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Der Juckreiz macht die Urtikaria zu einer quälenden Hauterkrankung.

Der Ausschlag taucht aus dem Nichts in Sekundenschnelle auf. Erst sieht er aus wie ein Mückenstich, rasch werden die Pusteln größer. Es sieht aus, als wäre man in Brennesseln gefallen. Urtikaria heißt der Ausschlag, die Bezeichnung leitet sich vom lateinischen Begriff für " Nessel" ab. Wer darunter leidet, will sich die Haut am liebsten aufkratzen. Es gibt Patienten, bei denen sogar die Schleimhaut im Rachen anschwillt, sodass sie zu ersticken drohen. Nach einigen Stunden bis Tagen ist der Spuk aber wieder vorbei.

Jeder Fünfte macht in seinem Leben eine Urtikaria-Episode durch. Verantwortlich sind Immunzellen in der Haut (Mastzellen), die als Reaktion auf bestimmte Reize Histamin, Prostaglandine und andere Botenstoffe ausschütten. Die akute Urtikaria tritt meist im Rahmen von Infektionen oder Allergien auf. Zwei Prozent der Bevölkerung leiden an einer chronischen Form. Zu den Auslösern gehören Kälte oder Wärme, Druck von zu enger Kleidung oder körperliche Anstrengung, oft ist die Ursache auch unbekannt. "Die Patienten leiden", sagt Peter Schmid-Grendelmeier, leitender Allergologe an der Uniklinik Zürich, "weil die Standardtherapie mit Antihistaminika oft nicht hilft und andere Medikamente Nebenwirkungen machen."

Eine neue Studie zeigt, dass der Antikörper Omalizumab, der sonst als Medikament gegen schweres Asthma eingesetzt wird, Abhilfe schaffen könnte. Ein internationales Forscherteam hat das Medikament bei 323 Patienten mit chronischer Urtikaria getestet (NEJM, Bd. 368, S. 924), drei Viertel von ihnen bekamen dreimal im Abstand von vier Wochen eine Spritze mit dem Antikörper, die übrigen Placebo. Nach zwölf Wochen hatten Patienten mit Omalizumab seltener Ausschlag bekommen und klagten weniger über Juckreiz als die Placebogruppe. "Das ist ein Durchbruch", sagt Schmid-Grendelmeier.

Wirkprinzipien

Omalizumab dockt an körpereigene Abwehrstoffe (IgE) und blockiert deren Wirkung. "Bei Urtikaria binden IgE an Mastzellen und aktivieren sie, sodass Histamin ausgeschüttet wird", erklärt Marcus Maurer, einer der Studienleiter und Chef der Sprechstunde für Urtikaria am Unispital Charité in Berlin. "Deshalb hat es Sinn, die IgE zu blockieren." Halfen hohe Dosen von Antihistaminika nicht, gaben Ärzte bisher Kortison, Immunsuppressiva oder das Lepramittel Dapson. Antihistaminika sind aber die einzigen Medikamente, die in der EU zugelassen sind - und auch das nur in geringster Dosierung. Hochdosierte Antihistaminika und andere Medikamente müssen Ärzte "off label" verschreiben. Das bedeutet, dass ihr Einsatz für eine Krankheit nicht offiziell und durch Studien untermauert ist und deshalb Kostenübernahmen mit Krankenkassen im Vorfeld zu klären ist. Zudem haften Arzt oder Klinik für eventuelle Nebenwirkungen. "Wir haben damit aber keine Probleme", sagt Werner Aberer, Vorstand der Dermatologie an der Med-Uni Graz. "Die Kassen übernehmen die Kosten, wenn Patienten diese Medikamente wirklich brauchen." Auch Omalizumab darf bisher nur "off label" verwendet werden.

Aberer hält den Antikörper für eine hervorragende Therapiealternative. " Man sollte ihn nur einsetzen, wenn andere Medikamente nicht geholfen haben oder der Patient von diesen schlimme Nebenwirkungen bekommt." Heilen würde auch Omalizumab die Urtikaria nicht, denn es unterdrückt wie die anderen Medikamente nur die Symptome. Die fünf Patienten, die Aberer mit Omalizumab behandelt hat, vertrugen es gut. In den Studien für die Zulassung mit mehr als 4400 Patienten kam es häufig zu Rötungen an der Einstichstelle, manche entwickelten Kopfschmerz, selten kam es zu allergischen Reaktionen. Mit Langzeit-Nebenwirkungen rechnet Aberer nicht, "aber ausschließen können wir es noch nicht, weil Omalizumab nicht lange genug eingesetzt wird".

Georg Klein, Chefarzt am Krankenhaus der Elisabethinen in Linz, ist aus einem anderen Grunde zurückhaltend: "Der Antikörper ist 30-mal so teuer wie hochdosierte Antihistaminika", sagt Klein. So kostet die höchste Dosis Antihistaminika pro Monat 30, der Antikörper etwa 1000 Euro. Außerdem sei Omalizumab in der Studie nur mit der geringsten Dosis Antihistaminikum verglichen worden, kritisiert Klein. Die sei für viele Patienten bekanntermaßen zu niedrig.

Neue Fragestellungen

Ideal wäre, so Dermatologe Klein, wenn man in einer Studie Omalizumab mit der höchsten Dosis Antihistaminikum und anderen Medikamenten wie Immunsuppressiva vergleichen würde. Erst dann wisse man wirklich, ob der Antikörper besser ist. "Dafür bräuchte man aber eine Riesenstudie mit Hunderten von Patienten - das wird keiner bezahlen wollen", so Klein. Omalizumab werde sicherlich ein Reservemedikament bleiben. "Wenn wir allerdings Immunsuppressiva oder andere Medikamente einsetzen müssen, ist das ähnlich teuer wie der Antikörper Omalizumab", sagt Peter Schmid-Grendelmeier, "aber oft auch mit mehr Nebenwirkungen." (Felicitas Witte, DER STANDARD, 6.5.2013)