Anfang Dezember hatte Barack Obama in einer Rede das Wort an den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad und dessen Befehlshaber gerichtet und klargestellt, dass der Einsatz von Chemiewaffen "völlig inakzeptabel" sei. Sollte Assad den "tragischen Fehler" begehen, diese zu gebrauchen, würden Konsequenzen folgen und er zur Verantwortung gezogen werden – die meisten Kommentatoren interpretierten seine Worte als eine Kriegsdrohung.

Nun gab das Weiße Haus bekannt, dass die US-Geheimdienste – mit unterschiedlichen Graden an Gewissheit – einen solchen Einsatz festgestellt hatten, wenn auch in geringem Ausmaß. Sollte der Verdacht sich erhärten, erscheint ein US-amerikanischer Militäreinsatz in Syrien wahrscheinlicher denn je.

Schon jetzt werden Erinnerungen an den Irakkrieg 2003 und die damals bemühte vorgebliche Existenz von Massenvernichtungswaffen wach. Grund genug, nach der rechtlichen Grundlage für ein militärisches Eingreifen in den syrischen Bürgerkrieg zu fragen.

Das Verbot des Krieges

Im modernen Völkerrecht gilt, in klarer Absage zum lange vorherrschenden Clausewitzschen Diktum vom Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln, das Gewaltverbot des Artikel 2, Absatz 4 der Satzung der Vereinten Nationen, demgemäß "jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt" verboten ist. Davon sind grundsätzlich sämtliche kriegerische Handlungen betroffen, egal, ob sie wegen Rohstoffen, Gebietserweiterungen oder zum Schutze von Menschenleben in einem anderen Staat durchgeführt werden. Das Gewaltverbot kennt lediglich zwei Ausnahmen: Das Recht auf Selbstverteidigung und auf Basis einer Resolution des Sicherheitsrats ergehende Maßnahmen.

Das Recht auf Selbstverteidigung

Artikel 51 der Satzung der Vereinten Nationen nennt das "im Falle eines bewaffneten Angriffs gegen ein Mitglied der Vereinten Nationen ... naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung." Entgegen dem genauen Wortlaut der Satzung legitimiert nach herrschender Ansicht darüber hinaus auch ein unmittelbar bevorstehender Angriff das Ausüben des Selbstverteidigungsrechts. Somit könnten die USA, sollten sie oder ein anderer Staat von Syrien angegriffen werden, entsprechend reagieren. Im Falle eines Angriffs auf ein NATO-Mitglied wären sie dazu aufgrund der Beistandspflicht sogar verpflichtet. Allerdings hat ein solcher Angriff bislang weder stattgefunden, noch scheint er unmittelbar bevorzustehen; schließlich ist das Regime viel zu sehr davon eingenommen, sein Überleben zu sichern. Ein Angriff auf einen anderen Staat wäre hierbei denkbar unnötig und kontraproduktiv. Auch der syrische Abschuss eines türkischen Kampfflugzeugs und die Zwischenfälle entlang der syrisch-türkischen Grenze im Juni bzw. Herbst 2012 reichen hier nicht aus. Schließlich sind die näheren Umstände nicht näher geklärt und die für einen "bewaffneten Angriff" im Sinne von Artikel 51 notwendige Intensität wurde wohl nicht erreicht. Hinzu kommt, dass diese Vorkommnisse mittlerweile zu lange zurück liegen.

Mandat des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen

Die NATO Luftschläge im Zuge des libyschen Bürgerkriegs erfolgten auf Basis einer Resolution des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen, die unter anderem die Ermächtigung enthielt, „alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen ...  um von Angriffen bedrohte Zivilpersonen und von der Zivilbevölkerung bewohnte Gebiete ... zu schützen." Eine derartige Resolution blieb im Falle Syrien bislang jedoch aus und kann wohl auch in naher Zukunft nicht erwartet werden. Dies liegt an den Vetomächten China und Russland, die in der NATO-Operation, die entscheidenden Anteil am Sturz Gaddafis hatte, einen Missbrauch der genannten Resolution sehen. Daher ist ihnen daran gelegen, eine mögliche Wiederholung derartiger Ereignisse in Syrien zu verhindern. Hinzu kommt, dass zwischen Gaddafis Regime und Russland bzw.

China aufrechte Verträge bestanden, die mit dessen Sturz wertlos geworden waren; außerdem wurden beide Staaten auch nicht bedacht, als es darum ging, den libyschen Kuchen neu zu verteilen. Zuletzt ist auch die enge Verbindung zwischen Russland und Assads Regime, das etwa die letzte russische Militärbasis außerhalb der ehemaligen Sowjetunion beherbergt, nicht zu vergessen.

