Computer, Laptops, Handys. Und sie rennen mit den fetten Kopfhörern durch die Gegend. Ich sage ihnen, legt wenigstens ab und zu die Handys weg. Wir haben im Quartier ein Spielzimmer eingerichtet. Mit Tischtennistisch, Wuzzler und Dartscheibe. Damit sie nicht nur im Zimmer hocken und im Internet surfen. Sie sollen miteinander kommunizieren. Anderseits haben sie die gleichen Sehnsüchte, wie wir sie hatten. Man soll ihnen ihre Träume und Visionen lassen. Wobei nicht immer gleich Barcelona das Ziel sein sollte.

Standard: Sind die Jungen geldgeil?

Stadler: Das glaube ich nicht, aber sie können es nicht mehr erwarten, in den bezahlten Fußball zu kommen. Das ist schon okay. Für mich ist es unvorstellbar, dass sie deswegen die Schule abbrechen. Ich sage ihnen, macht eine Ausbildung, alles andere wäre verantwortungslos. Keiner hat die Garantie, dass er einmal als Fußballer seine Familie ernähren kann.

Standard: Fragt man die Burschen nach Idolen, nennen praktisch alle nicht Messi oder Ronaldo, sondern David Alaba.

Stadler: Das finde ich super. Er ist Österreicher und somit viel näher als ein Messi. David ist den Weg gegangen, den sie noch suchen. Er lebt ihren Traum. Er hat bei der Austria begonnen, verzichtete auf einen Profivertrag, wagte das Abenteuer Bayern München. Hut ab. Ich habe ihn in den Nachwuchsteams gehabt. David ist als Mensch ein Vorzeigetyp, er hat eine hundertprozentige Einstellung, will immer siegen.

Standard: Sind ein paar Alabas in der aktuellen Mannschaft?

Stadler: Vielleicht. Valentino Lazaro spielte schon mit 16 für Salzburg gegen Rapid. Das ist ein Zeichen, dass er Qualität haben muss.

Standard: Es gibt die mühsamen Eiskunstlaufmamis und -papis.

Stadler: Die gibt es auch im Fußball. Komischerweise rufen eher die Mütter an und beschweren sich. Warum wurde mein Bub nicht aufgestellt? Er ist doch viel besser. Ich sage den Burschen, ruft selbst an, wenn es Probleme gibt, informiert euch selbst. Ihr wollt ja erwachsen werden.

Standard: Die Ausbildung wurde zwar verbessert, anderseits sinkt in der heimischen Bundesliga das Niveau. Die Vereine kommen international nicht mehr mit. Kann man dagegen etwas unternehmen?

Stadler: Kaum. Österreich muss sich als Ausbildungsland positionieren, das ist die einzige Chance. Bist du zum Beispiel jung und bei Sturm Graz und erhältst ein Angebot aus England, musst du wechseln. Die Nationalmannschaft profitiert davon. Vom Team ist langfristig mehr zu erwarten als von den Klubs. Es ist das Aushängeschild unseres Fußballs. (Christian Hackl, DER STANDARD, 4./5.5.2013)