Von einer Umbenennung des Renner-Rings, wie es die ÖVP gefordert hat, hält der britische Historiker Robert Knight nichts. Besser wäre es, Zusatzinformationen anzubringen: "Das Aufklärerische sollte im Mittelpunkt stehen."

Foto: standard/fischer

Franz Schausberger will sich Manipulation im Dienst seiner Partei nicht nachsagen lassen. "Voll und ganz" steht er zu jenem Text, den er unlängst im STANDARD publiziert hat (Der "Anschluss" und der Judenhass einer SPÖ-Ikone, 14. März). Der Historiker, einst ÖVP-Landeshauptmann in Salzburg, warf darin dem sozialdemokratischen Säulenheiligen Karl Renner Antisemitismus vor - anhand von Zitaten, die Kritiker für grob aus dem Zusammenhang gerissen halten.

Wer in den Protokollen des Nationalrats nachliest, bekommt tatsächlich ein anderes Bild, als Schausberger es gezeichnet hat. "Leben Sie sich auf dem Gebiet aus", rief Renner etwa im Herbst 1920 die neue bürgerliche Regierung auf, "die Judenfrage zu lösen", und prangerte einschlägige Versäumnisse der Christlich-Sozialen bei ihrer Regentschaft in Wien an: "Während sie (die Juden, Anm.) in unserer Jugend (...) noch bescheiden in der Leopoldstadt wohnten, haben sie jetzt Mariahilf und alle Bezirke überschwemmt, sie sind gediehen unter ihrem glorreichen antisemitischen Regime."

Nicht erwähnt hat Schausberger allerdings den Kontext, in den Renner seine Tirade bettete. Aus diesem heraus liest sich die Passage so, als ob der Redner mit Sarkasmus den Christlich-Sozialen deren eigene antisemitische Sündenbockpolitik vor Augen hält. "Wenn sie keine Juden hätten", wirft Renner seinen Gegnern vor, würden sie "selbst nach Ostgalizien fahren und tausend Ostjuden herbringen als Agitationsmittel" . Sätze wie diese ließ Schausberger unter den Tisch fallen.

"Edles Paar Christ und Jud"

"Nie wurde mit weniger Worten mehr Wahrheit über den Wiener Antisemitismus gesagt", lobte die jüdische Zeitschrift "Die Wahrheit" damals die "denkwürdige Rede Dr. Renners". Schausbergers Interpretation fällt anders aus. In manchen Passagen schwinge in der Tat Sarkasmus mit, räumt er ein, doch auch diese Worte würden einem heutigen Politiker "nicht verziehen werden". Renner habe in vielen Aussagen Antisemitismus politisch instrumentalisiert - ob er dieses Ressentiment auch im Inneren geteilt habe oder nicht, sei dabei zweitrangig.

Tatsächlich finden sich auch Zitate, die sich schwerlich mit rhetorischen Kunstgriffen erklären lassen. Die christlichen Politiker hätten die "Unterordnung des ganzen Kleinbürgertums unter die Führung des jüdischen Großkapitals" vollzogen und auf den "Thron unserer Finanzen das edle Paar (...) Christ und Jud" gesetzt, sagte der einstige Staatskanzler im Oktober 1921. Im Februar 1946, nach Weltkrieg und Holocaust, glaubte Renner nicht, "dass Österreich in seiner jetzigen Stimmung Juden noch einmal erlauben würde, diese Familienmonopole aufzubauen. Sicherlich würden wir nicht zulassen, dass eine neue jüdische Gemeinde aus Osteuropa hierher käme und sich hier etablierte, während unsere eigenen Leute Arbeit brauchen."

"Verbale Entgleisungen"

War der an der Gründung beider Republiken beteiligte Politiker, der 1938 den "Anschluss" an Hitler-Deutschland befürwortete, also doch eingefleischter Antisemit? Die "verbalen Entgleisungen" seien unentschuldbar, sagt Wolfgang Maderthaner, Leiter des Staatsarchivs, glaubt trotzdem nicht, dass Antisemitismus bei Renner eine "politische Kategorie" ist. Zwar sei die Arbeiterbewegung mitsamt manchen Führern in der Rhetorik auf judenfeindliche Stimmungswellen aufgesprungen - etwa 1920, als es gegen Kriegsgewinnler und Spekulanten ging, oder 1933, um das von der Rechten unterstellte Image der "verjudeten" Partei zu widerlegen -, als entscheidenden Unterschied zu den christlich-sozialen Urvätern Karl Lueger und Leopold Kunschak sieht Maderthaner aber, dass Protagonisten wie Renner Antisemitismus nicht als politisches Prinzip umgesetzt hätten.

Robert Knight, britischer Historiker und früheres Mitglied der Österreichischen Historikerkommission, beschreibt Renner als eine "energische, machtbewusste, fast präpotente Persönlichkeit, die über Jahrzehnte sicherlich eine Menge für Österreich geleistet hat" - und durchaus ihre Schattenseiten hatte.

Wie Maderthaner schätzt auch Knight Renner anders als Lueger ein. "Obwohl Renners deutschnationale Seite seines sozialdemokratischen Denkens außer Streit steht - das wurde in der Nachkriegszeit nur lange verschwiegen -, ist der Unterschied eben die zentrale Position des Antisemitismus. Lueger war ja der österreichische Gründer des politischen Antisemitismus", sagt der Historiker. Renner würde Knight hingegen "nicht glatt als Antisemiten bezeichnen, weil es gar nicht der Kern seiner Weltanschauung war. Er war nicht ein ideologischer Antisemit im Unterschied zu Kunschak oder Lueger. Es scheint mir klar, dass Renner das Judentum nicht als Kollektiv angegriffen hat." (Peter Mayr/Gerald John, DER STANDARD, 8.5.2013)