Humanitäre Intervention und das Prinzip der Schutzverantwortung

In gewisser Hinsicht ähnelt die Situation somit jener im Kosovo des Jahres 1999; auch damals war aufgrund Russlands und auch Chinas Haltung kein Sicherheitsrats-Mandat möglich. Dennoch flog die NATO über mehrere Wochen hinweg Luftangriffe auf die damalige Bundesrepublik Jugoslawien um die kosovarische Zivilbevölkerung vor Repressalien der jugoslawischen Streitkräfte zu schützen. Hier zeigte sich das Spannungsfeld zwischen Recht und Souveränität und dem Schutz der Zivilbevölkerung in aller Schärfe: ein UN-Bericht beurteilte die Operation in salomonischer Weise letztlich als "rechtswidrig, aber legitim"; auch eine nachträgliche von Russland zur Abstimmung gebrachte Resolution, die die Angriffe als rechtswidrig verurteilt und deren Einstellung verlangt hätte, scheiterte am Veto Frankreichs, Großbritanniens und der USA. Langfristig wurde die etwa im Falle Libyens vom Sicherheitsrat erwähnte Schutzverantwortung geprägt.

Diese knüpft die staatliche Souveränität an die Auflage, die eigene Zivilbevölkerung vor Gräueltaten zu bewahren, bzw. solche nicht zu begehen und sieht gegebenenfalls Maßnahmen der internationalen Staatengemeinschaft vor. Gleichzeitig hat jedoch weder das Konzept der humanitären Intervention noch die Schutzverantwortung etwas an der Rechtslage geändert; insbesondere letzteres betont die Rolle des Sicherheitsrats und erteilt neuen Ausnahmen zum Gewaltverbot eine klare Absage. Hier spielt die Sorge vor "humanitärem Imperialismus", also geostrategischen oder wirtschaftlichen Interessen dienenden Militäroperationen unter dem Deckmantel der Menschenrechte, eine entscheidende Rolle.

Intervention auf Einladung

Die letzte theoretische Möglichkeit besteht darin, auf Einladung der Regierung zu handeln; streng genommen handelt es sich hier um keine Verletzung des Gewaltverbots, da die Regierung des betroffenen Staates die Intervention nicht nur duldet, sondern sogar wünscht. Der letzte derartige Fall war die Anfang des Jahres begonnene französische Intervention im Norden Malis. In Bezug auf Syrien ist die Sache jedoch freilich ungleich problematischer, da die USA sich auf eine Einladung der syrischen Opposition stützen müssten, die nur bei einer äußerst fragwürdigen Interpretation als Regierung angesehen wird. Eine derartige Vorgehensweise wäre zwar nicht grundsätzlich neu; die USA hatten sich etwa bei ihren gewaltsamen Regierungsumstürzen in der Dominikanischen Republik im Jahr 1965 oder in Grenada 1983 unter anderem auf fragwürdige Einladungen gestützt: im ersteren Fall auf die nicht näher ausgeführte "Offizielle der Regierung", in zweiterem auf einen Generalgouverneur, der eine lediglich symbolische Funktion hatte.

Es ist somit wenig verwunderlich, dass die Staatengemeinschaft diesen Angriffen ablehnend gegenüberstand. Vermutlich sahen die USA bei ihrer Invasion in Panama im Jahre 1989 auch deswegen davon ab, ihr Vorgehen auch auf die Zustimmung Guillermo Endaras, der zum Nachfolger Noriegas gewählt worden war, ohne sein Amt jedoch angetreten zu haben, zu stützen. Insgesamt wird eine Intervention auf Einladung folglich, wenn überhaupt, nur in Verbindung mit anderen Begründungen angeführt. In der Dominikanischen Republik und in Grenada war dies der Schutz von eigenen Staatsangehören und in Mali gründete Frankreich seinen Einsatz zusätzlich auf eine entsprechende Sicherheitsrats-Resolution; letztere gab auch den Ausschlag dafür, dass andere Staaten Frankreichs Vorgehen nicht kritisierten.

Conclusio: Die Grenzen des Rechts

Völkerrechtlich ist die Sache an und für sich klar; zum gegenwärtigen Zeitpunkt besteht keine Grundlage, auf der die USA oder irgendein anderer Staat militärisch in den syrischen Bürgerkrieg eingreifen könnten. Wie die Geschichte lehrt, ist das freilich kein unüberwindbares Hindernis – schließlich stößt das internationale Recht gerade bei bewaffneten Konflikten und den damit einhergehenden komplexen Interessenlagen oft an seine Grenzen. (Ralph Janik, derStandard.at, 7.5.2013)