Magnus Nilssons Restaurant Fäviken gehört zu einer Jagdlodge 800 Kilometer nördlich von Stockholm.

Foto: georges desrues

Das Kochen an der Wurzel packen: Nilssons Gerichte sind von extremer Konzentration geprägt, hier etwa gegrillter Kabeljau mit Jus von fermentiertem Lammfleisch und Lauch.

Foto: georges desrues

DER STANDARD: Sie gelten als einer der besten Köche der Welt, waren vergangene Woche in London bei der Präsentation der San-Pellegrino-Liste der besten Restaurants der Welt - und sind heuer wieder nur auf dem 37. Platz. Enttäuscht? 

Magnus Nilsson: Überhaupt nicht. Ich bin sehr froh, auf dieser Liste zu stehen. Für uns ist sie ein sehr gutes Instrument, um das Restaurant vollzukriegen.

DER STANDARD: Manche empfinden es als unernst und kindisch, Lokale auf diese Art zu reihen und ein bestes Restaurant der Welt zu küren.

Nilsson: Natürlich existiert so etwas wie das beste Restaurant der Welt gar nicht, es sollte jeder selbst entscheiden, was für ihn das Beste ist. Aber Menschen mögen Listen, wir alle stehen irgendwie auf Klassifizierungen, also ist das auch okay. Und wenn ich mir diese Liste ansehe, dann finden sich da so ziemlich alle Restaurants, in denen ich gerne einmal essen würde.

DER STANDARD: Woher kommt der geballte Erfolg der Köche aus dem Norden - von Redzepi bis Nilsson, von den Seriensiegen bei der Koch-WM "Bocuse d'Or" zur dichten Präsenz auf der "Liste"? Kochen die Skandinavier plötzlich viel besser, oder steht das in einem größeren gesellschaftlichen Zusammenhang - Stichwort Bildung, Weltoffenheit, Mut zu unorthodoxen Lösungen?

Nilsson: Zweifellos. Bei jedem kreativen Prozess, und so einer ist Kochen nun einmal, spielen der Kulturkreis, das gesellschaftliche Umfeld, eine bedeutende Rolle. Gute Küche spiegelt die Herkunft des Kochs wider.

DER STANDARD: Wie erklären Sie dann, dass es selbst in Skandinavien so wenig weibliche Köche gibt, wo doch die berufliche Gleichstellung der Geschlechter in Ihren Ländern ansonsten besser funktioniert als anderswo?

Nilsson: Das ist eine sehr gute Frage, auf die ich keine Antwort habe. Ich suche schon lange nach einer weiblichen Köchin, finde aber ärgerlicherweise keine. Wenn Sie eine kennen, die nach Schweden kommen möchte, geben Sie mir bitte Bescheid.

DER STANDARD: Sie haben einige Jahre in Frankreich gearbeitet, Saucen mit viel Butter sind Ihrer Küche auch heute durchaus nicht fremd. Welche Rolle spielt die traditionelle französische Küche in Ihrer Arbeit?

Nilsson: Eine sehr bedeutende. Nach meinem Verständnis ist es ganz egal, in welches wirklich gute Restaurant auf der Welt Sie gehen - die Grundtechniken, mit denen wir alle arbeiten, stammen immer aus Frankreich. Und auch wenn Sie nordische Köche, also etwa René Redzepi und mich, vergleichen wollen, dann wird zwar jeder von uns seinen eigenen Stil haben. Wenn Sie aber wirklich in die Tiefe gehen, werden Sie immer auf eine gemeinsame Basis stoßen - und die ist so gut wie komplett französischen Ursprungs. Es wäre eine Lüge, würde einer von uns behaupten, er habe diese Techniken selbst entwickelt. Darum behaupten wir das auch nie (lacht).

DER STANDARD: Um bei den Techniken zu bleiben: Das soeben zum besten Restaurant der Welt gewählte El Celler de Can Roca in Katalonien gilt als jenes Restaurant, das die Technik des Vakuum-Garens erfunden hat. Von Ihnen aber heißt es, dass Sie ein Feind solcher hochtechnisierten Formen des Kochens seien. Warum eigentlich?

Nilsson: Feind ist zu viel gesagt. Was stimmt, ist, dass ich nicht viel übrighabe für Dinge, die nicht wirklich zur Qualität beitragen. Diese Techniken, wie etwa das Vakuum-Garen bei Niedertemperatur, sind in großen Restaurants hilfreich, weil sie dazu beitragen, Fehler zu vermeiden. In einem kleinen Restaurant wie dem unseren, braucht man sie aber nicht. Die Leute kommen zu uns, leisten sich die Anreise und das Essen und erwarten sich völlig zu Recht exzellente Handarbeit und von Menschen erzeugte Qualität.

DER STANDARD: Sie gelten auch als Verfechter extremer Regionalität, wenn es um die Produktbeschaffung geht. Ist es nicht etwas zu dogmatisch, sich nur aus allernächster Umgebung zu versorgen?

Nilsson: So dogmatisch betreiben wir das gar nicht. Natürlich stellen wir in Fäviken sehr viel selbst her. Aber in allererster Linie geht es mir um Qualität - und die beste Qualität erreicht man dann, wenn man selbst erzeugt oder den Erzeuger kennt, zu ihm hinfahren, ihn treffen, mit ihm gemeinsam planen kann. Und da kommt das Lokale wieder ins Spiel.

In der Kargheit muss die Küche eben von Ideen leben. Bei uns im Norden fördert die extreme Beschränkung auf lokale und saisonale Produkte die Kreativität. Das macht das Arbeiten interessanter. Läge mein Restaurant in einer großen Stadt, würde ich mich vermutlich anders versorgen. Aber wir sind das, was man ein Destinationslokal nennt, die Leute fahren oft einzig und allein hierher, um bei uns zu essen. Da muss man auch etwas bieten, damit sich die Reise auszahlt. Also wäre es etwas absurd, Zitronen etwa aus Menton einzufliegen - selbst wenn es natürlich möglich wäre.

DER STANDARD: Woher beziehen Sie dann Ihre Zitronen?

Nilsson: Wir arbeiten nicht mit Zitronen.

DER STANDARD: Ganz ehrlich: niemals?

Nilsson: Niemals! (lacht) So finden wir womöglich etwas, das noch besser passt als Zitrone und aus der unmittelbaren Umgebung stammt. Das ist es: Kreativität durch Selbsteinschränkung. (Georges Desrues, Rondo, DER STANDARD, 10.5.2013)